Mönchengladbacher Polizeipräsident Wir dulden keinen Rockerkrieg

Mönchengladbach · Im Redaktionsgespräch erklärt Polizeipräsident Hans-Hermann Tirre (61), warum er sich für die Kameras auf dem Alten Markt stark macht, weshalb der Krankenstand bei der Polizei hoch ist und dass er auch in Zukunft Hundertschaften gegen Rocker aufbieten wird.

Januar 2012: Rocker prügeln sich in Mönchengladbach
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Januar 2012: Rocker prügeln sich in Mönchengladbach

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Herr Tirre, seit November 2008 sind Sie Polizeipräsident. Was haben Sie sich damals vorgenommen, was haben Sie bisher erreicht?

Tirre Die größte Aufgabe nach wie vor ist die Senkung des Krankenstandes, der allerdings landes- wie bundesweit bei der Polizei aus erklärlichen Gründen sehr hoch liegt. Wenn wir ihn nur um ein paar Prozentpunkte senken können, würde dies viele Probleme auch auf der Straße lösen. Durch eine einfache Ansprache erreicht man dieses Ziel nicht. Man muss das interne Gesundheitsmanagement großflächig ändern. Dazu gehören unter anderem Nichtraucherprogramme. Auch ernährungsphysiologische Hilfe bieten wir an. Doch haben die Maßnahmen noch nicht so gewirkt, wie ich es mir vorgestellt habe.

Wie hoch ist denn der Krankenstand?

Tirre Das hängt von der Jahreszeit ab. Er pendelt zwischen sieben und neun Prozent. Das ist zu viel, insbesondere da die Langzeitkranken — jene, die länger als sechs Wochen fehlen — drei Prozent der Quote ausmachen.

Ist Burn-out ein Problem?

Tirre Ja, Burn-out ist ein Thema. Ich nehme diese Krankheit in der letzten Zeit verstärkt wahr, ohne dass ich sie klassifizieren will. Sie besteht aus einem Konglomerat von Ursachen.

Welche Ziele verfolgen sie noch?

Tirre Mir ist bei meinem Amtsantritt aufgefallen, dass der Anteil der Frauen in der Mönchengladbacher Polizei gering. Nur drei Frauen sind in Führungspositionen tätig. Auch daran arbeiten wir. Das ist ebenfalls eine langfristige Entwicklung.

Das Innenministerium erstellt gerade eine Studie über Gewalt gegen Polizisten. Haben die Angriffe zugenommen?

Tirre Wir hatten in Gladbach ein paar sehr markante Fälle. Das hat uns alle erschreckt und beunruhigt. Wir liegen statistisch gesehen allerdings nicht überdurchschnittlich hoch. Aber es ist richtig: Man begegnet uns mit einer gesteigerten Aggressionslust. Oft fehlt der nötige Respekt.

Viele Bürger haben den Eindruck, die Jugendkriminalität in der Stadt nähme zu. Stimmt das?

Tirre Nein, objektiv stimmt das nicht. Aber wir nehmen das subjektive Empfinden der Bürger ungemein ernst. Nicht zuletzt deshalb wirkt die Polizei auch als Erziehungshelfer. Wir gehen etwa in Schulen und Berufsschulen, um präventiv zu arbeiten.

Ausgerechnet in der Mönchengladbacher Altstadt ist der Rockerkrieg zwischen Bandidos und Hells Angels neu entbrannt. Gab es vorher Hinweise?

Tirre Die erste Auseinandersetzung hat uns vollkommen überrascht.

Kurz nach dem ersten Vorfall standen erneut Hundertschaften auf dem Alten Markt. Ein Helikopter kreiste über der Innenstadt. Die Rocker blieben fern. Müssen sich die Gladbach an solche Einsätze jetzt gewöhnen?

Tirre Wenn Hundertschaften nötig sind, werden wir sie aufbieten.

Befürchten Sie denn einen ständigen Rockerkrieg in der Stadt?

Tirre Ich kann nicht in die Zukunft blicken. Aber wir werden bei Hinweisen sofort Präsenz zeigen. Wir werden einen solchen Krieg nicht zulassen. Die Leute sollen Lust haben, in die Altstadt zu gehen. Sie sollen sich sicher fühlen. Dafür sorgen wir.

In Mönchengladbach gibt es den MC Gremium und die Outlaws. Beide gelten als Unterstützer der befeindeten Rockerbanden. Stehen die Mönchengladbacher Vereine auch unter Beobachtung?

Tirre Wir sind nicht so naiv zu glauben, dass sich die Rockerszene nur in gewissen Zirkeln abspielt. Es gibt Verbindungen in der Szene. Andererseits ist nicht jeder Motorradfahrer für uns verdächtig.

