Interview mit Dr. Michael Schmitz Prävention braucht einen langen Atem

Mönchengladbach · Dezernent Dr. Michael Schmitz erklärt, wie es gelang, den Rechtsanspruch auf Betreuungsplätze für unter Dreijährige zu erfüllen. Er spricht über die hohen Sozialabgaben in der Stadt und die wachsende Zahl der Inobhutnahmen.

 Dezernent Dr. Michael Schmitz.

Dezernent Dr. Michael Schmitz.

Foto: Ilgner

Herr Schmitz, über die Jahre ist die Gesamtsumme, die die Stadt Mönchengladbach für die unterschiedlichen Sozialleistungen ausgibt, größer geworden. Woran liegt das?

 An der Olefstraße wurde Ende 2012 eine neue Lena-Gruppe eröffnet.

An der Olefstraße wurde Ende 2012 eine neue Lena-Gruppe eröffnet.

Foto: Raupold

Michael Schmitz Mönchengladbach hat eine besondere Sozialstruktur. Insgesamt ist die Zahl der Transferempfänger, die auf staatliche Hilfe angewiesen sind, hoch. Das hat zum einen historische Gründe, hängt aber auch mit dem hiesigen Arbeitsmarkt zusammen. Von der Sozialstruktur sind wir absolut vergleichbar mit Ruhrgebietsstädten.

 Die zentrale Unterbringung von Flüchtlingen in einer großen Einrichtung wie an der Brucknerallee war "politisch nicht mehrheitsfähig", wie Schmitz sagt.

Die zentrale Unterbringung von Flüchtlingen in einer großen Einrichtung wie an der Brucknerallee war "politisch nicht mehrheitsfähig", wie Schmitz sagt.

Foto: Baum

Zahlt es sich aus, in Prävention zu investieren?

Schmitz Prävention ist ein guter Ansatz, um strukturell etwas zu verändern. Insbesondere bei den Hilfen zur Erziehung. Wir stehen dabei jedoch noch am Anfang. Wir haben jetzt das Home-Projekt, das über einen Zeitraum von drei Jahren gelaufen ist, ausgewertet. Dabei konnten wir feststellen, dass es uns durchaus gelungen ist, im Bereich der Pilotstandorte Eicken und Mülfort zu einer nennenswerten Reduzierung der Hilfen zur Erziehung zu kommen.

Das Projekt konnte jedoch nicht auf weitere Stadtteile ausgedehnt werden.

Schmitz Richtig, leider war das in Anbetracht der Haushaltszwänge nicht möglich. Das hängt auch damit zusammen, dass wir das Schulsozialarbeiter-Projekt, dem wir ebenfalls eine präventive Wirkung beimessen, übernommen haben. Die Politik hat darauf Wert gelegt, dass wir — sobald das Projekt im Januar 2014 in die kommunale Finanzierung gestellt wird — eine nennenswerte Einsparung bei den Hilfen zur Erziehung leisten.

Es gibt aber einen Kompromiss, den Sie mittragen.

Schmitz Ja, wir wollen 50 Prozent der entstehenden Personalkosten über die Einsparung bei den Hilfen zur Erziehung refinanzieren. Das ist ein ehrgeiziges und anspruchsvolles Ziel. Und wir sind bemüht, das zu erreichen. Die Idee an sich ist richtig, nach einem Jahr wird sich jedoch erst zeigen, ob wir das in voller Höhe erreicht haben, oder eine Anlaufphase benötigen.

An welchen Stellen kann die Wirksamkeit von Prävention besonders gut nachgewiesen werden?

Schmitz Heutzutage reicht es nicht mehr, eine positive Rückmeldung von Bürgern zu bekommen, die sagen: "Das ist ein Projekt, das meine Situation verbessert hat." Ein Projekt ist dann erfolgreich, wenn es auch einen fiskalischen Erfolg erzielt. Das ist eine Zielsetzung, die ich unterschreibe. Soziale Arbeit muss sich heutzutage an messbaren Kriterien orientieren. Das ist durchaus möglich, wenn auch nicht in kurzer Zeit.

Wie ist dabei die Strategie?

Schmitz Wir wenden uns an die Kinder und Eltern, die wir erreichen können, also Kinder im Kindergartenalter. Ziel ist es auch, auf Grundschulkinder und deren Eltern adäquat zuzugehen. Die Schulsozialarbeiter passen deshalb hervorragend in dieses Konzept hinein. Wir wissen aber, dass das durchschnittliche Alter der Kinder, die eine Hilfe zur Erziehung benötigen, über dem zehnten Lebensjahr liegt. Darum braucht Prävention durchaus einen langen Atem. Da bin ich der Politik dankbar, dass sie uns den zugesteht und nicht sagt, dass wir 100 Prozent der Kosten erbringen müssen.

Ist es denn ein Kampf, den Sie gewinnen können, oder benötigen Sie am Ende doch mehr Geld, um das Schlimmste zu verhindern?

