Mönchengladbach Umwerfend gut: So rockte Springsteen den Niederrhein

Mönchengladbach · Bruce Springsteen tritt im Borussia Park in Mönchengladbach auf, und 37.000 erleben ein überwältigendes, ein grandioses Open-Air-Konzert. Dieser Abend auf der allmählich zu Ende gehenden Welttournee Springsteens übertrifft sogar das Kölner Konzert im Mai 2012.

Bruce Springsteen steht auf der Bühne, als wolle er jemandem beim Umzug helfen. Er trägt schwarze Schweißbänder, die von den Handgelenken bis zu den Ellenbogen reichen. Er lässt die Arme hängen. Die schmale Krawatte hat er zwischen die Knöpfe ins nasse Hemd gesteckt. Er ist bereit. Der 63-Jährige kneift die Augen zu und schafft es trotzdem, die Brauen hochzuziehen. Das Piano spielt ein paar Takte, die einem bekannt vorkommen, dann singt Springsteen diese Zeilen: "Take me now baby, here as I am / Pull me close, try and understand".

Das Publikum schreit, das Lied heißt "Because The Night", jeder hier weiß das. Springsteen schenkte es einst Patti Smith, die damit ihren größten Hit hatte. Er reißt die Augen auf, packt die Gitarre, bringt seinen Song auf Höchstgeschwindigkeit und drückt den Refrain mit dem Zorn des Gerechten in die Arena: "Because the night belongs to lovers / Because the night belongs to us". Statt Menschen sieht man im Publikum nur mehr Fäuste: Der Boss hat wieder mal verdammt recht.

Bruce Springsteen tritt im Borussia Park in Mönchengladbach auf, und 37.000 erleben ein überwältigendes, ein grandioses Open-Air-Konzert. Dieser Abend auf der seit anderthalb Jahren laufenden und allmählich zu Ende gehenden Welttournee Springsteens übertrifft sogar das gelungene Kölner Konzert im Mai vergangenen Jahres. Springsteen entschlackte sein Set, den Block mit Gospeleinlagen hat er gestrichen, vom aktuellen Album "Wrecking Ball" spielt er kaum eine Handvoll Stücke.

Statt dessen lässt er das Publikum das Programm gestalten. Es hält Pappschilder mit Liedwünschen in die Höhe, und der Mann, den sie in den USA den Boss nennen, erfüllt sie. "Lasst uns das nehmen", ruft er seinen Musikern zu, zeigt in de Menge und spielt den Rock 'n' Roll-Klassiker "Shake, Rattle And Roll". Er bringt "Better Days" und "One Way Street", "Rosalia" und "Point Blank", und einige dieser Titel sind Premieren, die 14-köpfige E Street Band hat sie auf dieser Tour noch nicht aufgeführt.

Der Boss ist umwerfend gut gelaunt. Immer wieder springt er die drei Stufen hinunter zum Publikum, und man würde sich das Bild gern als Scherenschnitt an die Wand hängen: Der Musikmalocher mit der Gitarre auf dem Rücken. Er trägt das Instrument mit demselben Stolz, mit dem Marlon Brando als Hafenarbeiter in dem Film "Faust im Nacken" diesen Handhaken, der sein Arbeitsgerät ist, auf der Schulter trägt. Springsteen ist der gute Kerl aus New Jersey, der Problemlöser mit dem frohen Mut, der Kraftmeier mit Sinn fürs Feine - einer, von dem man sich vorstellen kann, dass er in Cowboystiefeln auf seiner Ranch sitzt und Zitate aus dem "Kleinen Prinzen" in sein Notizbuch schreibt.

Sie rufen seinen Vornamen, sie ziehen, das "U" in die Länge, so macht man das bei Springsteen. Er klatscht die Fans ab, umarmt sie, nimmt einen Becher Bier entgegen, trinkt auf Ex, die Hälfte lässt er aufs Hemd tropfen, dann reißt er das Griffbrett der Gitarre in die Höhe und singt "Badlands".

Großartig sind die Momente, wenn die Musiker vergessen, dass sie auf der Bühne stehen, wenn Nils Lofgren sein Gitarrensolo in "Because The Night" ins Unendliche dehnt, Springsteen in "Promised Land" Mundharmonika spielt und ein Duett beginnt mit Jake Clemons am Saxofon, dem jungen Neffen des verstorbenen Clarence Clemons.

Und weil selbst der Boss manchmal Chef sein muss, ergeht ab und an der Ordnungsruf des Rock: Bei "one, two, three" sammeln sie sich und bringen das Lied zum Ende. Am größten sind Ausgelassenheit und Spielfreude bei "Waitin' On Sunny Day", das so gut zu diesem Sonnentag passt mit seiner Schubidu-Stimmung, und dass man jahrelang unterschätzt hatte in seiner Wirkung, weswegen man es in diesem Sommer wieder häufiger auflegen möchte.

Am besten im Auto und bei geöffneten Fenstern, denn das ist überhaupt die beste Gelegenheit, Springsteen zu hören: wenn das Gaspedal durchgedrückt ist. Das euphorisierte Publikum sieht das ähnlich, es nimmt Springsteen die erste Strophe von "Hungry Heart" ab, es singt vom Aufbrechen und davon, nicht zurückzukehren, es ist ein Traum: "I took a wrong turn and just kept going". Volltanken, immer geradeaus, einfach laufenlassen.

Drei Stunden dauert der Auftritt, man spürt nicht, wie die Zeit verstreicht. Alle sind gleich wichtig, jeder Fan und jeder Musiker, alle werden gebraucht, weil man ansonsten nicht vollständig wäre, und Springsteen legt immer wieder nach. Seine daumendicken Adern drücken gegen die Haut am Hals, als er "Born In The USA" in das Stadion spuckt, dieses bittere Lied. Er lacht bei "Dancing In The Dark", weil man nicht anders kann als zu lachen bei "Dancing In the Dark".

Und bei "Born To Run" geht das Flutlicht an, was aber nicht schlimm ist, weil es keinen anderen Song gibt, der sich besser dazu eignet, das Flutlicht einzuschalten. So scheint am Ende dieses Auftritts die Sonne, obwohl es schon dunkel ist.

(rl)
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