Die Videoüberwachung in der Altstadt ist umstritten. Immer öfter hört man vom sogenannten Big Brother-Effekt: Die Kameras würden irgendwann ausgeblendet. Andererseits halfen sie unter anderem dabei, beteiligte Rocker zu identifizieren...

Tirre Es ist richtig: Unabhängig davon, ob sich in der Altstadt Kameras befinden oder nicht, kommt es zu Tätlichkeiten. Im Umkehrschluss heißt das: Die Auseinandersetzungen werden durch sie nicht verhindert. Man wird nur schwer den Beweis erbringen können, dass die Kameras präventiv wirksam sind. Allerdings steigt durch sie die Aufklärungsquote, und wir können schneller reagieren. Oft sind wir vor Ort, bevor es eskaliert. Gerade deshalb werde ich mich darum bemühen, dass die Videoüberwachung auch in den nächsten Jahren genehmigt wird.

Halten Sie die Kameras für unbedenklich im Hinblick auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht?

Tirre Man sollte definitiv nicht alles tun, was die Technik heutzutage ermöglicht. Die Autobahn, auf der ich jeden morgen nach Gladbach fahre, ist zu Testzwecken mit zahlreichen Kameras bestückt. Technisch wäre es kein Problem, sie mit automatischer Gesichtserkennung auszurüsten. Das beunruhigt mich. Ich bin absolut dagegen, dass man nicht mehr frei über seine eigenen Daten entscheiden kann und dass von uns allen ein lückenloses Bewegungsprofil angefertigt wird. Aber ich bin dafür, dass wir im Rahmen unserer rechtlichen Möglichkeiten alles aufklären.

Der islamistische Verein "Einladung zum Paradies" hat sich aufgelöst. Aber die Personen sind noch da. Wie bewerten Sie die gegenwärtige Situation?

Tirre Der Verein muss ja aus finanziellen Gründen noch abgewickelt werden. Im Moment macht er uns allerdings keine Probleme. Jene, die sich dem Verein zugehörig fühlen, treten polizeilich nicht in Erscheinung.

Wie ist es aktuell um die rechtsextreme Szene bestellt?

Tirre In Aachen, Dortmund und Wuppertal gibt es eine starke Konzentration. Im Umkehrschluss heißt das allerdings nicht, dass es diese Gesinnung hier nicht gäbe. Es gibt ein Umfeld, das wir im Auge behalten müssen. Aber ich befürchte keine Ereignisse wie in Dortmund.

Immer öfter hört man von Einbrüchen. Nehmen sie zu?

Tirre Ja, aber nicht nur in Mönchengladbach. Wir haben landesweit eine hohe Anzahl von Wohnungseinbrüchen. Die Aufklärungsquote ist schlecht. Meist sind es Tätergruppen, die umher reisen. Oft reichen die Spuren nicht.

Beim Skimming gehen die Täter immer einfallsreicher vor. Wie schwierig ist es für die Polizei, bei den neuen Abzock-Methoden auf dem neuesten Stand zu bleiben?

Tirre Diese organisierte Form der Kriminalität ist in der Tat ein Problem. Da wird etwa unbemerkt in Baumärkte eingebrochen und lediglich das EC-Karten-Lesegerät ausgetauscht. Es folgt ein zweiter Einbruch, bei dem wieder das alte angeschlossen wird. Kurze Zeit später wird aus Mexiko mit den gestohlenen Daten Geld abgehoben. Wir haben in Mönchengladbach Beamte, die sich auf diesen neuen Zweig der Kriminalität spezialisiert haben.

Die Zahl der Verkehrstoten ist drastisch gestiegen. Die Polizei tut schon sehr viel: Sie gibt Kontrollstellen bekannt, macht Präventionskampagnen. Was kann man noch tun, um den negativen Trend zu stoppen?

Tirre Die Verkehrsstatistik ist aufgrund von Einzelfällen sehr zufallsabhängig. Man kann sie daher in ihrem Ausschlag nach oben nur schwer beeinflussen. Andererseits steht fest, dass überhöhte Geschwindigkeit oft eine Rolle spielt. Vielleicht würde es helfen, in diesem Bereich den Bußgeldkatalog zu verschärfen. Vielleicht würden die Leute dann vorsichtiger fahren. Bei den Unfällen allerdings registrieren wir in der Stadt sinkende Zahlen.

Stichwort: neues Polizeipräsidium. Wie ist der Stand der Dinge?

Tirre Ich stehe in einem lebhaften Dialog mit allen Beteiligten. Ich fühle mich vom Ministerium und allen Gremien in der Stadt voll unterstützt. Vielmehr kann man dazu nicht sagen.

Gabi Peters, Jan Schnettler und Fabian Eickstädt führten das Gespräch.

(fae)
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