Musiktheater "Josefine" Der Einzelne und die Masse

Mönchengladbach · Mit einem Großaufgebot an Mitwirkenden, darunter 60 Laiensänger, wird am Theater die Uraufführung eines Experiments vorbereitet. Am 13. Oktober wird zum ersten Male das Musiktheater "Josefine" nach einer Kurzgeschichte Franz Kafkas über die Bühne des Theaters gehen.

 Bei einer Probe für "Josefine" durften Schüler der 9. und 10. Klasse der Katholischen Hauptschule Grevenbroich sich als Dirigenten und Komponisten versuchen. Hier leitet die 15-jährige Sophie die Sinfoniker.

Bei einer Probe für "Josefine" durften Schüler der 9. und 10. Klasse der Katholischen Hauptschule Grevenbroich sich als Dirigenten und Komponisten versuchen. Hier leitet die 15-jährige Sophie die Sinfoniker.

Foto: Laura Brodbeck

Bei Massenprotesten, Kundgebungen, im Fußballstadion oder bei Rockkonzerten ist das Phänomen zu beobachten: Einer fängt an und alle machen plötzlich mit. Wie kann der Einzelne die Masse beeinflussen? In welchem Verhältnis stehen der Einzelne und die Masse zueinander? Das sind die Hauptfragen, mit denen sich das Theaterprojekt "Josefine" beschäftigt, das am Samstag, 13. Oktober, im Theater seine Uraufführung erleben wird.

Förderung aus Landesmitteln

"Es gibt darin nicht die eine Botschaft", erklärt Regisseur Christian Grammel bei der Einführung in die Uraufführungsproduktion. "Wir geben ganz viele Hinweise, die zur Auseinandersetzung mit dem Thema anregen sollen." "Josefine" ist ein Projekt des Fonds Experimentelles Musiktheater, das von der Kunststiftung und dem Kultursekretariat NRW gefördert wird. Viele Sparten — Musik, Bühne, Kostüm und Dramaturgie — sind gleichzeitig und gemeinsam an der Komposition des Stücks beteiligt. Jede Ebene hat mit ihren Mitteln das Thema umgesetzt und interpretiert.

Ausgangspunkt der Arbeit ist die Erzählung "Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse" von Franz Kafka — daher der Titel. Josefine ist Mitglied des Mäusevolks. Durch ihre vermeintliche Qualifikation als Sängerin — ihr Singen ist aber eher ein leises Pfeifen — hebt sie sich von der Masse ab. Das Volk verehrt sie, macht sie zur Identifikationsfigur. Am Ende verschwindet Josefine wieder in der Masse.

"Die Geschichte lässt sich nicht so einfach in unsere Zeit übersetzen, da sich das Verhältnis von Individuum und Masse verändert hat", erläutert Christian Grammel. Für uns heute sei die Masse nicht mehr real um uns herum, sondern oft durch Monitore fern gehalten. Deswegen finden auch digitale Module mit Videosequenzen Einzug in das Stück. Bühnenbildnerin Agnes Fabich: "Mit Stegen, die bis in den Zuschauerraum reichen, schaffen wir eine Verbindung und stellen damit das Publikum gleichwertig auf die Ebene der Bühnenakteure."

Diese Überschneidung und Vermischung gewinnt besonderen Ausdruck dadurch, dass die Masse — auf der Bühne, dargestellt von einem 60-köpfigen Chor — Laiensänger aus der Stadt sind. Der Chor produziert Geräusche, weniger Gesang. "Wie unter einem Vergrößerungsglas werden dabei einzelne Laute aus der Gesamtheit der Klänge isoliert", sagt Projektdramaturg Thomas Witzmann.

Vier Solisten des Opernensembles, die hin und wieder als Individuen hervortreten, und 16 Mitglieder der Niederrheinischen Sinfoniker wirken mit. Für das Orchester gibt es sogar "aleatorische", nach Zufallsprinzip bestimmte Gestaltungselemente. "Mit der individuellen Wahl der Lautstärke kann ein Einzelner plötzlich zur Josefine werden", so Grammel. Ja, jeder kann zu Josefine werden. Denn die Masse, wie sie durch die Parameter des Theaters dargestellt ist, ist ein sich stetig verändernder Prozess, aus dem der eine oder andere als Josefine hervortreten kann. Auf allen Ebenen wird dieses Wechselspiel fortgeführt, bis zur Kostümwahl.

(apo)
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