Schmitz Das ist nicht auszuschließen. Es gibt Entwicklungen in unserer Gesellschaft, die von einer Stadt nicht steuerbar sind. Und wenn Fallzahlen ansteigen, dann ist es für eine Kommune nur begrenzt beeinflussbar. Von daher kann es keine Garantien geben. Die Hilfen zur Erziehung sind ja Leistungen, auf die Bürger einen Anspruch haben, weshalb man sie nicht durch einen Ratsbeschluss begrenzen kann. Prävention ist deshalb sozusagen die einzige potenzielle Steuerungsmöglichkeit.

Wo sind die Fallzahlen besonders gestiegen?

Schmitz Bei den Hilfen zur Erziehung haben wir 2012 einen leichten Rückgang der Fallzahlen verzeichnen können. Es wäre aber vermessen zu sagen, dass es einzig und allein der Verdienst des Home-Projektes ist. 2013 stellen wir jedoch wieder einen leichten Anstieg fest, der in die Richtung des Niveaus von 2011 geht. Wir beklagen leider auch einen Anstieg der Inobhutnahmen.

Das heißt, dass immer mehr Familien mit der Erziehung so überfordert sind, dass Kinder häufiger aus ihren Familien herausgenommen werden müssen?

Schmitz Ja, in manchen Fällen reicht die ambulante Hilfe nicht aus, um die Familie zu stabilisieren. Das liegt nicht an der Arbeit der Sozialarbeiter, sondern liegt oft an äußeren Umständen wie Arbeitslosigkeit oder Suchtproblemen.

Bundesweite Schlagzeilen mit besonders dramatischen Fällen von vernachlässigten Kindern hat Mönchengladbach bisher nicht gemacht. Ist das reines Glück?

Schmitz Es gab leider durchaus auch schlimme Fälle in Mönchengladbach. Es ist schwierig für einen Dezernenten, eine Garantie abzugeben, dass solche Fälle nicht mehr vorkommen. Niemand kann 100-prozentig vorhersagen, wie sich zum Beispiel jemand verhält, der psychisch krank ist, oder prognostizieren, wie menschliches Verhalten in Krisensituationen eskalieren kann. Das ist manchmal schon eine Gratwanderung für die Mitarbeiter, die die Entscheidungen treffen müssen, ein Kind aus der Familie herauszunehmen oder eben nicht.

Wie sieht es mit einem Standort für das Kriz aus?

Schmitz Das Kriz liegt im Zuständigkeitsbereich des Landesjugendamtes. Als zuständiger Fachdezernent kann ich den Bedarf solcher Einrichtungen nur bejahen. Kinder aus Mönchengladbach werden andernorts in vergleichbaren Einrichtungen betreut. Offenbar ist es jedoch nicht so einfach, ein passendes Objekt zu finden.

Schwierig ist es auch, weitere Flüchtlingsunterkünfte zu finden. Da sehen Sie Handlungsbedarf.

Schmitz Zunächst einmal war festzustellen, dass eine zentrale Unterbringung in einer großen Einrichtung politisch nicht mehrheitsfähig war. Das ist zu akzeptieren. Also müssen wir uns nach dezentralen Möglichkeiten umschauen. Wir haben uns auf die Situation eingestellt und in weiterem Umfang Wohnungen angemietet.

Gibt es Alternativen?

Schmitz Ja, wir sind zu zwei weiteren Anmietungen von Häusern gekommen, in denen wir insgesamt bis zu 100 Menschen zusätzlich unterbringen können. Da stehen wir auch in regem Austausch mit den beiden kommunalen Wohnungsbaugesellschaften und erfahren dort eine gute Unterstützung. Wir werden allerdings einige der Container (Bockersend, Hardter Straße) länger brauchen als erhofft, weil der Zustrom der Flüchtlinge anhält.

Können Sie die Sorge der Anwohner verstehen?

Schmitz Es geht um Menschen, die hilfebedürftig sind und Zuflucht suchen. Das sollte die Befürchtungen relativieren. Viele Flüchtlinge sind bereits seit Jahren in Mönchengladbach, und sie sind weitgehend unauffällig.

Positiv aufgefallen ist die Entwicklung der Kindergartenplätze. Da drohte angesichts des neuen Rechtsanspruchs ein Riesenproblem - das sich dann aber lösen ließ.

Schmitz Ja, es war so, dass wir in den vergangenen Jahren in der Versorgung mit Kindergartenplätzen allenfalls durchschnittlich aufgestellt waren. Wir haben das in den Griff bekommen mit Neubauten, aber auch mit neuen Wegen, wie unseren Lena-Gruppen.

Und es gibt nach wie vor keine einzige Klage von Eltern, die keinen Platz bekommen haben?

Schmitz So ist es!

RALF JÜNGERMANN UND SIMON JANSSEN FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

(jasi)
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