Düsseldorf Der Kongress tanzte, aber er schuf auch Frieden in Europa

Die einen begreifen den heute vor 200 Jahre zu Ende gegangenen "Wiener Kongress" Tausender Repräsentanten von rund 200 großen und kleinen europäischen Staatsherrschaften als eine Kette von Lustbarkeiten. So als habe es damals bereits das Fifa-Exekutivkomitee gegeben. Andere attestieren dem Tagungsort, in den Zaren, Könige, Fürsten, allerlei adliges Diplomatenvolk sowie käufliche Damen eingefallen waren, "Vergnügungslokal der Weltgeschichte" gewesen zu sein. Ja, "der Kongress tanzte", aber nicht nur.

Richtig ist, dass das neun Monate dauernde Ereignis in der Habsburger-Metropole beides war: Zum einen willkommene Gelegenheit zum exquisiten Wohlergehen der seinerzeitigen Upper Class bei Hofbällen, Soireen, Banketten, Jagdgesellschaften und Frivolitäten in Samt und Seide; zum anderen die Geburtsstunde der Konferenzdiplomatie auf dem Alten Kontinent. Dort ging es als nicht hoch genug einzuschätzende Folge des Kongresses anschließend rund vierzig Jahre lang, bis zum Krim-Krieg 1853, friedlich zu.

Der fast geschlagene Franzosen-Kaiser Napoleon war, während der Kongress noch tagte, für 100 Tage aus seinem Exil auf der Insel Elba an die Macht zurückgekehrt. Eineinhalb Wochen nach Unterzeichnung des Wiener Abschlussdokuments vom 8. Juni 1815 jedoch erlitten Napoleons Truppen in der Schlacht bei Waterloo ihre endgültige Niederlage. Im Verbannungsort, dem Atlantik-Inselchen St. Helena, tat der vernichtete Imperator, der Europa mit Krieg überzogen hatte, bis zu seinem Tod niemandem mehr weh. Allerdings gehört auch das zur Erinnerung an "Wien": Die europäischen Karten von Macht und Einfluss wurden neu gemischt; das Spiel machten noch einmal die alten monarchischen Kräfte des "Wir hier oben - ihr dort unten". Freiheitsbestrebungen wurden unterdrückt, bis 1848 die Dämme des Restauration zu brechen begannen und Freiheit, Demokratie, Parlamentarismus ihre heiligen Rechte einforderten.

Auf dem "Wiener Kongress" versammelten sich die gesellschaftspolitisch Rückwärtsgewandten, die Repräsentanten des überwiegend scharf antirepublikanisch, antidemokratisch gesinnten Ancien Régime. Dominiert wurde "Wien" von den "Großen Fünf": Russland, Preußen, Österreich, dem nach-napoleonischen Frankreich sowie dem Vereinigten Königreich. Letzterem ging es in erster Linie um eine neue Machtbalance in Kontinentaleuropa. Dass dies den Wiener Großstrategen um den dominanten Fürsten von Metternich (Österreich) gelungen ist, zählt zu den bedeutenden Leistungen der Staatskunst. Der deutsch-amerikanische US-Außenminister a. D. Henry A. Kissinger, der im sogenannten kalten Krieg der Supermächte USA und Sowjetunion nach 1945 für die Politik eines "Gleichgewichts des Schreckens" stand, zählt als Historiker zu den großen Bewunderern Metternichs.

Wiederum gilt auch für Metternich das Bild von den zwei Seiten einer Medaille: Hier der Fürst des Friedens nach 1815, dort der finstere Reaktionär, gerissene Antidemokrat und Lebemann. Die friedensstiftende Ordnung des "Wiener Kongresses" wurde immer wieder betont, ebenso die Tatsache, dass Rufe nach mehr demokratischer Teilhabe und nationaler Einheit erst einmal zum Schweigen gebracht wurden. Die Historikerin Eva Maria Werner erinnerte in einem Beitrag für die Bundeszentrale für Politische Bildung daran, dass die Verzögerung der italienischen und deutschen Einheits-Bestrebungen 1864/65, beim ersten Gedenken an "Wien", auf eben diesen Kongress zurückgeführt wurde.

In Deutschland entstand 1815 der Deutsche Bund als Zusammenschluss von 41 souveränen Staaten. Frankreich musste die von Napoleon eroberten Territorien abtreten. Russland bekam Finnland und Polen. Die Schweizer Neutralität wurde anerkannt. Preußen vergrößerte sich im Rheinischen. Alte Dynastien kamen wieder auf den Thron, und eine "Heilige Allianz" zwischen Russland, Österreich und Preußen diente der Stabilisierung des Kontinents, aber auch der alten Mächte.

(RP)
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