Krefeld Michael Jackson in Knallfarben

Krefeld · Die Gräuel der jüngsten amerikanischen Geschichte, aber auch das schreckliche Schicksal ihrer Helden sind Themen bei Fabian Marcaccio. Im Haus Esters zeigt er ab Sonntag "Some USA Stories" – großformatige Bilder mit überwältigender Farbkraft und Aussagen, die unter die Haut gehen.

 Wie fließendes Blut hat Fabian Marcaccio das Rot aufgetragen. Das Bild "This is it" (193 x 163 cm) hat er unter dem Eindruck des letzten Fernsehauftritts des King of Pop in London gemalt. Das Rot symbolisiert für ihn auch die Scheinwelt des Roten Teppichs, die er auf dem Bild mit Limousine thematisiert.

Wie fließendes Blut hat Fabian Marcaccio das Rot aufgetragen. Das Bild "This is it" (193 x 163 cm) hat er unter dem Eindruck des letzten Fernsehauftritts des King of Pop in London gemalt. Das Rot symbolisiert für ihn auch die Scheinwelt des Roten Teppichs, die er auf dem Bild mit Limousine thematisiert.

Foto: thomas Lammertz

Für Nebenwirkungen von Kunst übernimmt kein Museum die Haftung. Auch bei schlaflosen Nächten und Alpträumen nach dem Besuch von Haus Esters sind weder der Museumschef noch der Künstler in der Regresspflicht. Im Gegenteil. Die Ausstellung "Some USA Stories", die am Sonntag eröffnet wird, bombardiert den Betrachter ganz bewusst mit Eindrücken.

Zwölf Großformate hat Fabian Marcaccio (48) für die Mies-Villa geschaffen – kaum ein Bild ist kleiner als 2,50 Meter. Doch so harmlos, wie der Titel klingt, sind die Bilder nicht. Sie überwältigen nicht nur mit ihrer immensen Farbe, die förmlich aus dem Bild in den Raum quillt. Wer die Bildtitel liest, entschlüsselt das Grauen, das sie darstellen. Stück für Stück. Denn Marcaccios wichtigstes Thema sind die Alpträume in der jüngeren amerikanischen Geschichte, die Massaker und Gewaltverbrechen der 1990er Jahre, Ereignisse, die nicht kalt lassen. Die 51-tägige Belagerung des Hauptquartiers der Davidianer-Sekte durch das FBI, das auch psychologische Waffen einsetzte, ist in "Waco" verarbeitet; das Blutbad an der Columbine-Highschool trägt die Namen der Amokläuder "Eric & Dylan"; auch die geschändeten Leichen von Falludscha sowie der Massenselbstmord, zu dem Sektenführer Jim Jones seine Anhänger in Guyana aufgerufen hatte mit mehr als 900 Opfern – darunter auch Babys – bringt er ins Bild – und startet damit Bilder der Erinnerung im Kopf des Betrachters.

Die Arbeiten faszinieren – auch durch ihre Technik. Denn statt einer Leinwand spannt Marcaccio Hanfschnüre auf Holzleisten. Darauf trägt er Farbe auf, verbindet sie mit Silikon und Alkydharzen, so dass sie eine feste Form bekommt. Er "bemalt" das Flechtwerk nicht, er drückt die Farbe ein, presst sie durch – auch von hinten nach vorn. So entwickelt die Farbe eine greifbare Kraft, ein beängstigendes Eigenleben. Je näher man den Werken kommt, umso leichter verliert der Blick die Orientierung, bleibt an den wuchernden Farben hängen, frisst sich durch den Schnur-Dschungel, in den Marcaccio auch alpine Bergkletterseile einzieht, verläuft sich in blutigem Rot, Fleischbraun oder überwältigendem Lila.

Wer zurücktritt, entkommt dem Anblick nicht: Dann fügen sich die opulenten Details wie Puzzleteile zu einem Bild. Dann werden die gekrümmten Körperteile der Columbine-Schützen sichtbar, die sich selbst gerichtet haben. Das Chaos der Farbstränge entspricht dem Chaos in den Köpfen. Das Seil um ihre Körper ist zugleich Fessel und der Faden, der Marionetten führt. Ein Stück eines Gewehrs ragt vor.

Ein Gewehr ist auch auf die rechte Seite des gekreuzigten Christus gerichtet. Dessen leidgezeichneten Ausdruck hat der Künstler in wenigen groben Pinselstrichen bannt. Aus dem Brustkorb quillt die Farbe wie zerstümmelte Organe. Die Bilder wirken kraftvoll, mit unbändigem Drang ausgeführt. Nur wer sich dem aussetzt, sieht, wie profund Marcaccio mit den traumatischen Ereignissen der amerikanischen Kultur umgeht, die sie so gern verdrängt. "In unserer Gesellschaft heißt es immer: nach vorn, niemals zurückblicken." Seine Bilder, die er Blow ups" nennt (Nahaufnahmen), spiegeln die heutige Sicht des kollektiven Gedächtnisses auf zurückliegende Katastrophen. Marcaccio ist in Argentinien geboren. Er hat dort ein Philosophiestudium begonnen. Mit einem Stipendium ist er vor 20 Jahren nach New York gekommen – und dort geblieben. Als Künstler findet er dort reichlich Nährstoff. Auch wenn es um Widersprüche zwischen Wirklichkeit und Künstlichkeit, Leben und Show geht. In "This is it" zeigt er Michael Jackson, der ihn mit seinem letzten TV-Auftritt tief bewegt hat. Als Selbstbeerdigung einer Legende, die ständige Metamorphosen durchlaufen hat, empfand Marcaccio die Situation. Die blutrot fließende Farbe, in der die auftragende Bürste gewaltige Spuren hinterlassen hat, bestimmen das Bild. Auch das ist ein Monument eines Desasters.

(RP)
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