Britische Truppen verlassen Hauptquartier in Rheindahlen "Goodbye Mönchengladbach"

Mönchengladbach · Sie kamen als Besatzer und gehen als Freunde: An diesem Wochenende verabschieden die Mönchengladbacher die letzten britischen Soldaten und ihre Familien. Das 1954 eröffnete Hauptquartier im Ortsteil Rheindahlen wird geschlossen.

 Die "Band of The Prince of Wales's Division" beim Zapfenstreich vor dem Hauptgebäude, im Hintergrund eine Panzerhaubitze AS 90.

Die "Band of The Prince of Wales's Division" beim Zapfenstreich vor dem Hauptgebäude, im Hintergrund eine Panzerhaubitze AS 90.

Foto: Ilgner Detlef

Hunderte deutsch-britische Ehen und zahlreiche gemeinsame Clubs sind die auffälligsten Hinweise darauf, dass die Soldaten aus dem Vereinigten Königreich und ihre Familien am Niederrhein willkommen waren und sich wohlgefühlt haben. Mit dem Abzug der britischen Streitkräfte verliert Mönchengladbach jetzt einen kompletten Ortsteil, das "Joint Headquarters Rheindahlen". Das JHQ — diese englische Abkürzung steht für ein multinationales militärisches Hauptquartier — umfasste einst vier hohe Stäbe, darunter den der britischen Rheinarmee.

 Sie lernten sich über einen Freund in Gladbach kennen und kehrten zum Abschiednehmen auf das JHQ-Gelände zurück: Sir Stuart Peach, zweithöchster Soldat Englands, und seine Frau Brigitte, die in Hardt aufwuchs.

Sie lernten sich über einen Freund in Gladbach kennen und kehrten zum Abschiednehmen auf das JHQ-Gelände zurück: Sir Stuart Peach, zweithöchster Soldat Englands, und seine Frau Brigitte, die in Hardt aufwuchs.

Foto: Ilgner Detlef

In Großbritannien war "Rheindahlen" ein fester Begriff. Denn jeder ranghohe Offizier und viele Tausend Soldaten der British Forces waren im Laufe ihrer Dienstzeit irgendwann einmal im JHQ stationiert gewesen. Die Hälfte seiner Militärdienstzeit habe er in Deutschland verbracht, sein Sohn sei hier zur Welt gekommen, sagte General Sir Richard Shirreff bei seinem Abschied aus Rheindahlen 2010 — ein Beispiel von vielen.

 Stilecht im Schottenrock musizierte bei der Zeremonie die Cross Sword Pipe Band mit ihren Dudelsäcken.

Stilecht im Schottenrock musizierte bei der Zeremonie die Cross Sword Pipe Band mit ihren Dudelsäcken.

Foto: Ilgner Detlef

Dieses Kapitel deutsch-britischer Zusammenarbeit ist nun Geschichte: Ein Empfang mit Zapfenstreich war am Donnerstagabend der Auftakt zur endgültigen Außerdienstellung des JHQ. Am Freitag folgt um 10.30 Uhr eine Abschiedsparade britischer Truppen durch die Innenstadt; am Samstag können sich die Mönchengladbacher bei einer "Party in the Park" von 9 bis 22.30 Uhr im JHQ endgültig von ihren britischen Mitbewohnern verabschieden.

Im Kalten Krieg zwischen Ost und West war der Komplex die Schaltzentrale für die Verteidigung von ganz West- und Nordeuropa. Mehrere Hunderttausend Soldaten und ganze Luftflotten wurden von Rheindahlen aus befehligt — Mönchengladbach war damit viele Jahre die bedeutendste Garnisonsstadt Deutschlands. 6000 Menschen aus 17 Nationen lebten und arbeiteten zeitweise in der riesigen Anlage im Westen der Stadt. Doch das JHQ blieb — vom Jagdhund unterm Schreibtisch des Generals bis zum Tee mit Milch in der Offiziermesse — immer britisch dominiert.

"Londonderry Drive" oder "Queens Avenue" heißen die Straßen, "Fire Station" steht am Turm der Feuerwache, "Church Saint Thomas More" weist den Weg zur Kirche. Fast alle "Royals" waren im JHQ zu Gast, nur Königin Elizabeth II. selbst nicht. Ihr Geburtstag wurde indes in Rheindahlen alljährlich mit deutschen Gästen gefeiert.

Der legendäre Rommel-Gegner in Afrika, Feldmarschall Sir Bernard Montgomery, gehörte zu den Gründervätern der Anlage. Am 15. August 1952 hatten die Engländer, damals noch Besatzungsmacht, 400 Hektar Waldgebiet beschlagnahmt. Für 173 Millionen Mark entstanden weit über 2000 Gebäude, dazu Sportanlagen und ein Straßennetz von 36 Kilometer Länge. Herzstück der 1954 eröffneten Anlage ist das weiße "Big House" mit 2000 Räumen und labyrinthartigen Gängen, von denen einer 280 Meter lang ist.

Auch nach dem Ende des Kalten Krieges verlor das JHQ zunächst seine Bedeutung nicht. Das Allied Rapid Reaction Corps (ARRC) der Nato steuerte die Friedenseinsätze in Bosnien und im Kosovo. General Mike Jackson, der von 1997 bis 1999 Befehlshaber in Rheindahlen war, soll sogar einen dritten Weltkrieg verhindert haben. Er missachtete jedenfalls den Befehl des Nato-Oberkommandos, gewaltsam gegen die russischen Truppen vorzugehen, die im Kosovo-Konflikt als Verbündete Serbiens ohne Absprache den Flughafen der kosovarischen Hauptstadt Pristina besetzt hatten.

2007 kündigte das Verteidigungsministerium in London dann den Rückzug aus dem Rheinland an. Das JHQ war geostrategisch bedeutungslos geworden. Das ARRC ist mittlerweile ins englische Innsworth umgezogen; die letzten britischen Soldaten wechseln nun nach Bielefeld — für die Stadt ein herber Verlust: Unter anderem verloren mehr als 1200 zivile Arbeitnehmer ihre Stelle; die Kaufkraft der Soldatenfamilien dürfte jährlich mehrere Millionen Euro betragen haben.

Eine Arbeitsgruppe von Stadt und Land NRW versucht nun, das riesige Areal einer neuen Nutzung zuzuführen: Ein Drittel des Geländes soll wieder Wald werden, außerdem ein Windpark entstehen. Für das große Big House sucht man noch Mieter, vielleicht eine Behörde oder ein großes Unternehmen.

(RP)
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