Leipzig/Düsseldorf Eine Deutschlandreise

Leipzig/Düsseldorf · Unser Autor ist im ersten Winter des Frühlings gestrandet und hat seine Reise von Leipzig nach Düsseldorf protokolliert: eine ungemütliche, zer-mürbende, fast 16 Stunden dauernde Fahrt. Dabei ist doch Deutschland gar nicht so groß.

Alles beginnt mit Schnee, der nicht so ungewöhnlich hierzulande ist. Erst recht nicht im März. Und von einem Unwetter kann eigentlich auch keine Rede sein. Eine geschlossene Schneedecke ist es halt bei immer noch dezenten Minustemperaturen. Nichts deutet also am Samstagmorgen in Leipzig daraufhin, dass dies der Beginn einer Odyssee durch Deutschland sein wird. Das ist ein ziemlich großer Name für die unspektakuläre Rückreise von Leipzig nach Düsseldorf.

Der Taxifahrer kutschiert mich ein wenig behutsamer über den Schnee, am Flughafen treffe ich Miriam Meckel, und wir machen Scherze, wie gefährlich jetzt wohl ein Flug werden könnte und warum uns das Gehirn dazu überredet. Meckel hat auf der Leipziger Buchmesse ihr neues Werk übers Hirn präsentiert, "Mein Kopf gehört mir". Sie ist also im Thema und erwidert darum auch ebenso keck wie profund: Natürlich sende das Gehirn Warnzeichen aus. Andererseits gebe es auch den großen emotionalen Wunsch, nach Hause zu kommen. "Und der überwiegt bei mir jedenfalls", sagt sie und lacht. Nun ja, was wir beide nicht wissen: Diesen Flug wird es heute gar nicht geben, wie viele andere Dinge auch nicht.

Zunächst werden nur zwei Flüge wegen des schlechten Wetters gestrichen. Ich stehe an der Panoramascheibe des Flughafens, höre Joni Mitchells "Urge for Going" über Kopfhörer und schaue einer Kehrmaschine zu. Doch Düsseldorf soll klappen, wenn auch eine halbe Stunde verspätet, wie es heißt, dann noch mal eine Viertelstunde und schließlich weitere 20 Minuten. Doch sie kommt. Düsseldorf lässt uns nicht in Stich, ich habe es gewusst, gehofft, geahnt. Und dieser Tag wäre dann doch noch ein richtig guter Tag geworden, hätte es beim Landeanflug nicht diesen doofen Vogelschlag gegeben. Eine Sicherheitsüberprüfung ergibt: Weiterflug nicht ratsam. Eine Ersatzmaschine gibt es nicht.

Dann also zurück zum fernen Hauptbahnhof. Nur wie? Die Autobahnen sind dicht, verstopft von Messebesuchern aus dem Umland. Taxen kommen zum Flughafen auch nicht mehr durch. Die S-Bahn steht still und leise im Gleis, darf Leipzig nicht mehr anfahren, da der Hauptbahnhof komplett dicht gemacht wurde. Etwa 20 Weichen sollen dort eingefroren oder durch Schneeverwehungen blockiert worden sein. Natürlich gibt es auch sogenannte Weichenheizungen. Und die hätten den Schnee auch brav aufgetaut, heißt es. Doch durch sinkende Temperaturen und erneuten Niederschlag gab es hässliche Eisklumpen, die nur in Handarbeit zu entfernen waren. Mag alles stimmen. Bloß: Es ist kein arktisches Ereignis und der Schneefall schon seit zwei Tagen vorausgesagt worden.

Und jetzt sitzen viele Menschen in der S-Bahn am Flughafen fest. Doch wer sie fragt, wann und wohin ihr Zug wohl fahren wird, kassiert nur lethargisches Schulterzucken. Die Menschen sitzen nur im abgestellten Zug, um sich aufzuwärmen. Irgendwann und irgendwohin hinzufahren, wäre ein Bonbon. Es geschehen dennoch kleine Wunder. Gerade eben noch hieß es von der Taxi-Zentrale, dass heute keine Aufträge mehr angenommen werden. Eine Durchsage per Anrufbeantworter. Kurz darauf taucht dieser einsame Taxifahrer aus dem Nichts auf. Ein Ortskundiger noch dazu, der über manche Dörfer und viele Schleichwege den Hauptbahnhof erreicht. Unsere Wartenummer im DB-Infozentrum lautet 1646. Gerade wird 1413 aufgerufen. Also 200 Ratsuchende davor.

Und während die Stunde Wartezeit so dahinrieselt wie der Pulverschnee, frage ich mich, ob der ganze Unmut nicht schon wieder das übliche Bahn-Bashing ist. Ja, beschließe ich reuig und halte die Klappe. Aber nur bis später eine Hinweistafel am Bahnsteig einen ICE nach Köln vom Vormittag ankündigt und mit aller Härte bürokratischer Genauigkeit die Verspätung angibt: 360 Minuten. Der Zug kommt natürlich selbst jetzt nicht, wie die meisten anderen auch nicht. So hasten die Menschen auf Zuruf von Bahnsteig zu Bahnsteig, fast immer vergebens. Kaum ein Zug kommt, und die im Bahnhof stehen, verharren an Ort und Stelle.

Dann das vielleicht zweite Wunder. Ein IC nach Köln wird am Nachmittag angekündigt. Nie hatte Köln einen lieblicheren Klang. Es ist der IC 2440, und die frohgemuten Mitreisenden ahnen nicht, dass sie gerade der Chaos-Hölle mit einem Schreckenszug entkommen wollen. Die erste Nachricht des Zugführers ist ein außerplanmäßiger Zwischenstopp in Köthen, einem Örtchen, das im Fernnetz ein unbeschriebenes Blatt war. Gleich hinter Köthen die zweite Kunde, dass der Zug nicht - wie annonciert - nach Köln fahren wird, sondern doch nur bis Hannover. Die Verzweiflung weicht aber schon in Magdeburg einer anderen Stimmung. Der Name Hannover wird jetzt wie eine kleine Verheißung gehandelt. Denn in Magdeburg steht der Zug erst einmal. 15 Minuten, dann 30 Minuten, bis nach 50 Minuten die Durchsage kommt, dass der Zug erst weiterfahren wird, wenn ein Lokführer gefunden wurde. Bis zu diesem Augenblick war uns gar nicht bewusst, wie führerlos wir ihn Magdeburg doch gewesen sind!

Es dämmert im leicht verschneiten März-Deutschland; und wir tuckern Richtung Braunschweig und Hannover. Alle vermissen ein Restaurantabteil und einen Zugbegleiter. Seit Beginn der Reise hat sich niemand blicken lassen. Wir sitzen in einem Geisterzug.

Die Schicksalsgemeinschaft im Abteil debattiert, ob sie in Braunschweig umsteigen will. Wir bleiben sitzen und setzen auf Hannover. Wohl getan. Bequeme 30 Minuten Aufenthalt haben wir dort, weil der ICE 844 nach Düsseldorf 20 Minuten Verspätung hat. Der Zug ist wieder einmal völlig überfüllt, daher auch schön warm. Bielefeld, Hamm, Dortmund. Wir nähern uns der vertrauten Welt, der schneefreien, der heimatlichen: Um 22.30 Uhr, nach fast 16-ständiger Deutschlandreise dann Düsseldorf - Leute, was für eine hinreißende Stadt, auch ganz ohne Buchmesse.

Unser Autor (54) leitet das Ressort Kultur und wollte am Samstag nur heim von der Buchmesse in Leipzig.

(los)
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