Mönchengladbach „Bei den Salafisten war ich zu naiv“

Ralf Jüngermann und Andreas Gruhn sprachen mit dem Stadtmitte-Bezirksvorsteher Reinhold Schiffers über die Bedeutung eines sanierten Hauptbahnhofs, eines neu gestalteten Platzes vor dem geplanten Einkaufszentrum an der Hindenburgstraße, einer konfessionellen Schulerziehung und einer neuen Bücherei.

Sie sind Bezirksvorsteher im Norden bis 2014. Bis dahin passiert eine Menge. Zu welchen Eröffnungen werden Sie bis dahin gehen?

Reinhold Schiffers Wenn in Mönchengladbach Dinge eröffnet werden, dann hat es sich eingebürgert, dass alles oberzentral ist. Ich gehe von einer ganzen Reihe von Einladungen aus und habe mir auch schon ein Outfit gekauft (lacht).

Wofür genau?

Schiffers Wenn die etwas im Bahnhof bauen, werden wir uns das sicherlich angucken. Was es für das Image einer Stadt bedeutet, einen ordentlichen Bahnhof zu haben, wird häufig unterschätzt. Gegenüber ist mit Haus Westland die nächste Baustelle. Aber ob ich das bis 2014 erleben werde, weiß ich nicht.

Aber Sie würden gerne hingehen.

Schiffers Da ist ein bisschen Bewegung offensichtlich. Wenn da Leute ans Werk gehen, die sich schnell entscheiden, kann das bis 2014 gehen. Planerische Voraussetzungen sind da, und gebaut wird immer ganz schnell.

Wohin muss die Stadtbibliothek?

Schiffers Da müssen wir relativ schnell eine Entscheidung treffen. In der Bezirksvertretung vergangene Woche konnten wir sehen, was passiert, wenn man dauerhaft Brandschutzauflagen ignoriert. Dann hat irgendwann die Bauaufsicht die Nase voll. Und das können wir uns überhaupt nicht erlauben.

Wo soll die Bibliothek denn hin?

Schiffers Es gibt viele Innenstadtlagen, wo es passt. Eine Bibliothek belebt die städtische Infrastruktur. Wenn man sich im Moment die Förderprogramme des Landes anschaut, gab es zuletzt für Museen sehr attraktive Förderprogramme. Warum also nicht einen Kulturbau für die Bibliothek? Wir müssen eine Lösung ins Auge fassen und umsetzen.

Und eine Renovierung?

Schiffers Das ist überhaupt keine Lösung. Das ist für den Brandschutz schön und gut, aber es bringt überhaupt keine Funktionsverbesserung. Und ein weiteres Highlight wird das Handels- und Dienstleistungszentrum. Schiffers Davon gehe ich aus. Das wird schnell gebaut sein. Und Sie werden eine sechste Gesamtschule eröffnen können. Schiffers Auch da glaube ich, dass wir auf einem guten Weg sind. Die Entscheidung, die Unterstufen auf dem Gelände der Gemeinschaftshauptschule Stadtmitte unterzubringen, ist richtig. Die hat viele Freiflächen. Auf dem Gelände der katholischen Hauptschule Aachener Straße wäre das viel schwieriger geworden.

Ist eine katholische Gesamtschule denkbar?

Schiffers Ja sicher. Wenn die Befürworter konfessioneller Erziehung sich mit dem Rücken zur Wand wehren, dann gibt es das Dilemma über kurz oder lang auch in Rheindahlen und Neuwerk. Wenn ich konfessionelle Erziehung in Mönchengladbach gestalten will, muss ich doch vom Potenzial, von der Nachfrage ausgehen. Dann bietet das Schulrecht eine ganze Palette von Möglichkeiten. Ich würde ihnen wünschen, sich umzuorientieren. Wäre für Sie eine katholische Gesamtschule in einem Stadtteil denkbar? Schiffers Diese Überlegungen werden sinnvoller Weise nicht vom Träger getätigt, der ist überkonfessionell. Wenn jemand etwas anderes meint, bitte. Man kann alles machen: ein katholisches Internat, ein katholisches Gymnasium, eine Privatschule.

Für wie wichtig halten Sie konfessionelle Schulen?

