Mönchengladbach Josefine spricht: "Chch, chrrr, prrr"

Mönchengladbach · An die 50 Sängerinnen und Sänger kamen zur ersten Chorprobe für das experimentelle Musiktheater "Josefine" im Theater Mönchengladbach. Die meisten hielten durch: Drei Stunden mussten Geräusche im vierstimmigen Satz erzeugt werden. Musik wird es aber auch geben.

Die zwölf Frauen, die Lennart Dohms zum Sopran bestimmt hat, brechen sich einen ab. "Machen Sie es wie ein Kind, das eine Kerze ausbläst", versucht der Mann mit dem Zopf in der Mitte einer knapp fünfzigköpfigen Schar von Gesangsenthusiasten den Sängerinnen zu vermitteln. So soll das klingen, was als Vierschlagnote mit einem unterschriebenen "p" auf einem Notenblatt steht. Kaum mehr als heiße Luft will aus den Mündern quellen, dabei hat sich der Komponist Sagardía ein tonloses, aber durchaus hörbares sanftes Brummeln vorgestellt, selbst wenn er darüber ein vierfaches Pianissimo notiert.

Leicht verzweifelt schauen die Frauen drein, während sie die ungewohnte Lippengymnastik vollführen. "Blasen Sie die Backen auf, nicht auf den Kehlkopf drücken", rät Dohms und dirigiert langsame Viertel dazu. Der Rest des Chores sitzt still und staunend im Karree, das sich im Chorsaal des Theaters um einen diesmal "arbeitslosen" Flügel herum gebildet hat.

Die erste Probe zum Musiktheaterprojekt "Josefine" ist eine mühsame Angelegenheit. Erfreulich viele Menschen zwischen acht und 75 Jahren haben sich auf der vierten Etage des Theaters eingefunden – und dabei gleich einmal die verwinkelten Flure des Hauses kennengelernt. "Die erste Hürde haben wir geschafft", sagt schnaufend eine ältere Dame, die zeit ihres Lebens in Kirchen- und Kammerchören aktiv ist, als sie von Regisseur Christian Grammel per Handschlag begrüßt wird. Der freut sich über die große Zahl, vor allem über die bunte Altersmischung der Menschen, mit denen er seine Idee eines Musiktheaters nach zwei Erzählungen Franz Kafkas realisieren will.

Als Grammel sich wenig später vor die Sänger stellt, spricht er von der "Mäusegesellschaft", die bei Kafka beschrieben wird. Und von seiner Vorstellung einer Menschenmasse auf der Bühne, die sich als eine Art "Klangklumpen" auf einer Rampe mitten durchs Publikum bewegen soll, wobei sie einen wabernden, suggestiven Klangteppich hervorbringt. Die Zuschauer sollen umgeben sein von einer unerhörten Musik, die aus einem Chor von Menschen kommt, der ein Abbild unserer Gesellschaft sein soll. "Keine Angst: Sie müssen nicht nackt sein, nicht mit Essen werfen und auch keine Mäuse spielen", nimmt Grammel gängige Klischees über Neues Musiktheater auf die Schippe.

Sein Chor soll aus Individuen bestehen, Alltagsmenschen, die sich bewegen und verhalten, wie sie es auch sonst tun. Die musikalische Arbeit gestaltet sich mühsamer als erwartet. Etliche Sänger sind wohl mit der diffusen Erwartung gekommen, sie sollten singen. Stattdessen gilt es, Zischlaute wie das "Ch" in der Färbung eines "O" oder "I" ganz vorn am Gaumen zu bilden oder mit einem "R" zwischen den Zähnen zum Flattern zu bringen. Zehn verschiedene Klänge sind zu lernen, die als Material für insgesamt 15 "Module" als vierstimmiger Satz auf losen Blättern notiert sind.

Doch so schlicht das Notenbild ausschaut, der Teufel steckt im Detail, und das ist rhythmischer wie lautmalerischer Natur. Während Dohms den Klang "ru" vormacht und dazu ein taubenhaftes Gurren hervorbringt, verlassen erste Sängerinnen die Gruppe. "Ist nicht unser Ding", sagen zwei Frauen. Hinten im Saal sitzen einige Eltern von jungen Mädchen, die als eine Art Spähtrupp eines Kempener Chores an der Probe teilnehmen. "Wir wollen später mit dem ganzen Chor dabei sein", sagt ein Vater. Dazu gurrt es im Tutti. "Na, geht doch", feuert Lennart Dohms den Chor an.

(ark)
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