Rheinland und Westfalen Bindestrich-Liebe

Rheinländer liebt Westfälin, Westfale liebt Rheinländerin: Diese Beziehungen gibt es trotz aller vermeintlichen Unterschiede zwischen den Mentalitäten – und sie sind beständig.

 Walburga Schnell, die Bauerstochter aus dem Münsterland, verliebte sich in den Rheinländer Berthold Schlagheck. Und das, obwohl sie einiges am jeweils anderen befremdlich fanden.

Walburga Schnell, die Bauerstochter aus dem Münsterland, verliebte sich in den Rheinländer Berthold Schlagheck. Und das, obwohl sie einiges am jeweils anderen befremdlich fanden.

Foto: Anne Orthen

Rheinländer liebt Westfälin, Westfale liebt Rheinländerin: Diese Beziehungen gibt es trotz aller vermeintlichen Unterschiede zwischen den Mentalitäten — und sie sind beständig.

 Leben und leben lassen ist das Motto vonRobert Herbrand und Eva Thun.

Leben und leben lassen ist das Motto vonRobert Herbrand und Eva Thun.

Foto: Anne Orthen

GEMEINSAME LIEBE ZUR LANDWIRTSCHAFT

 Andreas Pullack hat die aus Westfalen stammende Tanja Kuhlmann wenigstens in einem Punkt zu einer waschechten Rheinländeringemacht: Beim Karneval steht ihre Begeisterung der seinen in nichts nach.

Andreas Pullack hat die aus Westfalen stammende Tanja Kuhlmann wenigstens in einem Punkt zu einer waschechten Rheinländeringemacht: Beim Karneval steht ihre Begeisterung der seinen in nichts nach.

Foto: Anne Orthen

Sie sollte ja nicht mit einem Rheinländer, einem Evangelischen und einem Jäger nach Hause kommen - mit diesen Worten hatte ihr Vater Walburga 1978 ins Studium des Vermessungswesens nach Bonn entlassen. "Zum Glück war der junge Landwirtschaftsstudent, den ich kennenlernte, katholisch", sagt Walburga Schlagheck und lacht.

 Hiltrud Erlmann lernteihren Mann Franz-Josefim Schwimmbadkennen.

Hiltrud Erlmann lernteihren Mann Franz-Josefim Schwimmbadkennen.

Foto: Anne Orthen

Sie, Walburga Schnell, die Bauerstochter aus dem Münsterland, verliebte sich in den Rheinländer Berthold Schlagheck. Und das, obwohl sie einiges am jeweils anderen befremdlich fanden. Er habe mit einem Freund Pläne geschmiedet, ohne jemals an ihre Realisierung zu denken, solche Luftschlösser bauen würde ein Westfale niemals, sagt sie.

 Sylvia Dömges und ihr Mann Hans sindseit fast einem halben Jahrhundert verheiratet.Sie haben sich im St.-Franziskus-Krankenhaus in Mönchengladbachkennengelernt.

Sylvia Dömges und ihr Mann Hans sindseit fast einem halben Jahrhundert verheiratet.Sie haben sich im St.-Franziskus-Krankenhaus in Mönchengladbachkennengelernt.

Foto: Anne Orthen

Er wiederrum lachte über ein Schild an einem Zaun im Münsterland, auf dem stand: "Füttern und Necken der Bevölkerung verboten." Aber sie mochten auch vieles an der Heimat des anderen: Er die gepfl asterten Bauerhöfe, sie den Rhein, "der die Menschen, die an ihm wohnen, mit der ganzen Welt verbindet und sie weltoff en macht", sagt sie.

Er wurde schließlich Tierarzt, und beide zogen an den Niederrhein, nach Voerde. Dort leben sie seit 27 Jahren. Gemeinsam haben sie vier Kinder, zwei Jungen und zwei Mädchen. Und auch die bleiben nicht in den Grenzen ihrer Heimat, der eine Sohn habe sich in ein bayerisches Mädel verliebt, der andere in eine Spanierin.

Doch ein bisschen Münsterland hat sich die heute 57-jährige Walburga Schlagheck bewahrt. So passt mittlerweile der dritte Münsterländer Vorstehhund auf die Familie auf. Und der begleitet auch ihren Mann (58) bei der Jagd. Verbunden habe sie von Anfang an die Liebe zur Landwirtschaft und zu den Tieren, die gepfl egt werden müssen. "Das ist im Münsterland und am Niederrhein so."

