Krefeld Sektenarzt — Neue Spur nach Krefeld

Krefeld · In der chilenischen Sekte "Colonia Dignidad" sind unzählige Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen worden: Kindesmissbrauch, Waffenhandel, Erpressung. Jetzt wird Hartmut H. aus der Führungscrew mit internationalem Haftbefehl gesucht – Spuren führen nach Krefeld.

In der chilenischen Sekte "Colonia Dignidad" sind unzählige Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen worden: Kindesmissbrauch, Waffenhandel, Erpressung. Jetzt wird Hartmut H. aus der Führungscrew mit internationalem Haftbefehl gesucht — Spuren führen nach Krefeld.

Ein führendes Mitglied der chilenischen sektenartigen Gruppierung "Colonia Dignidad", Hartmut H. (66), soll enge Verbindungen nach Krefeld haben und könnte sich hier versteckt halten. Der Mediziner wird seit wenigen Tagen als einer der führenden Köpfe der "Colonia Dignidad" mit internationalem Haftbefehl gesucht.

Gleich mehrere Spuren führen nach Krefeld: Hopps Ehefrau Dorothea W. und die Kassenwartin von Colonia Dignidad, Erika H., sollen seit einigen Wochen hier wohnen, sagt Wolfgang Kneese aus Bad Oldesloe, intimer Kenner und Opfer der "Colonia Dignidad".

Die grausame Geschichte der Sekte "Colonia Dignidad", in der jahrzehntelang schwere Menschenrechtsverletzungen begangen wurden, beginnt in den Fünfziger Jahren: Der Sektenchef Paul Schäfer leitete in Lohmar-Heide bei Siegburg eine "Private Social Mission", ein Erziehungsheim einer freikirchlich-evangelischen Gemeinde.

Nachdem in Deutschland Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegen ihn aufkamen, floh er mit Erwachsenen und Kindern dieses Erziehungsheims nach Chile und gründete dort die "Colonia Dignidad" ("Kolonie der Würde"). Er versprach ein "urchristliches Leben im gelobten Land" und herrschte mit despotischen Regeln. Schäfer, alter Wehrmachtsgefreiter im Zweiten Weltkrieg, hielt die bis zu 350 Mann starke Gruppe in dem 17 .000 Hektar großen Grundstück abgeschlossen von der Außenwelt — immer wieder sollen sich Alt-Nazis auf dem Gelände aufgehalten haben.

Grausame Verbrechen wurden unter dem Diktat von Schäfer und mit Wissen der Komplizen, wohl auch Hartmut H., begangen. Dutzende teilweise extra nach Chile entführte Kinder sind jahrelang misshandelt worden. Einer ist Hauptzeuge Wolfgang Kneese, der heute den Verein "Flügelschlag" leitet und die Sekte für ihre Verbrechen sühnen lassen will. "Es müssen endlich alle Täter belangt werden", sagte der heute 65-Jährige gestern unserer Zeitung.

Kneese kennt alle Details über die Sekte, die ihn jahrelang quälte. In engem Kontakt habe Paul Schäfer mit dem chilenischen Diktator Auguste Pinochet gestanden, der den Geheimdienst von dort operieren ließ. 1996 tauchte Paul Schäfer unter, da ihn nach dem Sturz des Diktators mittlerweile die Staatsanwaltschaft suchte. Erst 2005 wurde Schäfer festgenommen und im Mai 2006 wegen Kindesmissbrauchs in 25 Fällen und weiteren Taten zu 33 Jahren Haft verurteilt. Im vergangenen Jahr starb Schäfer mit 88 Jahren im Gefängnis.

Die chilenische Justiz arbeitet die Menschenrechtsverletzungen weiter auf — acht Mitglieder sind jetzt festgenommen worden. Mehrere aus dem Führungsgremium rund um Schäfer, darunter Hartmut H., werden noch gesucht: Der flüchtige H. gilt als zweiter starker Mann in der Sekte. Er war Arzt in der "Colonia", wurde im Januar 2011 wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. H.ist der letzte Lebende aus dem engsten Führungskreis, er dürfte Kenntnis über Millionen Euro an Schwarzgeld haben, die auf den Konten der mittlerweile unter dem Namen "Bayrisches Dorf" geführten Gruppe lagern.

Die Krefelder Staatsanwaltschaft ist bisher noch nicht aktiv geworden. "Uns liegen keine Hinweise vor", sagte gestern Sprecher Hans-Dieter Menden."Ich habe ihn nicht gesehen, aber ich weiß, dass er seit einer Woche in Deutschland ist", sagte die in Krefeld lebende Bärbel Schreiber, Schwiegertochter von Hartmut H., vor wenigen Tagen in einem Telefongespräch mit dem chilenischen Journalistenverband Ciper. Bärbel Schreiber ist gleichzeitig Tochter des 2007 vor der chilenischen Justiz nach Deutschland geflüchteten Colonia-Finanz-Chefs Albert Schreiber, der 2008 in Krefeld starb (wir berichteten). Er verkehrte mehrfach in der "Freien Volksmission" in Krefeld.

Intime Kenner von "Colonia Dignidad" wie Wolfgang Kneese verweisen immer wieder auf die "Freie Volksmission", die freikirchliche Gemeinde im Krefelder Stadtteil Oppum des Predigers Ewald Frank, die enge Verbindungen zur chilenischen Sekte haben soll. Frank predigte in der "Colonia Dignidad" vor Jahrzehnten seine urchristliche Heilslehre; viele ehemalige Bewohner der Colonia leben mittlerweile in Krefeld und besuchen regelmäßig die monatlichen Predigt-Veranstaltungen von Ewald Frank an der Herbertzstraße in Oppum, direkt an der Untergath. Gehört neuerdings auch Hartmut H. dazu, findet er gar Unterschlupf an der Herbertzstraße?

Prediger Franke, der gestern auf dem Gelände der Freien Volksmission mit unserer Zeitung sprach, sagte nur: "Der Mann ist nicht hier, zumindest jetzt noch nicht. Was künftig passiert, kann ich ja nicht sagen." Frank bestreitet heute jegliche Verbindung zur Sekte. Allerdings war sein Missionszentrum schon vor vier Jahren in den Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass Albert Schreiber dort bei den monatlichen Predigt-Treffen verkehrte.

(RP)
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