Krefeld Mobbing – was Psychologen raten

Krefeld · Interview Wenn Schüler ihre Mitschüler fertigmachen und Eltern oder Lehrer nicht mehr weiterwissen, hilft der Psychologische Dienst. Wir sprachen mit dem Leiter Thomas Aigner und seiner Kollegin Melanie Neubauer über ein verstörendes Phänomen an unseren Schulen.

 Blasrohr und Dartscheibe sind Mittel, um Kinder zu lockern und mit ihnen ins Gespräch zu bringen: Melanie Neubauer und Thomas Aigner arbeiten beim Psychologischen Dienst der Stadt mit Kindern, Jugendlichen, Eltern und Lehrern. Der Psychologische Dienst in Krefeld hat 16 Mitarbeiter.

Blasrohr und Dartscheibe sind Mittel, um Kinder zu lockern und mit ihnen ins Gespräch zu bringen: Melanie Neubauer und Thomas Aigner arbeiten beim Psychologischen Dienst der Stadt mit Kindern, Jugendlichen, Eltern und Lehrern. Der Psychologische Dienst in Krefeld hat 16 Mitarbeiter.

Foto: Thomas Lammertz

Sind Sie noch überrascht, wenn Sie sehen, wie Kinder Kinder fertigmachen?

Neubauer Es gibt immer wieder mal was Neues.

Entwickelt man manchmal so etwas wie Hass auf Mobbing-Täter?

Neubauer Nein. Kinder probieren aus, wie weit sie gehen können. Es ist eher ein Armutszeugnis für uns Erwachsene, wenn wir Lücken für ein solches Verhalten lassen.

Woran erkannt man Mobbing?

Neubauer Zunächst muss man darauf hinweisen: Der Begriff wird sehr inflationär gebraucht. In den Klassen fünf bis acht laufen viele pubertäre Prozesse, Machtspielchen und Gerangel ab. Nicht jede Auseinandersetzung oder Beleidigung auf dem Schulhof ist Mobbing. Man muss in jedem Einzelfall prüfen, ob Mobbing vorliegt.

Wann liegt also Mobbing vor?

Aigner Wenn es um Gruppenprozesse geht, die über eine längere Zeit manifest sind. Mobbingopfer sacken oft in ihren schulischen Leistungen ab, verändern auffällig ihr Verhalten bis hin zur Schulverweigerung.

Nehmen wir an, ein Fall ist manifest. Wie geht man mit den Tätern um, um das Opfer zu schützen?

Aigner Da gibt es ganz verschiedene Ansätze. Eine weit verbreitet Methode ist das "No blame approach" (Annäherung ohne Beschuldigung), bei der die Schuldzuschreibung vermieden wird.

Der Täter wird nicht beschuldigt?

Neubauer Nein; man versucht, ihn mit ins Boot zu holen.

Ist das nicht eine Lachnummer? In der Regel weiß doch jeder in der Klasse, was los ist, und dann erfolgt nicht mal eine harte Ansprache an die Täter?

Neubauer Bei harter Ansprache bis zur Strafandrohung besteht die Gefahr, dass Täter abtauchen und heimlich weitermachen. Für das Opfer kann es dann noch schlimmer werden. Aigner Die Frage verstehe ich allerdings gut. Es ist auch eine moralische Frage, wie Täter-Kinder angegangen werden. Ich habe manchmal auch ein Problem mit der "No blame approach"-Methode.

Es stört das Gerechtigkeitsgefühl, dass Täter in Watte gepackt werden.

Neubauer Sie werden ja nicht in Watte gepackt. Mobbing hat mit Machtausübung zu tun. Diese Machtposition des Täters wird im Gesamtsystem der Gruppe sehr wohl infrage gestellt; man unterbindet so die Dynamik, mit der Mobbingtäter ihre Opfer in der Gruppe und über die Gruppe angehen.

Als Beobachter ist der erste Reflex: Schützt gefälligst das Opfer, und zwar sofort. Diese Methode klingt langwierig. Wie lange muss ein Opfer leiden, bis der Täter geruht, ins Boot zu steigen?

Neubauer Die Befürchtung kann ich gut nachvollziehen, doch so langwierig ist es nicht. Mobbing-Prozesse bauen sich über ein, zwei Jahre auf; bei Ansprachen über die "No blame approach"-Methode reden wir über 14 Tage, drei Wochen. Der Effekt ist schnell zu spüren, der erhoffte Vorteil ist Nachhaltigkeit. Mobbingtäter sind nicht dumm. Wenn Sie mit der Keule kommen, besteht die Gefahr, dass sie abtauchen, für Erwachsene nicht mehr erreichbar sind und andere Wege der Bedrohung finden. Deswegen der Ansatz, Kindern positive Handlungsstrukturen aufzuzeigen und so den Mobbingmechanismus zu brechen. Aigner Es gibt auch andere Methoden. Der "No blame approach" wird vor allem bei Grundschulen angesiedelt. Eine in Schweden entwickelte Methode setzt auf klare Ansprache: Mobbing-Täter zum Direktor; der sagt: ,Ich weiß, was du tust, und dulde das ab sofort nicht mehr', samt Androhung von Konsequenzen. Über die Methode muss man von Fall zu Fall entscheiden. Im Extremfall kann sogar auch ein Schulwechsel geboten sein. Meist verlässt das Mobbing-Opfer die Schule; das stört auch das Gerechtigkeitsgefühl, ist aber leider so und manchmal die einzige Lösung

Die Lehrer müssen aktiv eingreifen?

Aigner Oh ja, das ist sehr wichtig. Mobbing hat mit Macht zu tun, und da müssen auch die Mächtigen in der Schule eingreifen, und das sind am Ende die Lehrer.

Haben Sie das Gefühl, dass das in den Schulen wirklich passiert, oder hängt es vom Zufall ab, ob sich gerade ein Lehrer verantwortlich fühlt?

Neubauer Das ist sehr unterschiedlich. Unsere Erfahrungen mit den Schulen sind eher gut, zumal Lehrer ja eine Fülle von Aufgaben haben und in der Regel froh über Beratung sind. Mobbingarbeit kostet Zeit und Kraft. Das ist übrigens ein wichtiger Teil unserer Arbeit: Prävention, Fortbildung von Lehrern, wie man den Blick für Mobbing schärft.

Man hört aber von Fällen, in denen Eltern und Opfer sich allein gelassen fühlen.

Neubauer Das kommt vor, und es gibt auch Konfrontationen von Lehrern und Eltern. Wenn sich die Löwen-Mutter, die für ihr Kind kämpft, und die Lehrerin, die 329 andere Kinder und Aufgaben im Rücken hat, feindlich gegenüberstehen, ist es vorbei mit Vertrauen und Zusammenarbeit, dann kommt es auch zu aggressiven Auseinandersetzungen. Wir versuchen dann zu vermitteln und machen damit gute Erfahrungen. Aigner Und wir begegnen auch dem Phänomen, dass Mobbing-Opfer sich allein gelassen fühlen. Besonders schlimm wird es für sie, wenn ihnen keiner glaubt. Ich kenne den Fall eines Schülers, der sich in seiner Verzweiflung selbst Drohbriefe geschrieben hat, um damit zeigen zu können, wie er beleidigt und schikaniert wird. An der Handschrift war natürlich zu erkennen, dass die Briefe gefälscht waren. Das flog natürlich auf. Doch es stellte sich heraus: Was er in den Briefen schilderte, war wahr. Er hatte Gott sei Dank eine Lehrerin, die die Situation erkannte und schnell und entschlossen Hilfe mobilisierte.

Jens Voss führte das Gespräch

(RP)
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