Willich Die neue Gesamtschule ist richtig

Willich · Interview: Christian Pakusch, Vorsitzender des Schulausschusses in der Stadt Willich, über Erwartungen an den Aufbau der zweiten Gesamtschule in der Stadt Willich und über Herausforderungen, die ein künftiges Inklusionsgesetz für die Schulen in der Stadt mit sich bringt

Die Bezirksregierung sagt: Willich ist die einzige Stadt in NRW mit einem Zwei-Säulen-Modell in der Schullandschaft, also Gymnasien und Gesamtschulen. Wie fühlt man sich als Vorsitzender eines Schulausschusses in einer Pilot-Stadt?

Christian Pakusch Gut, besser gesagt: mittlerweile wieder gut. Denn ich muss sagen, dass mir der Entscheidungsprozess einige Nerven geraubt hat.

Inwiefern?

Pakusch Ende 2009 nach der Kommunalwahl hatten wir Gespräche gesucht mit der Johannesschule in Anrath und der Willi-Graf-Realschule in Schiefbahn, wie es weitergehen könnte. Uns war klar: Wenn irgendetwas passieren würde,würde es an diesen beiden Schule kommen. Ich habe das Thema recht schnell in den Schulausschuss geholt. Und dann kam die Gemeinschafttsschule auf, die ja dann in einigen Kommunen keinen juristischen Bestand hatte. Ich hatte da auch Bedenken. Wenn ich als Kommune den Eltern etwas sage, die Schule kommt jetzt, dann möchte ich auch Sicherheit haben. Deshalb ist es für mich gut wie es ist, dass wir jetzt die zweite Gesamtschule haben. Und für mich ist auch ein wichtiger Faktor, dass wir nicht neu bauen müssen.

Erklären Sie bitte warum?

Pakusch Die Schulen in der Stadt Willich haben nach Angaben der Verwaltung einen Wert von rund 200 Millionen Euro. Wenn man bei der angespannten Haushaltslage hingegangen wäre und hätte gesagt, jetzt bauen wir einmal eine neue Schule für fünf bis acht Millionen Euro, hätte man das bei der städtischen Finanzsituation nur schwer erklären können. Die Dependance-Lösung, die wir jetzt haben, finde ich gut. Sie gehören einer Partei an, die noch vor Jahresfrist nicht als erste genannt worden wäre, wenn man Freunde einer Gesamtschule gesucht hätte.

Wie kam es zu dem Wandel?

Pakusch Es waren die Gespräche mit der hiesigen ersten Gesamtschule, vor allem mit Frau Will-Nieding, der Schulleiterin. Die Alternative wäre eine Sekundarschule gewesen, das wäre aber letztlich doch keine gewesen. Ein drittes Gymnasium brauchen wir nicht. Also war die Sache klar.

Zwei bewährte Schulen laufen ab Sommer aus, Schulen, vor allem die Johannesschule, die in Sachen Förderung und Integration anerkanntermaßen gute Arbeit leisten.

Pakusch Wenn ich da einhaken darf: Es war Frau Kirchmair, die Leiterin der Johannessschule, die immer gesagt hat: "Jetzt macht doch mal endlich". Sie wollte im Interesse der Kinder, die Integration und Sprachförderung brauchen, eine tragfähige Entscheidung.

Sie haben aber bislang nur für den integrativen Unterricht eine Entscheidung, für die Deutsch-Förderung noch nicht. Was tun, wenn das nicht hinhauen sollte? In der Frage ist die Stadt abhängig von der Bezirksregierung.

Pakusch Ein großer Teil der Förderung, nämlich die integrative Arbeit, geht an die heute schon bestehende Gesamtschule. Die Deutsch-Förderung der Johannesschule wird — wie es aussieht — an die neue Gesamtschule kommen. Das wird eine Entscheidung sein, die vor Ort getroffen wird, nämlich in der Schule. Indirekt ist die Bezirksregierung auch beteiligt, weil sie die Stellen zur Verfügung stellt. Sollte es da Probleme geben, was ich nicht erwarte, glauben Sie mir, dass der politische Druck in der Stadt Willich so groß wird, dass die Bezirksregierung einsieht, dass wir die Sprachförderung beibehalten wollen.

Also Sie legen sich fest: Integrativen Unterricht und Sprachförderung wird es auch künftig in der Stadt Willich an weiterführenden Schulen geben.

Pakusch Ja, das ist sicher.

Was erwarten Sie von der neuen Gesamtschule?

