Hückelhoven Als harten Bergleuten plötzlich Tränen über die Wangen liefen

Hückelhoven · In meinen journalistischen Anfängen war es die Grube Anna in Alsdorf. Montan-Union, Energiepolitik, Mikat-Kommission, Jahrhundertvertrag, Kohlepfennig - das waren trockene Begriffe.

 Gabi Laue ist Redakteurin in der Lokalredaktion Erkelenz.

Gabi Laue ist Redakteurin in der Lokalredaktion Erkelenz.

Foto: Laaser, J�rgen

Dass hinter dem Streit um Kohlesubventionen Schicksale stehen, spürte ich hautnah, als Hückelhoven mein Revier wurde. Acht Jahre Kampf um die Zeche Sophia-Jacoba gipfelten im Untertage-Sitzstreik Hunderter Kumpel. Diese intensive Zeit mit täglichen Grubenfahrten wurde zur aufregendsten, emotionalsten und spannendsten meines Berufslebens.

Die Zeche hatte Hückelhoven vom 700-Seelen-Dorf zur aufstrebenden Stadt gemacht. 1988 war Sophia-Jacoba mit rund 5000 Beschäftigten größter Arbeitgeber der Region, gab mit Angehörigen und Gewerbe 20.000 Menschen Lohn und Brot. Schließungsgerüchte tauchten auf. "Was ist mit Sophia-Jacoba los?", titelte die Erkelenzer Redaktion. 200 Millionen Tonnen "schwarzes Gold" unter der Erde hätten noch 100 Jahre Abbau gesichert. Doch keine zehn Jahre später war der "Deckel auf dem Pütt", im Aachener Steinkohlerevier endeten 900 Jahre Bergbaugeschichte.

Mit einer Demonstration beginnt 1987 der Kampf um die Grube: "Sophia-Jacoba muss leben, damit die Region nicht stirbt". Gottesdienst am Schacht, Gründung eines Bürgerkomitees und der Fraueninitiative, Autokorso mit 1000 Fahrzeugen, Menschenkette, Kundgebungen, Mahnwachen, Kreuzweg der Arbeit mit 7000 Menschen, ein Marsch nach Bonn von 600 Bergleuten und 115.000 Unterschriften für den Zechenerhalt, vor dem Kanzleramt angekettete Frauen - und ich als Redakteurin immer dabei. Das Bergmannslied "Glückauf, der Steiger kommt" kenne ich auswendig. Der Blick in Gesichter, in denen die Angst vor der Zukunft steht oder auch die Wut auf Politiker, die jede Festlegung vermeiden, erzeugt Mitgefühl.

17. Oktober 1991: Anruf vom Betriebsrat. Die Frühschicht ist nicht ausgefahren, Bergleute wollen so lange unter Tage streiken, bis die Politik ein Überleben der Zeche verspricht. Am nächsten Tag Medienrummel am Schacht: Ü-Wagen, internationale Tagespresse, alle wollen über die um ihren Pütt verzweifelt Kämpfenden berichten. Aufregend. Die Welt unter Tage zu entdecken, ist spannend, man spürt den Gemeinschaftsgeist der Kumpel, für die Sophia ihr Leben bedeutet. Politiker fahren an, es gibt eine brenzlige Situation, als einem Kabinettsmitglied eine "Seilfahrt ohne Korb" angedroht wird. Als die Kumpel ausfahren, suchen sie Zuflucht im Aachener Dom. Hier erreicht sie am 11. November 1991 die Nachricht vom Schließungsdatum. Fünf Jahre haben sie erkämpft. Tränen fließen, auch mir sitzt ein Kloß im Hals.

27. März 1997, Gründonnerstag. Die Stadt trägt Trauer. Schwarze Fahnen an Häusern, Trauerflor an Autos. Bedrückend. Nach 83 Jahren Kohleförderung rollt der letzte Wagen mit Anthrazit. Tränen rinnen harten Kerlen über die Wangen, Frauen schluchzen. Ergreifend. Abends ein Trauerzug von 5000 Menschen mit Pechfackeln. Stille, in Intervallen dumpfes Bumm-Bumm-Bumm einer Trommel. Gespenstisch. Die Erinnerung löst bei mir immer noch Gänsehaut aus.

Aber die Region stirbt nicht. Hückelhoven hat den Wandel zur blühenden Handelsstadt geschafft. Auf Zechengelände bauten Einkaufsmärkte und Industriebetriebe. Zukunftsprojekt ist eine Freizeitarena im Schatten des Förderturms. An Schacht 3 haben die Ex-Kumpel ein Bergbaumuseum ausgebaut.

(gala)
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