Recklinghausen/Paris Die Terror-Spur nach Recklinghausen

Recklinghausen/Paris · Der Pariser Attentäter, der vor einer Polizeiwache erschossen wurde, stellte in der Ruhrgebietsstadt 2014 einen Asylantrag. Wer er wirklich ist, wissen die Behörden allerdings nicht.

Die Herner Straße 98 in Recklinghausen hat schon bessere Zeiten gesehen. Eingekeilt zwischen Bahngleisen und einem ehemaligen Zechengelände steht ein zweigeschossiges Haus, in dem 100 Flüchtlinge leben. Der Attentäter, der am Donnerstag vor einer Pariser Polizeiwache erschossen worden ist, soll sich dort mit anderen Asylbewerbern das Zimmer Nummer 9 geteilt haben. Nach Angaben der Ausländerbehörde ist er im Januar 2014 in die Ruhrgebietsstadt gekommen. Seitdem lief das Asylverfahren. In Recklinghausen war er als Georgier gemeldet. Den deutschen Behörden war er als Syrer Walid Salihi bekannt. "Aber wir sind uns nicht sicher, wer er tatsächlich ist", sagt Uwe Jacob, Direktor des Landeskriminalamtes NRW.

Wie die Ermittlungen nun ergaben: Der Mann hatte sich in Deutschland unter syrischer, georgischer und auch marokkanischer Identität angemeldet - sein Alter variierte dabei zwischen 20 und 25 Jahren. In Deutschland und Europa hatte er sich mit insgesamt sieben Identitäten angemeldet und beging mehrere Straftaten: Er erschlich staatliche Leistungen, fiel einige Male mit Beleidigungs-, Bedrohungs- und Köperverletzungsdelikten, Diebstahl und drei Mal als Rauschgifthändler auf. So schlug und trat er einen Obdachlosen und übergoss ihn mit Wein und Schnaps.

Am Donnerstag dann trug er eine Sprengstoffgürtel-Attrappe und wollte mit einem Schlachterbeil bewaffnet in eine Pariser Polizeiwache eindringen. Nach Angaben der Ermittler rief er "Allahu akbar" ("Gott ist groß") und trug ein auf Arabisch verfasstes Bekennerschreiben mit der Flagge der IS bei sich. Die französische Polizei erschoss ihn. Wegen des Jahrestags des Attentats auf die Redaktion der Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" war sie in Alarmbereitschaft. Die Polizei fand bei dem Toten ein Handy mit deutscher SIM-Karte.

Die Liste seiner Vergehen in Deutschland ist lang: So hatte er vor einem Jahr in einer Kölner Diskothek eine Frau belästigt und unsittlich angefasst, wie das LKA berichtete. Auch saß Salihi im vergangenen Jahr eine einmonatige Freiheitstrafe ab und hatte im Asylbewerberheim einen Mitbewohner mit einem Messer schwer verletzt. Die schwedischen Behörden wiesen ihn nach einer Festnahme sogar einmal aus, weil man seine Personalien (und offensichtlich Fingerabdrücke) in einer zentralen Straftäterkartei der Deutschen fand - also wurde er nach Deutschland ausgeliefert.

Drei Sachverhalte geben dabei besonders Anlass zu Sorge.

1. Der erschossene Mann war zwar in einer zentralen Straftäterdatei der deutschen Behörden registriert - aber in Recklinghausen konnte er sich unter einer anderen Identität wieder neu anmelden. Warum der Datenabgleich der Fingerabdrücke nicht funktioniert hat, konnte Jacob gestern nicht erklären. "Wir ermitteln weiter, wir müssen das alles aufklären", sagt er auf Nachfrage.

2. Obwohl Salihi sich im Asylbewerberheim als Sympathisant der Terrororganisation IS geoutet hatte, wurde dies nicht ernst genommen: Ein Strafverfahren wegen gemalter IS-Fahnen wurde eingestellt. "Wenn jemand zwei IS-Fahnen gezeichnet hat, heißt das nicht, dass wir ihn rund um die Uhr bewachen können", sagte Jacob auf die Frage, ob die Behörden Fehler gemacht hätten. Laut Jacob fand sich der Asylbewerber auch auf keiner Liste gewaltbereiter Islamisten in Deutschland. Die Liste mit 1100 Namen ist also nicht vollständig.

3. Der Vorgang bestätigt, dass sich in Deutschland wohl einige Tausend Asylbewerber tummeln, die eine falsche Identität vorgeben, nur um als Asylbewerber anerkannt zu werden. So sind sich die französischen Behörden sicher, dass der Erschossene eigentlich aus Tunesien stammt.

Dies bedeutet umgekehrt, dass es möglich ist, dass an den Kölner Übergriffen an Silvester keine aktuellen Flüchtlinge aus Syrien beteiligt waren, aber andere Männer, die sich Papiere als syrische Flüchtlinge besorgt hatten. Der Erschossene war 2013 nach Deutschland gekommen und hatte davor fünf Jahre illegal in Frankreich gelebt.

Die Polizei versucht nun herauszufinden, ob der Erschossene Verbindungen zu IS oder anderen Terrorgruppen hatte. Da er aber in Paris weder Schusswaffen noch Sprengstoff bei sich hatte, spricht sehr viel dafür, dass er auf eigene Faust handelte - und auch eher aus geistiger Verwirrung als aus langjähriger islamistischer Überzeugung.

Dennoch muss dieser Fall die Behörden in Alarmbereitschaft versetzen. Erstmals hat ein als Asylbewerber in Deutschland gemeldeter Mann einen Terroranschlag versucht. Es war also ein reiner Zufall, dass der Täter nicht in Deutschland zuschlug.

(RP)
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