Köln Die Radikalisierung des Mohammad J.

Köln · Der 16-Jährige plante in Köln einen Bombenanschlag. Er wurde gefasst. Ein interner Bericht zeigt, wie die Polizei auf seine Spur kam.

Mohammad J. ist gerade einmal 15 Jahre alt, als er mit seinen Eltern und seiner Schwester Ende des vergangenen Jahres in Deutschland ankommt. Hinter ihm und seiner Familie liegt eine monatelange Tortur. Geflohen sind sie aus Syrien, ihrer Heimat, vertrieben von Krieg, Elend und Terror. Ihre Odyssee führt sie übers Mittelmeer, den Balkan bis zur deutsch-österreichischen Grenze. Meistens zu Fuß. Am 29. Dezember 2015 sind sie vorläufig am Ziel, in Deutschland. In Bayern werden sie in der 36.000-Einwohner-Gemeinde Erding erstmals erkennungsdienstlich erfasst. Eine unauffällige Familie. Von Bayern aus geht es in Bussen in Notunterkünfte in Nordrhein-Westfalen, zunächst nach Dülmen und Olfen. Am 17. Mai 2016 wird die Familie schließlich der Stadt Köln zugewiesen. Sechs Tage später zieht sie in eine kommunale Unterbringungseinrichtung für Flüchtlinge in Köln-Holweide. Das geht aus Berichten des Innenministeriums und der Polizei Köln hervor, die unserer Redaktion vorliegen.

Ob Mohammad zu diesem Zeitpunkt schon den Plan gefasst hat, eine Bombe zu bauen und damit viele Menschen zu töten, können die Ermittler nicht hundertprozentig sagen. Sie nehmen es aber an. Denn die Familie J. fällt bereits kurz nach ihrem Einzug in die Notunterkunft der Heimleitung mehrmals verdächtig auf. Am Nachmittag des 10. Junis rückt die Polizei wegen "auffälligen Verhaltens" der syrischen Familie J. zum ersten Mal nach Holweide aus - und das gleich zweimal innerhalb einer Stunde. In beiden Fällen treffen sie aber niemanden der Familie an. Doch noch am selben Abend wird die Polizei noch einmal von der Heimleitung alarmiert - wegen eines Streits, der zwischen Mohammad J. und anderen jugendlichen Bewohnern entbrannt ist. Worum es genau geht, kann die Polizei nicht klären. Mohammads Mutter soll aber beleidigt worden sein von Mitbewohnern. Die Polizeibeamten nehmen deshalb eine Strafanzeige auf. Die Familie wird noch am selben Abend in eine andere Flüchtlingsunterkunft in Köln-Porz verlegt. Der 15-Jährige gerät nach diesem Vorfall ins Visier der Ermittler, weil die Heimleitung der Polizei berichtet, dass es von Mitbewohnern der Unterkunft bereits mehrfach zu Beschwerden über den seinerzeit 15-jährigen Mohammad J. gekommen sei, da er nicht mehr alle Lebensmittel esse, sondern behaupte, dass für ihn nur Obst "rein" sei. Außerdem bete er zunehmend häufiger und in eine andere Himmelsrichtung als üblich.

Zudem versende er mit seinem Mobiltelefon Nachrichten und Bilder mit Bezug auf die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Als die Polizisten ihn danach fragen, behauptet er, das mit dem IS mache er nur aus Spaß; er kommuniziere mit seinem Mobiltelefon mit Freunden und Verwandten in Syrien. Alles harmlos. Die Polizisten sind da nicht so sicher. Sie haben den Eindruck gewonnen, dass er psychische Probleme haben könnte. Die Kriminalinspektion Staatsschutz (KIST) des Polizeipräsidiums Köln wird noch am selben Abend in Kenntnis über Mohammad gesetzt und fertigt einen sogenannten "Prüf-Fall islamistischer Terrorismus" zur weiteren Bearbeitung durch den polizeilichen Staatsschutz an.

Die Fahnder durchsuchen sein Handy, sein Facebook-Profil und seine Emails nach möglichen Hinweisen auf den IS oder andere Terrorgruppen. Sie finden sechs Fotos mit IS-Flaggen, die aus Chatnachrichten an Mohammad stammen. Aber weder der Facebook-Account des Jugendlichen noch die Kontakte und Kommunikation der von ihm genutzten Messenger-Dienste weisen von ihm selbst erstellte extremistische Inhalte auf.

Am 16. Juni suchen zwei Beamte des Staatsschutzes mit einer Dolmetscherin die Familie J. in ihrer neuen Unterkunft in Köln-Porz auf. Mohammads Vater erklärt ihnen, dass er das Verhalten seines Sohnes auf den Stress, der durch die Flucht entstanden sei, und sein pubertäres Alter zurückführe. Er selbst sei unbesorgt und vertraue seinem Sohn. Die Ermittler informieren mit Einverständnis des Vaters die Präventions- und Hilfsinitiative "180°-Wende", die sich um solche Fälle wie Mohammad kümmert. In einem Bericht des Innenministeriums, der unserer Redaktion vorliegt, heißt es: "Für den Staatsschutz entstand aufgrund der zu diesem Zeitpunkt gewonnen Erkenntnisse der Gesamteindruck, dass Mohammad J. sich zwar mit dem Islamistischen Staat auseinandersetzte, dem islamistischen Extremismus selbst jedoch nicht nahe stand oder gefährdet schien, radikalisiert zu werden, so dass kein Anlass für weitergehende polizeiliche Maßnahmen bestand."

Das ändert sich am 2. September. Mohammad wird von der Heimleitung beobachtet, wie er die Unterkunft mit einem Rucksack verlässt und diesen in einem nahegelegenen Gebüsch versteckt. Die Polizei wird alarmiert, kann das Gepäckstück aber nicht finden. Drei Tage später informiert Mohammads Mutter die Polizei, dass ihr Sohn in letzter Zeit sehr ängstlich und schreckhaft sei. Er besuche nun häufiger die türkische Moschee in der Nähe der Unterkunft. Eine Woche später sprechen zwei Staatsschutzbeamte mit Mohammad. Er erklärt ihnen, dass er unzufrieden sei über seine Unterbringung. Er habe noch keine Freunde gefunden, gehe aber gerne in die nahegelegene Moschee. Die Beamten sehen bei ihm immer noch keine Anzeichen für eine Radikalisierung, sondern nur eine psychische Überlastung. Drei Tage später, am 18. September, geht bei der Polizei ein Notruf der Moschee ein. Ein Vorstandsmitglied meldet einen auffälligen männlichen Verdächtigen, der äußere, "sich für den IS umbringen zu wollen" und dabei "wie eine lebende Bombe wirke". Dieser Verdächtige ist Mohammad.

Am Abend des 20. September wird er festgenommen. Die Ermittler werten noch einmal sein Handy aus. Und diesmal werden sie fündig. Ein WhatsApp-Chatverlauf in arabischer Sprache mit einem Unbekannten beweist die Radikalisierung des Jungen. In seiner Vernehmung bekennt er sich als Anhänger des Islamischen Staat und bestätigt, dass er eine Bombe bauen wollte. Mohammads Flucht aus Syrien endet im Gefängnis.

(csh)
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