Yvonne Gebauer (fdp) "90 Prozent werden zu G 9 zurückkehren"

Die Schulministerin über das "Turbo-Abitur", die Vorteile von Förderschulen, ihre Amtsvorgängerin und Urlaubspläne 2017.

Düsseldorf Zum Interview in einem Nebenraum des Landtags kommt Yvonne Gebauer direkt aus dem Plenarsaal. Die neue Schulministerin hat viel zu tun zu Beginn ihrer Amtszeit - in der Schulpolitik hat Schwarz-Gelb schnelle Änderungen versprochen, etwa den Erhalt der Förderschulen. Dass ihre Armbanduhr zehn Minuten vorgeht, habe aber nichts mit diesem Anfangsstress zu tun, sagt die Ministerin, etwa damit sie keinen Termin verpasst: "Die Uhr spinnt einfach."

Frau Gebauer, Sie sind jetzt seit zwei Wochen Schulministerin. Was war Ihre größte Überraschung seither?

Gebauer Dass das Schulministerium gar nicht genau weiß, wie viele Förderschulen die Kommunen eigentlich auslaufen lassen wollen. Rot-Grün wollte das gar nicht so genau wissen. Vor zwei Wochen hieß es: 35, gestern dann: 41.

Wie kommt das?

Gebauer Offenbar hat die Vorgängerregierung kein Interesse daran gehabt, das genau zu wissen und ein flächendeckendes Förderschulsystem aufrechtzuerhalten.

Wie viele Förderschulen sind denn nun zu retten?

Gebauer Die neue Landesregierung möchte ein flächendeckendes Förderschulangebot erhalten. Doch Rot-Grün hat Fakten geschaffen, die ich nicht einfach mit einer Unterschrift rückgängig machen kann. Die Lage vor Ort ist völlig unterschiedlich. Es gibt Kreise, in denen es nach den Beschlüssen der Kommunen für bestimmte Förderschwerpunkte keine Förderschulen mehr geben würde, und Großstädte wie Dortmund, die auch nach Schließung von zwei Förderschulen eines Förderschwerpunkts noch fünf andere hätten. Ich habe jetzt eine Taskforce im Ministerium einrichten lassen, die Zahlen beschaffen soll und Ansprechpartner der Kommunen ist. Wir können als Land nur die Rahmenbedingungen schaffen, die Entscheidungen treffen die Kommunen.

Was ist gut daran, wenn jetzt Zwerg-Förderschulen mit zehn oder 15 Schülern übrig bleiben?

Gebauer Es gibt natürlich eine Grenze nach unten; die müssen wir neu definieren. Sie können ja nicht eine ganze Schule für eine Hand voll Schüler aufrechterhalten. Mein Anspruch ist ein flächendeckendes Förderschulsystem, auch auf dem Land, und dafür müssen wir Lösungen finden - zum Beispiel auch, indem wir Angebote für Gruppen von Förderschülern in Regelschulen ermöglichen.

An jeder Förderschule, die Sie erhalten, arbeiten Sonderpädagogen, die an Regelschulen fehlen.

Gebauer Deswegen können wir nicht an zu vielen Regelschulen sonderpädagogische Förderung anbieten. Hier stoßen wir an unsere Grenzen, deshalb muss stärker mit Schwerpunktschulen gearbeitet werden.

Aber die Sonderpädagogen fehlen doch nicht nur für zusätzliche Kinder, sondern schon für die, die jetzt an den Regelschulen sind.

Gebauer Die Situation ist sehr unterschiedlich, es gibt Regionen, wo es einen Mangel gibt. Genau deshalb war der Kardinalfehler von Rot-Grün die Ausweitung der Inklusion auf Tausende von Regelschulen, obwohl man nur begrenzte Ressourcen hat. Es wird immer Kinder geben, für die wir einen speziellen geschützten Raum brauchen.

Warum hängen Sie so an den Förderschulen? Zwei Drittel der Schüler dort machen keinen Abschluss.

Gebauer Es geht um die Kinder an den Förderschulen. Viele Eltern wünschen dieses spezielle Schulangebot für ihr Kind. Ich will, dass die Kinder einen Ort haben, wo sie entsprechend ihrem Handicap gefördert werden.

Was hat Ihre Vorgängerin richtig gemacht bei der Inklusion?

Gebauer (schweigt lange) Inklusion ist ein Menschenrecht, aber es wurde hier in NRW bei der Umsetzung zu viel falsch gemacht.

Und sonst? Was ist Sylvia Löhrmanns größtes Verdienst?

Gebauer Frau Löhrmann hat einiges erreicht, aber ich blicke nun lieber nach vorn.

Gut. Thema Gymnasium: Was ist da eigentlich passiert? CDU und FDP wollten Wahlfreiheit zwischen G8 und G9, die FDP konnte sich sogar Parallel-Modelle an einer Schule vorstellen. Jetzt kommt G9 als Regelfall.

Gebauer G8 kann mit entsprechenden Ressourcen funktionieren, doch die fehlten. Die Probleme lagen auf der Hand, der Zeitgeist ist heute ein anderer als bei der Einführung, und daher haben wir die Leitentscheidung für G9 getroffen.

Aber vielerorts funktioniert G8. Nun üben Sie mit dieser Leitentscheidung Druck auf diese G8-Schulen aus.

Gebauer Nein, es ist und bleibt eine unbürokratische Entscheidung der Schulen vor Ort. Ich erwarte aber, dass wir eine ähnliche Entwicklung haben werden wie in Hessen: Dort sind rund 90 Prozent der Schulen zu G9 zurückgekehrt.

Wie viele Lehrer brauchen Sie?

Gebauer Das prüfen wir gerade. Derzeit fehlen vor allem Lehrer an Grundschulen. Wir werden bald eine große Kampagne starten zur Lehrergewinnung.

Wo kommen die Lehrer her? Sie können ja kaum warten, bis die Neuen mit dem Studium fertig sind. Suchen Sie auch außerhalb des Lehrerberufs?

Gebauer Wir fahren parallel und schöpfen alle Möglichkeiten aus. Wir werden zum Beispiel Ruheständler ermuntern, wieder mitzumachen, und die, die kurz davor stehen, in Pension zu gehen, fragen, ob sie bereit sind zu verlängern.

Sie wollen ausweislich des Koalitionsvertrags auch verstärkt Nichtpädagogen in die Schulen holen. Auch an die Gymnasien?

Gebauer Ja, wir werden auch Seiteneinstieg stärker nutzen müssen. Die Berufskollegs haben gute Erfahrungen damit gemacht. Gerade deshalb wollen wir den Schulen mehr Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen.

Woran werden Eltern, Schüler und Lehrer zuerst merken, dass es eine neue Schulministerin gibt?

Gebauer Na gehen Sie doch mal auf unsere Homepage, da finden Sie ein Bild von mir (lacht). Inhaltlich wird eines unserer ersten Projekte sein, dass es ab dem Schuljahr 2017/18 möglich sein wird, Kinder nicht nur wegen körperlicher Beeinträchtigungen bei der Einschulung ein Jahr zurückzustellen, sondern auch aufgrund von Entwicklungsverzögerungen oder -problemen.

Machen Sie eigentlich Urlaub, oder haben Sie das schon gestrichen?

Gebauer Ich habe ein paar Tage reserviert. Mal sehen, ob's klappt.

KIRSTEN BIALDIGA UND FRANK VOLLMER FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

(RP)
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