Die Stadt als Kampfzone

Kevin Rittberger geht in seiner musiktheatralischen Installation "Puppen" der Frage nach, was passiert, wenn die Welt plötzlich in Auflösung begriffen ist. Wenn nichts mehr von Wert ist, was gestern noch Bestand hatte. Die Premiere des Stücks ist heute im Schauspielhaus.

Im letzten Satz seiner "Abschiedssinfonie" hat Joseph Haydn sich den Spaß erlaubt, die Musiker nacheinander aufhören und abtreten zu lassen. Der Düsseldorfer Komponist Hauschka alias Volker Bertelmann dreht dieses Prinzip im Schauspielhaus nun um: Am Anfang ist die Bühne leer, dann kommt langsam spielend eine Cellistin herein. Ihr folgt ein Trommler, dann ein Posaunist. Am Schluss sitzen zehn Musiker auf der Bühne und spielen eine suggestiv bohrende, in Endlosschleifen kreisende Musik.

Das klingt stark nach Minimal Music, aber für "Puppen" hatte Hauschka auch ältere Vorbilder: "Meine Referenzen waren Schostakowitsch und Alban Berg. Es ging mir darum, am Anfang eine Fallhöhe zu bestimmen, ohne gleich das ganze Pulver zu verfeuern. Es sollte eine emotional aufgeladene Stimmung entstehen, die sich dann nach und nach zersetzt."

Eine Viertelstunde dauert diese Ouvertüre, wie in einer Oper, dann treten die Musiker ab. Fragmente der Klänge kehren später als elektronische Einspielungen wieder, die Stefan Schneider vom Mischpult aus beisteuert. Haben wir es mit einer verkappten Oper zu tun?

Textdichter Kevin Rittberger, der bei "Puppen" sein eigener Regisseur ist, dementiert: "Es ist ausdrücklich kein Gesamtkunstwerk, sondern eine musiktheatralische Installation. Wir haben versucht, ein Triptychon zu erarbeiten, das aus einer Komposition, dem Schauspielteil auf meiner Textgrundlage und dem dokumentarischen dritten Teil von Stefan Schneider besteht. Diese drei Teile sind jeder für sich aber autonom, denn es ging uns nicht um eine atmosphärische Illustration des Inhalts, sondern um eine Fortsetzung des Textes mit anderen Mitteln."

Nach der Ouvertüre setzt sich ein mit rotem Stoff verkleideter Turm in Bewegung, rollt vor, zurück, immer wieder. Dann tritt eine Frau mit lila Perücke auf und schwärmt: "Ich hab' so schöne Haare!" Es ist Elena Schmidt als Frisörin, aber statt lukrativer Kundschaft kommt bloß Klandestino (Ingo Tomi), ein Schnorrer, der ihr atemlos seine wilde Biographie herunter rattert. Entwurzelte, haltlose Menschen bevölkern die Bühne in Kevin Rittbergers "Puppen", Menschen, deren Strukturen sich zersetzt haben, die einen Beruf haben, aber keine Arbeit, wie die Frisörin, der Fleischer oder die Frau, die vom Schwindel überfallen wird und zusammensackt wie eine Puppe, die man von den Strippen gelöst hat. "Sie zappeln noch ein wenig, bevor sie zusammensacken.

Diese Energie muss sich doch irgendwie bündeln lassen", heißt es im Text. "Puppen" spielt in der globalisierten, in einer urbanen Kampfzone, die Rittberger mit absurden, aberwitzigen und komischen Szenen ohne konkreten Handlungsverlauf skizziert: "Der Text lässt bewusst einige Fragen offen. Es ist ein Traumtext. Man kann ihn auch als dadaistischen Stimmkörper begreifen."

Der dritte Teil gehört dem Düsseldorfer Fotografen und Musiker Stefan Schneider: Auf eine riesige Leinwand projiziert er Videos von Düsseldorfer Stadtansichten, in denen die Schauspieler wieder auftauchen. Es sind unspektakuläre, graue, verlassene Orte, die sich indirekt auf Rittbergers Text beziehen: "Im Text von Kevin gibt es ganz viele Beschreibungen, in denen geschildert wird, in welchem Zustand eine Stadt ist. Es ist der passive Blick auf die Welt, in dem wir übereinstimmen."

Schneider kommentiert die ruhigen Videos mit eigenen Texten: "Das sollen keine Stadtführer-Texte sein. Ich habe versucht, so nüchtern zu formulieren, wie man eine Einlaufsliste schreibt. Aber so kann auch ein poetischer Text entstehen."

(RP)
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