Pakusch Ich erwarte eine neue Schwerpunktsetzung. Einfluss nehmen können wir als Politik darauf nicht, was auch gut ist. Aber wir können alle Beteiligten ermutigen und sagen: Nutzt Eure Chance, Ihr könnt eine neue Schule aufbauen. Mit dem pädagogischen Konzept wird sich zeigen, wo es hingehen wird mit der neuen Schule. Aber das braucht Zeit. Das hat man auch am Lise-Meitner-Gymnasium in Anrath gesehen, als es neu war. Das neue Konzept musste wachsen. Der neuen Schule sollte man fünf Jahre geben.

In der gesamten Debatte um die Schullandschaft in Willich hatte die Elterninitiative einen maßgeblichen Einfluss. Inwieweit wird sie Ihrer Einschätzung nach die neue Schule beflügeln?

Pakusch Ich würde mir wünschen, dass diese Gruppe sich einbringt. Die haben gezeigt, sie können sich organisieren. Dann können diese Eltern auch ohne weiteres eine Elternpflegschaft leiten und am Aufbau einer neuen Schule mitwirken. Politiker schrecken ja normalerweise immer sehr auf, wenn Bürgerinitiativen kommen. Aber an dieser Initiative war wichtig, dass sie gezeigt hat, wo der Wille der Eltern ist. Dass es die richtige Lösung war, zeigen ja auch die Anmeldezahlen. Wir haben alle vier weiterführenden Schulen in der Stadt Willich voll bekommen. Und die Abwanderungen sind gering. Und zum Elternengagement ganz allgemein lassen Sie mich noch sagen: Würden sich Eltern nicht engagieren, wären in der Stadt Willich ganz viele Dinge nicht möglich.

Also, die großen Probleme sind gelöst, jetzt können sie sich ja als Schulausschuss ganz entspannt zurücklehnen.

Pakusch (lacht) Das würde ich mir auch wünschen, wenn es so wäre. Aber ganz klar: Nein, wir können uns nicht zurücklehnen. Wir hatten im ersten Jahr der Legislatur die Debatten um die Mensen. Dann kam die Offene Ganztagsschule. Dann kam die Debatte um die Entwicklung der Schullandschaft. Wir müssen nun schauen, welche Landesregierung wir jetzt bekommen, denn das Inklusionsgesetz steht immer noch aus. Das wird zeigen, wie es mit den Förderschulen weitergeht. Wir haben eine hervorragende Förderschule, nur ich weiß nicht, was vom Land kommt. Das wird uns also noch beschäftigen. Und was das Zurücklehnen angeht: Wir werden wieder über die Offenen Ganztagsschule sprechen müssen. Es ist wichtig, dass wir Betreuung haben für Kinder. Und das ist — Gott sei Dank — einer der Punkte, wo wir noch nicht sparen müssen. So soll es auch bleiben. Und noch etwas: 2015, 2016 werden wir 25 Prozent weniger Schüler haben. Da müssen wir schauen, wie sich die Schullandschaft in der Stadt Willich entwickelt.

Stichwort Inklusion: Haben Sie persönlich dazu eine Position?

Pakusch Ich hatte den Eindruck, dass sich zuletzt im Lande Schwarz, Rot, Grün, Gelb geeinigt hätten. Jetzt gibt es die Neuwahlen, jetzt liegt das Gesetz wieder auf Eis. Ich weiß nicht, ob man es mit einem Gesetzt schafft, Menschen mit einer wie auch immer gearteten Behinderung zu integrieren. Das wage ich zu bezweifeln. Das man sagt, wir müssen da ein Zeichen setzen, ist ja okay. Ich kann niemandem etwas diktieren. Ich denke, wir müssen die Schicksale der Schüler hinterfragen. Ich wage zu bezweifeln, ob jemand, der heute an einer Förderschule ist, die gleiche individuelle Förderung an der Regelschule bekommt, weil er nach dem Gesetz einmal einen Rechtsanspruch darauf hat.

Werden Sie von Seiten der Kommunalpolitik über die neuen Landtagsabgeordneten Druck machen, dass es in Sachen Inklusion schnell vorangeht?

Pakusch Ich will da keinen Schnellschuss. Und das würde ich den Abgeordneten auch mitgeben.

Tätig werden müssen Sie aber, das ist Ihnen von den Vereinten Nationen so vorgegeben.

Pakusch Es ist wichtig, das sich die Vereinten Nationen damit beschäftigen. Und wir werden das auch umsetzen. Ich behaupte aber, dass wir hier in der Stadt Willich schon umsetzen. Es gibt das Angebot, angefangen vom integrativen Unterricht an der Hubertusschule über Johannesschule und bald die Gesamtschulen. Es ist aber wichtig, dass man ein solches Angebot lebt, und das ist Sache nicht eines Gesetzes sondern der Eltern und der Schulleitungen. Das, was kommt, muss auf die Stadt Willich passsen.

Christian Heidrich führte das Gespräch

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