DIE STURHEIT VERBINDET SIE

Eva Thun und Robert Herbrand hatten die besten Plätze, aber gesehen haben sie nichts. Als sie sich vor elf Jahren in einer Kölner Kneipe zum ersten mal gegenüberstanden, um gemeinsam — mit bester Sicht auf die Leinwand — den Eurovision Song Contest zu schauen, hatten sie nur Augen füreinander.

Vier Jahre lang führten der katholische Rheinländer aus Neuss und die protestantische Südwestfälin aus Hagen eine Fernbeziehung: Sie lebte zeitweise in der Schweiz. Heute wohnt das Ehepaar in Hagen. Eva Thun (44) hatte sich eigentlich nur ein verregnetes Wochenende in der Schweiz vertreiben wollen.

Des Berufs wegen war die Marketingangestellte nach Sankt Gallen gezogen. Im Internet suchte sie jemanden zum Chatten, fand Robert Herbrand (49) und blieb auch dann mit ihm in Kontakt, als die Sonne wieder schien und bis sie sich in Köln zur ESC-Party trafen. Seiner Mutter habe Robert Herbrand seine neue Freundin in knackigen Worten beschrieben, erzählt diese: "Ich hätte drei Fehler: Westfälin, evangelisch, raucht", sagt die 44-Jährige und lacht.

Die Zigaretten seien inzwischen passé, aber "den Rest bekommt er nicht aus mir raus". Dass beide stur seien, verbinde sie. "Wir sind auch sehr tolerant und haben immer einen Kompromiss gefunden", sagt Eva Thun. Die Rheinländer fififi ndet die Hagenerin oberflflfl ächlicher als die Westfalen. "Man kann mit ihnen ein Bier trinken gehen, und am nächsten Tag reden sie nicht mal mit einem", sagt Eva Thun, die in Köln studiert hat. "In Westfalen ist es schwieriger, jemanden kennenzulernen, aber wenn, dann ist es für die Ewigkeit."

ROCKMUSIK, KÖLSCH UND KARNEVAL

Die Musik hat sie verbunden: Andreas Pullack (52) und Tanja Kuhlmann (46) teilen ihre Leidenschaft für Alternative Rock und New Wave. Als sie die ersten vier Jahre ihrer Beziehung noch jedes Wochenende zwischen Westfalen und dem Rheinland pendelten, spielten sie ihre Lieblingslieder einfach durch das Telefon ab.

Andreas Pullack kommt aus Langenfeld, seine Frau Tanja Kuhlmann stammt aus Lemgo. Im Internet haben sie sich kennengelernt. Für das erste Treffen wählten sie einen Ort, der zu ihrem Musikgeschmack passt: das "Zakk" in Düsseldorf. Gespielt wurde Rockmusik. "Wir hören noch regelmäßig die alten Schinken von damals", sagt Andreas Pullack. Seine rheinische Heimat wollte der Betriebswirt nie verlassen.

Das Paar wohnt heute in Langenfeld. Zusätzlich bringt der 52-Jährige ein bisschen Rheinland regelmäßig in den Kreis Lippe. Denn das Ehepaar hat aus der jährlichen Gartenparty eines Freundes in Lemgo eine Kölsch-Party gemacht. Fast 200 Liter Kölsch bringen sie jedes Mal für die fast 40 Feiernden mit. Tanja Kuhlmann, die bei einer privaten Krankenversicherung arbeitet, hat sich nach dem Umzug nach Langenfeld schnell eingelebt.

Sie entdeckte den Karneval für sich. "Sie ist so jeck, dass ich sie manchmal bremsen muss", sagt ihr Mann und lacht. Auch die Schwiegermutter hat das Fieber gepackt. Jedes Jahr zu Weihnachten bekommt sie eine CD mit den neuesten Sessionshits — die sofort aufgelegt werden muss.

RHEINLÄNDERIN ECKTE IN WESTFALEN AN

Die Verbindung zwischen Rheinländern und Westfalen liegt bei den Erlmanns in der Familie. Vier Paare, bei denen die Partner jeweils aus den Regionen stammen, haben sich bereits gefunden. Den Anfang machte der Vater von Hiltrud Erlmann, als der Düsseldorfer 1946 aus englischer Kriegsgefangenschaft kam. In Hagen besuchte er die Familie eines Kameraden, der noch nicht freigekommen war, und verliebte sich in dessen Schwester. Die Tochter der beiden, Hiltrud Erlmann, wuchs in Düsseldorf auf. Sie ist heute 65 Jahre alt und wiederum mit einem Westfalen verheiratet.

