Nettetal Erinnern als Fundament von Zukunft

Nettetal · Schüler des Werner-Jaeger-Gymnasiums gestalteten gestern die Holocaustgedenkfeier in der Alten Kirche in Lobberich. Die Predigt hielt Klaus Hubatsch.

Nettetal: Erinnern als Fundament von Zukunft
Foto: Busch

Jedes Jahr im Januar nennen Schüler die Namen von Angehörigen Kaldenkirchener, Lobbericher und Breyeller Familien. Sie erinnern am 27. Januar daran, dass auch in Nettetal Menschen jüdischer Herkunft Opfer von systematischer Verfolgung und Vernichtung wurden. In diesem Jahr stellten Schüler des Werner-Jaeger-Gymnasiums der Gedenkfeier in der Alten Kirche die Frage voran: "Warum soll ich trauern? Ich kenne die Opfer des Krieges nicht. Was geht mich das an?"

In seiner Predigt gab später Klaus Hubatsch die Antwort auf die Frage, und er machte deutlich, dass Trauer, Erinnerung, Schuld, aber auch Vergebung eine Angelegenheit aller Deutschen ist. Niemand könne und dürfe sich dem entziehen. "Erinnern ist das Geheimnis der Erlösung" ist eine jüdische Weisheit, an die Hubatsch in seiner Ansprache anknüpfte. Gleichzeitig machte er deutlich, warum die Deutschen sich ihrer Vergangenheit nicht entziehen können: "Geschichte ist Voraussetzung von Gegenwart und damit das Fundament der Zukunft." Hubatsch schlug in der voll besetzten Alten Kirche so den Bogen zur Gedenkfeier 68 Jahre nach der Befreiung der Vernichtungslager Auschwitz und Birkenau durch die Erste Ukrainische Front. So lange nach dem schier unbeschreiblichen Geschehen im Namen und vor den Augen des deutschen Volkes könne tatsächlich heute das Vergessen einsetzen, stellte Hubatsch fest. Überlebende Opfer und Täter gibt es nur noch wenige. Und doch legt die unmittelbare Nachkriegsgeneration das Erinnern nun in die Hände jüngerer Menschen. Die Vernichtung und Verfolgung von Juden, von Sinti und Roma, von Homosexuellen und von behinderten Menschen wirke bis heute fort. "Die Eskalation der Gemeinheit" entwickelte sich unter den Augen der gesamten Öffentlichkeit, und kaum jemand schritt dagegen ein. Niemand sollte denken, dies sei nicht mehr möglich.

Hubatsch warnte vor dem schleichenden Gift eines sich entwickelnden Totalitarismus: "Wir sollten wissen, wie er beginnt und sich ausbreitet." Auch darum müsse die Erinnerung an die 70- bis 80-jährige Vergangenheit wachgehalten werden. Das Orchester des Gymnasiums hatte unter der Leitung von Yvonne Herter mit Bachs "Air" die Gedenkveranstaltung begonnen. Es gibt dafür in Nettetal keinen besseren Ort als die karge, nach Kriegsbeschädigungen bewusst sehr spröde hergerichtete Barockkirche. Gesänge steuerte der Schülerchor unter der Leitung von Björn Kai Feist bei.

In einer eindrücklichen Szene erinnerten neun Schüler daran, wie Menschen aus der Mitte ihrer Gemeinde verschwanden. Still, lautlos und ohne eine Regung ihrer Umwelt. Die Gedenkfeier endete aber nicht in Hoffnungslosigkeit, sondern mit dem gemeinsam gesungenen Lied vom Mandelzweig: "Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt, ist das nicht ein Fingerzeig, dass die Liebe bleibt?" Am Mahnmal für die jüdischen Bürger Nettetals vor der Alten Kirche legten Schüler mit Klaus Hubatsch und Bürgermeister Christian Wagner einen Kranz nieder.

(RP)
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