Schiffers Für mich ist die konfessionsgeprägte Schule wie die Marienschule ein Beispiel dafür, was es ausmacht, wenn eine Schule ein von Lehrern, Eltern und Schülern getragenes Leitbild hat. Die Richtung ist klar. Ich halte konfessionsgebundene Schulen nicht unbedingt für notwendig in unserem gesellschaftlichen Zusammenhang. Wir haben die Möglichkeit, und das finde ich in Ordnung. Aber es hat nur eine Funktion, wenn es wirklich an dem Leitbild orientiert ist. An vielen Stellen muss man aber bezweifeln, ob das Etikett das Leitbild ist, das von allen getragen wird.

Was ist Ihnen am Handels- und Dienstleistungszentrum aus bezirklicher Sicht besonders wichtig?

Schiffers Ich mache mir keine Gedanken über das betriebswirtschaftliche Konzept. Ich mache mir aber Gedanken, nachdem ich solche Einkaufszentren gesehen habe, darüber: Was passiert neben der Fassade, neben der Schauseite? Hinten sieht's absolut schrecklich aus. Es muss klar sein: Fassade heißt nicht nur vorne, sondern rundum.

Und die Gestaltung des Platzes?

Schiffers Da ist mir wichtig, das in einem größeren Zusammenhang zu sehen. Man sollte sich insgesamt Innenstadtgestaltungsaspekte angucken, wie es ein Auftrag der Stadt getan hat. Da war der deutliche Fingerzeig: Ihr habt so viel Potenzial, lasst das aber verludern. Da steht eine Streusandkiste vor einer gothischen Madonna, vor der klassizistischen Anlage am Huma wachsen Sträucher und viel mehr. Den Platz wird ein Architekt schon hinkriegen, da macht man keinen Murks mehr. Aber es hilft nichts, wenn der mit Dutzenden Schildern zugeballert wird und 50 Meter weiter eine Uhrensäule aus den 60ern steht. Auf so etwas müssen wir gucken.

Die Wegverbindung Stepgesstraße wird wegfallen.

Schiffers Ja. Das war für uns kein Thema. Das wird den Verkehr nicht zum Erliegen bringen.

Was halten Sie vom Masterplan?

Schiffers Das ist eine Frage der politischen Kultur in dieser Stadt. Der Aufwand, den private Menschen leisten, macht nur dann Sinn, wenn wir eine politische Kultur entwickeln, die wir in der Vergangenheit nicht hatten. Dass Politik bereit ist zuzuhören, ernst zu nehmen und nicht Dinge in der Schublade liegen zu lassen. Da will ja keiner der Stadt etwas vorschreiben, aber wenn es gut gemacht ist, hat man am Ende einen Plan, der uns die nächsten 30 Jahre begleiten kann. Außerdem: Man kann eine Menge schöner Ideen haben, die am Ende nicht funktionieren. Man kann etwas irgendwo reinpflanzen wie in Köln am Hafen, das auch funktioniert, aber das ist kein positiver Beitrag zu einem städtischen Leben. Da sind wir an vielen Stellen gefordert und müssen noch viel Überzeugungsarbeit leisten. In unserer Verwaltungskultur ist viel Ressentiment und Sorge drin.

Aber dabei könnte der Masterplan eine Hilfe sein.

Schiffers Das fängt im Kopf von Menschen an. Wo Aufbruch ist und wo Leute etwas machen wollen, da läuft auch etwas. Beispiel Altstadt: Da kommen Interessengruppen zusammen, kleine Impulse, die wachsen. Im Dezember machen wir an ein paar Stellen Glühwein-events. Das wird an der einen Bar genehmigt und auch an der anderen, aber das Stückchen dazwischen, das eine aktive Verbindung sein könnte, da wird die Sondergenehmigung nicht erteilt. Das Ordnungsamt sagt: Da könnte ja jeder kommen. Da muss also etwas im Kopf passieren. Nur dann passiert so etwas wie im Kölner Hafen hier nicht, weil dann alle mit dem Gedanken unterwegs sind: Wir wollen hier Stadt entwickeln, und nicht Bürohäuser bauen.

Was kann in der Altstadt bis 2014 passiert sein?

Schiffers Es hat viele Initiativen gegeben. An Stellen, an denen es ernsthafte Entscheidungen hätte geben müssen, hat es keine Unterstützung gegeben. das war frustrierend. Jetzt gibt es Leute, die sich dort verwirklichen wollen. Auch Gastronomen, die in ihre Läden investieren. Menschen aus der Kreativszene. Menschen, die bereit sind, mal mit anderen zu überlegen. Menschen aus der Politik, die bereit sind, Zeit reinzustecken. Eine Stadtplanung, die bereit ist, sich einzubinden. Und ich glaube, dass wir in diesem Prozess Investoren finden, die Schritt für Schritt die Entwicklung mitgehen wollen.

