Nettetal In den Ruinen des "weißen Raben"

Nettetal · Die geflieste Fassade hat den Verfall zumindest optisch lange aufgehalten. Doch jetzt zeigt sie Risse. Sie bröckelt. Und sie ist ein Symbol für den Untergang der Niedieck AG, die in den Hochzeiten der Krise in der Textilindustrie als "weißer Rabe" scheinbar dem Niedergang eines ganzen Industriezweiges trotzte. Nur wer die Werkshallen hinter der einst stolzen Fliesenfassade kennt, der weiß, dass Niedieck schon lange an Auszehrung gelitten hat.

 Verblühter Sommerflieder, ein zerzaustes Graffiti und viel zerdeppertes Glas. Im Lobbericher Niedieck-Werk wird schon lange kein Samt oder Cord mehr hergestellt. Die Gebäude sind ausgeräumt. Sie warten nur noch auf den Abriss.

Verblühter Sommerflieder, ein zerzaustes Graffiti und viel zerdeppertes Glas. Im Lobbericher Niedieck-Werk wird schon lange kein Samt oder Cord mehr hergestellt. Die Gebäude sind ausgeräumt. Sie warten nur noch auf den Abriss.

Foto: Peters

Peter van Zandvoort kennt das Niedieck-Areal bis in den letzten Winkel. Für die J.H. Laarakkers Rückbau und Recycling GmbH bereitet er den Abbruch, die Flächensanierung und Erschließung des brachliegenden Industriegeländes vor. Zielsicher geht er von der Oberen Färberstraße her in das Gelände. Er öffnet Tore und Türen, eilt durch Hallen, Gänge und Werkräume. "Vorsicht", sagt er manchmal, wenn es dunkler wird. "Hier sind Metallroste abgehoben worden, die einen Schacht abdeckten."

Nicht Laarakkers Leute waren das, sondern Diebe. "Sie folgen uns auf Schritt und Tritt", erklärt van Zandvoort. Leerstehende Gebäude, in der Größenordnung des Niedieck-Werks allemal, ziehen an. Am Anfang schien es in Lobberich gutzugehen. Ein paar Jugendliche eroberten sich eine Produktionshalle, in der sie eine Skater-Anlage mit allerlei Hindernissen für waghalsige Sprünge aufbauten. Andere hinterließen zum Teil sehenswerte Graffiti. "Die hätten uns nicht weiter gestört, wenn nicht die Unfallgefahr an jeder Ecke da wäre", sagt van Zandvoort.

Im Spätsommer 2010 ändert sich das. Die Idylle verlor ihre Unschuld. Mit dem Fest des "WDR2 für eine Stadt" begannen der ungehemmte Vandalismus und die systematischen Diebstähle. Als Erstes wurden sämtliche Fensterscheiben aller Gebäude eingeworfen. Man hat keine übersehen. Büros wurden so hemmungslos verwüstet, als befinde sich jemand auf einem Rachefeldzug. Alles Metall, das nicht niet- und nagelfest war, geriet ins Visier von Dieben. Und schließlich begannen die Brandstiftungen. Im Obergeschoss des Hauptgebäudes waren Hunderte von Textilmustern vorhanden, die ein Museum vielleicht sehr gerne gehabt hätte. Sie wurden angezündet.

Wer durch den Komplex wandert, der ahnt, was dieses Unternehmen einst ausgemacht hat: Die breiten Treppen mit Auslegware im Bürotrakt, Konferenzräume, Chefbüros und die völlig verwüstete Portiersloge sind die eine Welt. Die Hallen und Maschinenräume mit Schildern, auf denen Anweisungen stehen, bilden die andere Welt. Untergegangen sind beide. Im nächsten Jahr soll der Abriss losgehen. "Ich denke, dann sind wir soweit", sagt Peter van Zandvoort.

(RP/ac)
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