Boreyko geht 2014
Andrey Boreyko, Generalmusikdirektor der Düsseldorfer Symphoniker, gab gestern bekannt, dass er seinen Vertrag über 2014 hinaus nicht verlängern werde. In Düsseldorf kann man nun frühzeitig nach einem Nachfolger suchen.
Zum Wesen eines großen Künstlers zählt die Einsamkeit. Er versinkt im Atelier, am Schreibtisch, hinter dem Klavier. Wenn er von dort auftaucht, macht die beschenkte Welt "ooooh" und staunt. Bisweilen ist das Geschenk des auftauchenden Künstlers auf andere Weise hilfreich: Es stellt die Weichen, die Dinge klar und alle Beteiligten vor vollendete Tatsachen.
Einen solchen Künstlerakt hat nun Andrey Boreyko vollbracht, der Generalmusikdirektor der Düsseldorfer Symphoniker in der Tonhalle. Auf der Hälfte seiner hiesigen Dienstzeit – der Vertrag von 2009 reicht bis 2014 – teilt er mit, dass er für eine Verlängerung über 2014 hinaus nicht zur Verfügung stehe. Zur Spielzeit 2012/2013 tritt Boreyko überdies das Amt als Chefdirigent des Orchestre National de Belgique an; von 2014 an will er sich ganz auf Brüssel und seine internationale Konzerttätigkeit konzentrieren.
Kulturdezernent Hans-Georg Lohe sagte: "Es ist uns ein großes Anliegen, das hohe künstlerische Niveau der Düsseldorfer Symphoniker langfristig zu sichern. Gemeinsam mit dem Intendanten Michael Becker und dem Orchester werden wir nun einen Nachfolger suchen. Wir respektieren die Entscheidung Boreykos und freuen uns auf die kommenden zweieinhalb Jahre, in denen er noch als Chefdirigent in Düsseldorf wirken wird." Aufrichtiges Bedauern eines Kulturdezernenten klingt anders.
Gegenüber unserer Zeitung sagte Lohe noch, bei der Suche nach dem Nachfolger gehe es vor allem "um Qualität– da machen wir vielleicht lieber eine Übergangsspielzeit ohne Chef, um in Ruhe einen geeigneten Künstler zu finden". Tonhallen-Intendant Michael Becker fügte an: "Für uns ist es gut, dass wir früh wissen, wie die Weichen gestellt sind. Wir werden aber mit Andrey Boreyko noch viel Spaß haben, er ist gern mit dem Orchester zusammen."
Vieldeutig mutet die offizielle städtische Mitteilung an, die mit dem Satz überschrieben ist: "GMD Boreyko bleibt in Düsseldorf bis Ende der Saison 2013/2014." Ja, hat denn jemand angenommen, Boreyko wolle vorzeitig abspringen? Natürlich ist es für die Stadt als Vertragspartner nicht schön, wenn ein Künstler von sich aus Adieu sagt; lieber wäre man selbst auf der aktiven Seite. Es ist aber nicht undenkbar, dass Andrey Boreyko schwierigen Verlängerungsgesprächen, die nicht zu seinen Gunsten auszugehen drohten, frühzeitig entgehen wollte und in komplizierter Lage die Reißleine zog.
Boreykos Schreiben schließt jedenfalls mit den handelsüblichen Huldigungs- und Beschwörungsformeln: "Wir haben gemeinsam bereits viel erreicht, und ich möchte in den nächsten zweieinhalb Jahren noch viele wunderbare Konzerte mit den Symphonikern gestalten."
Boreyko entscheidet sich also für Brüssel und gegen Düsseldorf. Dafür gibt es viele Gründe. Das belgische Orchester ist ein reines Sinfonieorchester und reist oft, was Boreyko entgegenkommt. Die Düsseldorfer Symphoniker hingegen klagen zu Recht über viele vakante Planstellen, was angesichts der Dienstbelastung in der Rheinoper eine parallele Reisetätigkeit stark erschwert, wenn nicht unmöglich macht. Die Spanientournee vor einiger Zeit war ein Kraftakt ohnegleichen.
Zudem ist es Fachleuten kaum verborgen geblieben, dass die Lernkurve zwischen Chef und Orchester über die Zeit eher flach blieb. Boreyko ist vom Typ her ein Dirigent, der Leistungen lieber im Konzert abruft, statt sie in der Probe zu erzeugen. Es ist gut denkbar, dass der Russe, nun sozusagen von der Pflicht zur langfristigen Orchestererziehung befreit, aus sich herausgehen kann. Dann könnten es noch zweieinhalb schöne Jahre werden, in denen Boreyko bisweilen aus der Einsamkeit des Studierzimmers, aus einem Düsenflugzeug oder aus dem Brüsseler ICE zu uns in die Tonhalle kommt und Musik macht.