Düsseldorf hat gerade die Sperrstunde zwischen 5 und 6 Uhr abgeschafft.

Schiffers Man muss sich die Altstadt um 5 Uhr einmal anschauen: Das ist eine Katastrophe. Da entsteht eine Unruhe, denn ich habe auf einen Schlag alle auf der Straße. Und da ist immer Konfliktpotenzial. Da müssen wir überlegen: Bringt diese Stunde ordnungsbehördlich eigentlich, was wir wollen?

Mit welchen Gedanken haben Sie die die letzten Monate rund um die Salafisten in Eicken begleitet?

Schiffers Ich kenne diese Moschee seit fünf Jahren, deshalb war nicht nicht so irritiert. Ich kenne eine Reihe von Menschen dort durch meine Funktion als Schulleiter, deshalb hatte ich nie das Gefühl der unmittelbaren Bedrohung. Das war für mich immer Folklore. Ich habe jetzt gelernt, wie naiv ich in den fünf Jahren damit umgegangen bin. Jetzt habe ich die politische Dimension gelernt, und die finde ich bedrohlich. Wenn man es unter dem Aspekt Fundamentalismus, Extremismus diskutiert, hat die Bürgerinitiative schneller eine klare Position gefasst als ich in fünf Jahren. Mich hat das friedliche Engagement und die Art und Weise, wie sie sich mit Sorgen auseinandersetzen imponiert. Das hat mich in meinem Verständnis von Politik bestärkt: Menschen brauchen politische Vertreter, aber niemanden, der sie an die Hand nimmt.

Wie geht es dort weiter?

Schiffers Ich gehe davon aus, dass die Moschee dort baurechtlich nicht funktionieren wird. Vor 14 Tagen gab es noch keinen Bauantrag, irgendwann werden die formalen Konsequenzen gezogen. Im Moment wollen sie sich nicht verdrängen lassen. Aber irgendwann geht es an die Substanz des Vereins.

In Eicken wird sich die Sache also bald erledigen.

Schiffers Aber damit ist das Problem doch nicht aus der Welt. Die Menschen bleiben ja da. Es wird weiter Angebote für Kinder und Jugendliche geben. Wir müssen uns fragen: Warum ist das so attraktiv?

Warum ist der Salafismus denn für so viele Deutsche attraktiv?

Schiffers Ich erlebe die jungen Männer als Verlierer unserer Gesellschaft. Auf die geht der Verein massiv missionierend zu. Da werden gezielt Schwachpunkte genutzt, das ist in allen fundamentalistischen Ideologien dasselbe Muster. Und da müssen wir eingreifen. Wir müssen um die jungen Leute werben, ihnen Angebote machen.

Wie erleben Sie die vier neuen Stadtbezirke? Hardter hatten Sorge, nicht mehr Hardter zu sein.

Schiffers Hinter dieser Wahrnehmung steckt ein falsches Bild. Es gab doch immer Hardter, Venner, Poether — das waren nie alles Hardter. Sie haben jetzt noch immer ihre festen Ansprechpersonen. Deshalb gehe ich da auch gerne hin, ich habe keine Sprechstunde. Die Leute rufen mich an, und ich bin da. Und zwar überraschend schnell. Dafür brauche ich keinen Schreibtisch.

Aber als Bezirksvertreter haben Sie viel Arbeit.

Schiffers Ich bin es gewohnt, viele unterschiedliche Aufgaben im Alltag unter einen Hut zu bringen. Meine Arbeitszeit in der Schule läuft von montags, 8.30 Uhr bis donnerstags 22 Uhr. Meinen Unterricht habe ich auf zwei Tage gelegt, der Rest ist flexibel. Zum Beispiel: Am Venner Markt gibt es Probleme mit einigen Beschickern und der Marktsatzung. Dort versuche ich zu helfen und Kompromisse zu finden. In Mönchengladbach galt immer das Machtwort, für mich gilt aber: Wenn die Marktsatzung nicht zur Realität passt, muss man die Satzung ändern.

Wie ist es, in der ersten Reihe zu stehen?

Schiffers Mein Problem ist nicht die Bühne. Mein Job ist, die Stadt weiterzubringen. Gestaltung und Ego müssen da im Gleichgewicht bleiben.

Wie lange machen Sie das noch?

Schiffers Mal sehn, was 2014 ist. Wenn es gut war und die Wähler entscheiden, könnte ich es ja noch einmal machen.

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