Stadt Willich Von einer mutigen Bäuerin

Stadt Willich · Anrath beklagt im Zweiten Weltkrieg 217 gefallene, 206 vermisste Soldaten und zehn ums Leben gekommene Zivilisten. Dass es nicht noch mehr werden, ist auch dem mutigen Einsatz der Bäuerin vom Darderhof zu verdanken.

30. Januar 1933: Adolf Hitler wird zum Reichskanzler ernannt. Vor allem politisch uninformierte Bürger versprechen sich vom "Führer" die Rettung aus wirtschaftlicher Bedrückung und Arbeitslosigkeit, von nationaler Demütigung und politischer Zerrissenheit. Die legale Staatsgewalt ist durch die Krisen der vergangenen Jahre wie gelähmt, ebenso die demokratischen Parteien. Gegen die Dynamik, gegen das rücksichtslose Durchsetzungsvermögen der Nazis haben sie keine Chance.

Hakenkreuzfahne gehisst

Am 7. März 1933 wird auf dem Anrather Rathaus erstmals die Hakenkreuzfahne gehisst. Bürgermeister Heinrich Neusen ist ein erfahrener Verwaltungsmann, der den neuen Machthabern durch seine vorsichtige Taktik nur wenig Angriffsflächen bietet. Mit der Umbenennung des Marktplatzes in Adolf-Hitler-Platz nimmt er ihnen den Wind aus den Segeln. Häufig glättet er die Wogen — zum Beispiel, als 1941 die Kinder des nationalsozialistischen Kindergartens von denen des katholischen Kindergartens verspottet werden. Bis zu seiner Pensionierung 1943 bleibt er im Amt, verhütet Schlimmeres.

Was er zulassen muss, ist schlimm genug. Als in der "Kristallnacht" in Deutschland die Synagogen brennen, wird am 10. November der jüdische Betraum an der Hindenburgstraße geplündert, die Thorarolle entwendet und verbrannt. Das Gebäude selbst geht nicht in Flammen auf — wahrscheinlich, weil dort auch eine "arische" Familie wohnt. Als 1941 die Deportationen einsetzen, leben in Anrath noch 15 Juden. Sie werden nach Riga beziehungsweise Theresienstadt gebracht — den Holocaust überlebt hat keiner von ihnen.

25. August 1939: Es ist der erste Tag der Mobilmachung, die dem Überfall der Wehrmacht auf Polen vorausgeht. In der darauf folgenden Nacht werden die Anrather Reservisten durch Motorradfahrer des NS-Kraftfahrkorps aus den Betten geholt. Die Bevölkerung spürt den Krieg vor allem aus der Luft. Allein 1943 heulen die Sirenen 405mal Luftalarm. In der Nacht vom 8. auf den 9. April fällt eine Luftmine auf das Haus Heisters an der Einmündung der Karl-Gierlichs-Straße in die Jakob-Krebs-Straße. Zahlreiche Gebäude im Anrather Ortskern werden zerstört oder beschädigt, 150 Einwohner sind obdachlos. In seinem Geschäftshaus findet Johannes Heisters (86) den Tod.

1. März 1945, 22 Uhr: Olivgrüne Stahlkolosse der 5. US-Panzerdivision rattern in den völlig überraschten Ort. Bei den folgenden Schießereien sterben fünf Zivilisten und sieben Landser. Der Krieg ist vorbei.

Anrath beklagt 217 gefallene, 206 vermisste Soldaten und zehn ums Leben gekommene Zivilisten. Dass es nicht viel mehr geworden sind, verdankt der Ort der Bäuerin Regina Brunner vom Darderhof, wo sich am 1. März eine deutsche Batterie einquartiert hat, um den besetzten Verkehrsknotenpunkt Anrath unter Feuer zu nehmen. Der Ort ist voll gestopft mit Flüchtlingen. Regina Brunner lässt nicht locker, bis der Kommandant sich am frühen Morgen auf drei symbolische Schüsse auf leer stehende Gebäude beschränkt — auf die beiden Kirchen und die Strafanstalt.

(RP)
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