Im Freibad in Hagen, wo sie gerade ihre Verwandten besuchte, war er ihr aufgefallen. Um ihn auf sich aufmerksam zu machen, spritzte die damals 17-Jährige ihn mit Wasser nass. "Er wurde so sauer, dass er ins Becken gesprungen ist und mich untergetaucht hat", erzählt die Rentnerin und lacht. Seitdem sind Hiltrud und Franz-Josef (67) zusammen. Weil sie bei der Hochzeit vier Jahre später noch keine 21 war, mussten die Eltern der Braut ihre offizielle Erlaubnis geben.

Ihr Mann sei ein typischer Westfale, berichtet Hiltrud Erlmann. "Er ist ein liebevoller Dickkopf. Besonnen und zurückhaltend. Daran verzweifle ich manchmal heute noch." Von Zeit zu Zeit habe das Paar Konflikte ausgetragen, danach aber sei die Sache erledigt gewesen. "Er ist mein Fels in der Brandung", sagt Hiltrud Erlmann.

Sie selbst sei zunächst in Westfalen angeeckt. "Ich war ein unkompliziertes, frisches Wesen im Minirock", sagt sie. "Da haben sich alle umgeguckt." Auch sprachlich haperte es am Anfang. "Als ich Tschö statt Tschüss gesagt habe, wusste er gar nicht, was ich meine", sagt die Rheinländerin. "Manchen rheinischen Ausdruck muss ich für ihn heute noch auf Hochdeutsch wiederholen." Sechs Kinder hat das Ehepaar. Die älteste Tochter zog vor 25 Jahren der Liebe wegen in die Heimat ihres Vaters. Und die jüngste hat kürzlich ins Sauerland geheiratet.

RHEINISCH, WESTFÄLISCH, HARMONISCH

Noch bevor sie sich kennenlernten, machte Sylvia Kossak für Hans Dömges das Bett. Wegen einer schweren Durchfallerkrankung kam der junge Mann 1964 ins St.-Franziskus-Krankenhaus in Mönchengladbach. Dort hatte Schwester Sylvia ihren ersten Tag nach dem Urlaub, und kaum bekam sie den neuen Patienten, für den sie auf Weisung der Oberschwester schnell das Bett richten sollte, zu Gesicht, war es auch schon um sie geschehen.

"Es hat bei uns beiden sofort gefunkt, aber das wussten wir damals noch nicht." Denn der rheinische Jung ließ sich nichts anmerken und die Westfälin ebenfalls nicht — "ich habe schließlich in einer katholischen Klinik gearbeitet", erklärt sie. Kurz nach der Entlassung trafen sich Hans aus Mönchengladbach und Sylvia aus Lünen "zufällig" im Stadtteil Waldhausen wieder.

Die junge Frau hatte herausgefunden, wo er wohnte, und zusammen mit einer Freundin denselben Weg gewählt wie ihr ehemaliger Patient, von dem sie wusste, dass er im Münsterchor sang und zu dieser Zeit immer zum Hochamt in die Kirche und anschließend zum Frühshoppen ging.

"Schwester Sylvia, Sie hier in Waldhausen?", fragte er verdutzt, als er sie erblickte. Kurz darauf tranken sie Bruderschaft, später holte er sie nach Dienstschluss vom Krankenhaus ab, und dann fuhren sie gemeinsam in seinem Auto nach Holland, "denn ich war noch nie dort gewesen", erzählt sie vom ersten Ausflug. Im kommenden Mai sind sie 50 Jahre verheiratet. Sie haben drei Kinder.

Ihre Ehe sei "rheinisch, westfälisch, harmonisch", findet der 79-Jährige. Sie habe sich dem "Schützenwesen angepasst" und dem rheinischen Dialekt angeschlossen. Doch so ganz hat die 73-Jährige ihre Herkunft nicht abgelegt, betont sie. "Ich habe ja größtenteils unsere Kinder erzogen, und mit ihnen habe ich Plattdeutsch gesprochen. Ich wollte, dass sie meine Sprache verstehen", sagt sie und fügt wie zur Bekräftigung ein "nich" hinzu. Dabei stellt sie bis heute fest, dass man als an den Niederrhein emigrierte Westfälin in der neuen Heimat noch immer häufig gefragt wird "Sie sind aber nicht von hier, oder?"

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