Kreis Viersen Kommentar: Politik unter der Zipfelmütze

Kreis Viersen · Als die erste deutsche Eisenbahn am 7. Dezember 1835 zu ihrer Jungfernfahrt von Nürnberg nach Fürth aufbrach, warnte der damalige Obermedizinalrat die Fahrgäste vor den schweren gesundheitlichen Schäden, die durchs Bahnfahren verursacht werden könnten: Durch die ungeheure Geschwindigkeit von bis zu 30 km/h, meinte er, würden die Passagiere erblinden!

Der gute Mann wusste es vermutlich nicht besser, vielleicht aber war er auch zu sehr der Pferde-Lobby verbunden. Man weiß es nicht. An die Anekdote erinnert der hartnäckige Widerstand einiger politischer Kreise in der Region gegen die Regiobahn. Nicht der Zukunft zugewandt, sondern einer diffusen Mischung aus purer Angst und grundsätzlicher Ablehnung sind solche Haltungen geschuldet. Doch mit Zipfelmützen-Politik hat noch nie jemand seinen Sprengel vorangebracht, selbst wenn der Viersen oder Mönchengladbach heißt. Es mutet geradezu hinterwäldlerisch an, dass sich jemand gegen die Regiobahn mit dem Argument wehrt, alle Züge müssten durch den Hauptbahnhof Mönchengladbach fahren. Glaubt man, dass Pendler von Kaldenkirchen nach Düsseldorf in Mönchengladbach ihren Zug verlassen, um dort auch nur einen Kaugummi zu shoppen? Das ist lächerlich und miefig provinziell. Klüger wäre es, die Fernverbindung auf der Schiene von Eindhoven über Mönchengladbach nach Düsseldorf voranzutreiben. Geradezu eine Frechheit sind Behauptungen, entlang der neuen Regiobahnstrecke werde es unerträglich laut. Das ist schlicht eine Lüge. Und übrigens: Die Speckgürtel um Berlin, München und Hamburg haben sich gerade auch durch ein dicht gewirktes S-Bahn-Netz entwickelt. Dabei ging es um die umweltverträgliche und wirtschaftliche Verbindung des (grünen) Wohnens mit dem Arbeitsplatz. In Berlin um 1900, in München 1972. Wer das 2012 hier verhindert, vergeht sich an den Bürgern. LUDGER PETERS

(RP)
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