Schwalmtal Den Toten ein Gesicht geben

Schwalmtal · Vor 25 Jahren übernahm die Europaschule Schwalmtal die Patenschaft für die Gedenkstätte in Hostert. Auf dem Anstaltsfriedhof wurden auch behinderte Kinder begraben, die während der NS-Zeit in Waldniel getötet wurden.

Ein rosiges gesundes Baby ist die kleine Margarethe, die im Juni 1941 in Krefeld geboren wird. Doch ein Kindermädchen lässt das Kind fallen. Es schlägt mit dem Kopf auf den Rand der Badewanne auf – und trägt eine geistige Behinderung davon. In der NS-Zeit das Todesurteil für viele Kinder, die unter anderem in die Kinderfachabteilung der Provinzial Heil- und Pflegeanstalt in Hostert gebracht werden. Auch die kleine Margarethe kommt 1943 nach Hostert. Kurz nach ihrem zweiten Geburtstag stirbt sie, offiziell an einer "akuten Herz-Kreislaufschwäche". Schicksale wie das von Margarethe sind es, die die Schüler der Europaschule in Schwalmtal besonders bewegen. Gerade Margarethes Geschichte sei ihr "sehr nah gegangen", sagt die 15-jährige Jocelyn Schaible. Denn die kleine Margarethe, die in Hostert starb, hat ein Gesicht, einen Namen und eine Familie, die sich an sie erinnert.

Zugang zur Geschichte finden

Vor 25 Jahren übernahm die Europaschule Schwalmtal die Patenschaft für die Gedenkstätte, die ab 1986 auf dem ehemaligen Anstaltsfriedhof in Hostert eingerichtet und 1988 eingeweiht wurde. Neunt- und Zehntklässler der Schule hatten dort eine Hecke gepflanzt, die Geschichte der Kinderfachabteilung im Rahmen einer Projektwoche aufgearbeitet. Aus den Recherchen dieser Projektwoche verfasste Peter Zöhren, damals Lehrer an der Schule, eine Schrift unter dem Titel "Nebenan – eine andere Welt. Waldniel-Hostert 1909-1945". Diese Schrift lesen die Zehntklässler noch heute im Unterricht, wenn NS-Zeit und Euthanasie Thema werden. Dass Ärzte in Waldniel Patienten mit Behinderung, große und kleine, als "nicht bildungsfähig" oder "nicht abrichtfähig" zum Tode verurteilten, macht die Zehntklässler sichtlich betroffen. "Das Thema geht mir sehr nah", sagt der 17-jährige Nils Derendorf. "Ich finde es selbstverständlich, dass man sich darüber informiert – vor allem deshalb, weil es hier in der Nähe passierte."

Sicherlich sei der Geschichtsunterricht durch die Auseinandersetzung mit den Schicksalen der ermordeten Kinder "emotional gefärbt", sagt Schulleiter Arthur Siemes. "Aber die Schüler brauchen einen Zugang zu den Geschehnissen in dieser Zeit." Die Patenschaftder Schule für die Gedenkstätte stelle die erlebbare Verbindung zur Geschichte dar, wo die Schüler aktiv werden könnten. In den Fächern Religion und Deutsch werde dieVerbindung zum Heute hergestellt, erläutert Gerda-Maria Voß, Klassenlehrerin der 10 a: "Wir stellen immer wieder die Frage: Was macht den Menschen zum Menschen?"

Die Unterrichtsreihe mündet in der Gestaltung einer Gedenkstunde, die alljährlich am 27. Januar, dem Tag der Befreiung von Auschwitz, in Hostert gehalten wird. Morgen werden die Schüler um 9 Uhr wieder dort stehen, Kerzen an die Besucher verteilen und einige der Kinder, die in Waldniel getötet wurden, beim Namen nennen. Sie werden ihre Geschichte erzählen und gemeinsam dazu aufrufen, das Schicksal der Kinder von Hostert nicht zu vergessen.

(RP)
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