Ehemalige Altenpflegerin aus Neuss "Der Druck in der Pflege ist unerträglich"

Neuss · Cornelia Schultz hat fast 30 Jahre in der Altenpflege gearbeitet. Die Neusserin ist ausgestiegen, weil die Anforderungen des Berufs sich für sie nicht mehr mit der Menschenwürde vereinbaren ließen. Heute ist sie Sozialarbeiterin.

 Die ehemalige Altenpflegerin Cornelia Schultz aus Neuss kritisiert die Zustände in ihrem früheren Beruf.

Die ehemalige Altenpflegerin Cornelia Schultz aus Neuss kritisiert die Zustände in ihrem früheren Beruf.

Foto: Linda Hammer

Die Altenpflege lässt Cornelia Schultz nicht los. Bis heute, viele Jahre nach ihrer aktiven Zeit als Pflegerin, laufen der Neusserin die Momente nach, in denen sie dem Anspruch, alte Menschen würdevoll zu pflegen, nicht gerecht werden konnte. "Als Pflegekraft in einem Altenheim entwickelt man schnell einen Tunnelblick", erinnert sich die 52-Jährige. "Das Wichtigste — das Wohl der alten Menschen — bekommt man nicht mehr mit." Deshalb hat Schultz für sich 2006 die Reißleine gezogen und auf Sozialarbeiterin umgesattelt. Sie ist eine von vielen Pflegerinnen, die dem Beruf den Rücken zukehren. Der Vorsitzende des Deutschen Pflegerats, Andreas Westerfellhaus, warnt vor einem Exodus der Fachkräfte. Schon jetzt fehlen in der Altenpflege 30.000 Arbeitskräfte. Mit einem Aktionsplan will Westerfellhaus Berufsflüchtlinge zurückholen.

Für Cornelia Schultz führt jedoch kein Weg zurück. Sie hat 1978 als Altenpflegerin angefangen und erlebt, wie sich die Pflege im Laufe der Jahre gewandelt hat. Während anfänglich der Stellenschlüssel noch annähernd stimmte, habe vor allem die Pflegereform Anfang der 90er die Zustände radikal verändert. "Ab da wurde nach der Stoppuhr gepflegt und alles nur noch in Minuten gerechnet, vom Toilettengang bis zum Zähneputzen", erzählt Schultz. Dazu musste in der Patientendokumentation alles festgehalten werden. Je weniger Personal da war, desto größer wurde der Druck. "Das hat so schlimme Formen angenommen, dass auch Anwendungen abgezeichnet wurden, die der Patient nicht erhalten hatte", sagt Schultz. Ein für sie unhaltbarer Zustand.

Die Neusserin nimmt ihre ehemaligen Kollegen aber in Schutz. Die Altenpflege, sagt sie, sei eine Mühle, aus der man nicht herauskomme. Von allen Seiten werde unerträglicher Druck aufgebaut: Von der Heimleitung, alles zu dokumentieren, egal wie; von den Kollegen, etwa nachts das abzuarbeiten, was tagsüber liegen blieb; von einem selbst, den Alten optimale Pflege zu bieten. "Tatsächlich fertigt man viele Patienten ab, weil man gar nicht wissen, wo man mit der Arbeit anfangen sollen", berichtet Schultz, die in mehreren Heimen gearbeitet hat. Im Dauerlauf sei sie oft über die Station gerannt, um alle Aufgaben zu bewältigen. "Alleine hat man keine Kraft, um da wieder herauszukommen. Dass man da ausbrennt, ist normal."

Für den Münchner Pflege-Experten Claus Fussek fängt das Problem schon bei der Pflegeausbildung an. Viele würden angesichts der Anforderungen schon in der Lehre aufgeben. "Wir verheizen den Nachwuchs", sagt Fussek. "Wenn wir es nicht schaffen, die Guten zu halten, kann das System nicht funktionieren." Auch Cornelia Schultz sieht die Notwendigkeit, gerade den jungen Menschen Empathie zu vermitteln, etwa mit Selbsterfahrungskursen in den Schulen.

Wie schwer es ist, als junge Pflegekraft in dem Beruf Fuß zu fassen, erzählt Heike Jansen (Name v. d. Red. geändert). Die 28-Jährige hat im Sauerland als Altenpflegerin gearbeitet, allerdings nie unbefristet. "Die Arbeitgeber wollen kein festes Arbeitsverhältnis", sagt sie. Dafür müsse man jedes zweite Wochenende ran und an den freien Tagen oft einspringen. Die Bezahlung sei schlecht, die Freizeit gering. "Altenpflege ist Akkordararbeit", sagt Jansen. Das hielten nur wenige durch: In ihren Heimen habe es kein Pflegepersonal über 40 gegeben. Ihr Ausweg ist die Selbstständigkeit. Heute vermittelt Jansen Pflegekräfte an Altersheime. Der Vorteil: Die Bezahlung sei deutlich besser, die Zeiteinteilung flexibel. "Den Pflegekräften macht die Arbeit wieder Spaß, weil sie mehr Zeit für den Menschen haben."

Obwohl Cornelia Schultz eine Rückkehr in die Pflege für sich ausschließt, will sie weiter für die alten Menschen kämpfen. Aus Angst würden sich viele Pfleger nicht über die Missstände in ihren Heimen beschweren. Schultz weiß, dass manchmal wenig reicht, um Gutes zu tun. Einen Patienten mit Namen anzusprechen, mache diesen schon glücklich. "Die Alten", sagt sie, "haben leider keine Lobby."

(RP)
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