Mönchengladbach Die unsichtbare Brille

Mönchengladbach · Einige Dinge, die wir heute noch benutzen, wurden von Bürgern unserer Stadt erfunden oder wesentlich weiterentwickelt. Die Rheinische Post stellt diese Erfindungen vor. Heute: August Müller und die Kontaktlinse.

 Mit Linsen Fehlsichtigkeit korrigieren – eine Idee von August Müller.

Mit Linsen Fehlsichtigkeit korrigieren – eine Idee von August Müller.

Foto: Stadtarchiv MG

Wer zu eitel ist, eine Brille zu tragen, diese ständig sucht oder unter einem komplizierten Augenfehler leidet, wird über kurz oder lang auf Kontaktlinsen zurückgreifen. Millionen Kurz-und Weitsichtige machen mittlerweile weltweit von der "unsichtbaren Brille" Gebrauch, doch weiß wohl kaum jemand von ihnen, dass sie die Kontaktlinse nicht zuletzt auch einem Gladbacher Arzt zu verdanken haben — August Müller nämlich.

Geboren wurde dieser als Sohn eines Maschinenfabrikbesitzers am 4. März 1864 in Mönchengladbach. Nach seiner Schulzeit am Stiftisch-Humanistischen Gymnasium studierte er Medizin, unter anderem in Wien, München und Kiel. Das Studium verlangte ihm einiges ab, schließlich litt er unter einer Kurzsichtigkeit von minus 14 Dioptrien. Sein Leiden veranlasste ihn, einen besonderen Forscherdrang auf dem Gebiet der Augenheilkunde zu entwickeln. Mit Erfolg: Mit nicht einmal 25 Jahren, im Februar 1889, legte er seine Doktorarbeit zum Thema "Brillengläser und Hornhautlinsen" vor.

Die Arbeit widmete er seinen Schicksalsgefährten: "Dem Normalsehenden mag die Zeit, die dieselben (nachfolgenden drei Aufsätze) gekostet haben, vielleicht übel angewandt erscheinen. Meine Schicksalsgefährten werden mein Betreiben begreiflich finden." Etwa zeitgleich mit August Müller entwarfen der Marburger Adolf Gaston Eugen Fick und der Elsässer Eugene Kalt, beides Augenärzte, ähnliche Ideen. Die drei gelten heute als Väter der Kontaktlinse.

Müller war überzeugt, dass eine Linse mit derselben Form der Vorderfläche des Augapfels auf dem Auge haften würde. Das begründete er mit der Tränenflüssigkeit, die zwischen der Linse und dem Auge entstehe. Würde man die Linse entsprechend krümmen, könne man eine Fehlsichtigkeit korrigieren. Sein Wunsch, Augenarzt zu werden, scheiterte letztendlich an seinem erheblich beeinträchtigten Sehvermögen. Also ergriff er den Beruf des Orthopäden. Im Laufe seiner Berufslaufbahn erarbeitete er sich den Spitznamen "Knochen-Müller". 1899 eröffnete er eine Praxis an der Hohenzollernstraße 143.

Seine Kontaktlinsen-Idee verfolgte er dennoch weiter und ließ drei Linsen probeweise bei Zeiss in Jena herstellen. Er trug sie lange Zeit selbst, litt aber auch unter der geringen Verträglichkeit — so konnte er sie beispielsweise nicht länger als eine halbe Stunde am Stück vertragen. Die Firma Zeiss war nicht an einer Weiterentwicklung interessiert. 1932 stiftete Müller die Linsen dem Deutschen Museum in München. Am 5. September 1949 verstarb er im Alter von 85 Jahren.

Die Stadt Mönchengladbach wusste lange Zeit nichts davon, dass die bahnbrechende Entwicklung der Kontaktlinse auch einem Sohn dieser Stadt zuzuschreiben war. Erst 1980 bekam die Stadtverwaltung einen Tipp aus Frankreich, wo eine historische Forschungsarbeit über Kontaktlinsen in Arbeit war. Nachforschungen im Stadtarchiv bestätigten den Hinweis aus Frankreich schließlich.

Bis heute fehlt beispielsweise auch in der ansonsten unerschöpflichen Internet-Enzyklopädie Wikipedia ein Eintrag zu August Müller, zumindest in der deutschsprachigen Version. Die englische Fassung hingegen würdigt ihn als "pioneer in the manufacture of contact lenses", also als Pionier der Herstellung von Kontaktlinsen.

(RP/ac)
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