Zeitungsmacher Ein Blick zurück nach vorne

Hat sich in 70 Jahren unser Journalismus verändert? Oder nur der Verbreitungsweg unserer Inhalte? Vielleicht beides. Geblieben ist der Anspruch an unsere Redaktion, die Haltung.

 Der neue Newsroom der Rheinischen Post wurde 2014 installiert.

Der neue Newsroom der Rheinischen Post wurde 2014 installiert.

Foto: Ronny Hendrichs

Leim, Pinsel, Schere, so machte man Zeitung in den 1970er Jahren. Da wurden Artikel nicht am Bildschirm getippt und per Mausklick elektronisch designte Zeitungsseiten in die Druckerei gegeben, sondern auf Schreibmaschine geschrieben und die Textschnipsel später mit der Hand zusammengeklebt. Den Leim gab's bei der Botenmeisterei, die Schere bei der Geschäftsführung. Auf den Tischen der Nachrichtenredakteure lagen Hunderte Manuskripte. Aus dem Fernschreiber kamen Agenturmeldungen. Dann wurde ausgewählt und zusammengeschnitten. Was kommt in die Zeitung, was nicht?

Der Nahost-Reporter diktierte vom Fernsprecher eines Hotels den Kollegen in Düsseldorf seine Geschichten durch. Wenn es kein Telefon gab, kam der Text eben erst nach Rückkehr in die Zeitung. Das konnte Wochen dauern. Eine ausgeruhte Reportage. So war das damals. Blattmacher konnten die Geschichte ruhig "liegen lassen". Niemand sonst hatte sie. Konkurrenz gab es kaum. Die Zeitung war das Maß der Information. Das Schaufenster der Welt. Was nicht drin stand, gab's nicht.

Und heute? Heute ist Journalismus multikulti und omnipräsent. Bunt, vielfältig, rasant. Nachrichten strömen als Live-Ticker durch das Internet, zuerst übrigens 1996 bei RP Online. Die Zeitung, dieses Produkt mit festem Redaktionsschluss ist nur ein Weg der Information.

Nur? Ist das eine schlechte Entwicklung? Überhaupt nicht! Die neue Vielfalt hat die Reichweite und die Relevanz unserer Arbeit erhöht. RP-Redakteure erreichen so viele Leser wie nie. Fast eine Million über die tägliche Zeitung (in 29 Lokalredaktionen mit 31 Ausgaben) und knapp sechs Millionen unterschiedliche Nutzer pro Monat auf unserer Internet-Seite, darunter viele Unter-30-Jährige, die die Zeitung nicht mehr lesen.

 Michael Bröcker.

Michael Bröcker.

Foto: WfG Kreis Kleve

Der Journalismus hat sich also breit gemacht. Und er nutzt den Markt der Möglichkeiten. Unsere Reporter schnallen sich eine Kamera auf den Kopf und filmen ihre Recherchen mit dem Smartphone, die Zuschauer können via Facebook live dabei sein. Über den Nachrichten-Ticker kann der in die USA emigrierte Neusser Schützenfan sein liebstes Heimatfest auf dem Handy verfolgen. Newsrooms nennen wir die Maschinenräume der multimedialen Produktion, weil es so modern klingt. Aber weil sie auch moderner geworden sind.

Von 6 Uhr bis 24 Uhr texten, filmen, sprechen und posten RP-Journalisten aus Heerdt das Neueste in die Welt und die Region. Im eigenen TV-Studio werden Kurzfilme gedreht, neben den Schreibtischen mit den beiden Bildschirmen (einer für das Redaktionsprogramm, einer für alles andere) steht heute auch ein "Listening Center". Ein Arbeitsbereich, in dem Daten dominieren. Eine Software scannt rund um die Uhr Themen und Trends aus dem Netz. Was wird gerade leidenschaftlich diskutiert, wie schneidet die jüngste Initiative des Oberbürgermeisters in den Netzwerken ab?

Was wir aus diesen Informationen machen und auf welchem Kanal wir was veröffentlichen, bleibt natürlich uns überlassen. Die neuen technischen Möglichkeiten haben unseren Umgang mit den Lesern intensiviert. Feedback erfolgt in Echtzeit. Der Leserbrief kommt im Minutentakt. Als Kommentar bei Facebook, WhatsApp-Nachricht oder E-Mail. Das ist gut so, denn der selbstkritische Austausch mit den Lesern macht unseren Journalismus besser - egal, auf welchem Kanal.

Für die Zeitung verändert sich im aufgewühlten Informationsmeer die Rolle. Sie muss wie eine Insel der Ruhe wirken. Reflexion, Tiefe, Hintergrund, aber auch Meinung und Einordnung werden wichtiger. Mit Thesen und Themen zu überraschen, ist unsere Pflicht. Auch farbiger ist sie geworden, nicht bunter.

Eines ist aber stets geblieben. Unser Anspruch. Unsere Haltung. Wir treten in der christlichen Tradition unserer Gründer für Demokratie, Menschenwürde und Freiheit ein. Der beste Journalismus ist unparteiisch und unverdächtig. Aufklären, erklären, dabei bitte akkurat recherchieren, ausgewogen argumentieren. Fairness, keine Häme. Das ist unsere Haltung.

Wir suchen nicht den schnellen Applaus, wir lassen uns nicht von Meinungsumfragen Themen diktieren. Wie hat es der französische Journalist Alain Peyrefitte einst treffend formuliert: "Die Presse muss die Freiheit haben, alles zu sagen, damit gewisse Leute nicht die Freiheit haben, alles zu tun." Unser Journalismus muss wirksam sein, dann behält er seine Relevanz auch im Informationsdschungel.

Was ist gut für unsere Leser? Was ist gut für unsere Region? Was haben die Politiker versprochen, aber bisher nicht eingelöst? Das Forum für diese Debatten müssen wir sein - print wie online.

Regionalmedien als Katalysator und Kompass für die Entwicklungen vor Ort. Das ist unser Leitmotiv als lokales Medium. Wir sind an der Lösung der Probleme interessiert, nicht allein an der Problembeschreibung. Somit sehen wir uns auch als Bollwerk gegen Politikverdrossenheit - nur wer sich einmischt, kann etwas verändern.

Wenn es uns dann noch gelingt, mit bewegenden Geschichten zu überraschen, ungewöhnliche Menschen vorzustellen und exklusive Informationen für Sie, liebe Leserinnen und Leser, zu bieten, dann sind wir unseren Preis wert. Wie Sie uns lesen, auf welcher Benutzeroberfläche, ist zweitrangig.

In sieben Jahrzehnten haben Generationen von außergewöhnlichen Journalisten die Rheinische Post zu dem gemacht, was sie heute ist. Die Stimme des Westens. Eine publizistische Marke, die bundesweit anerkannt wird, online und print.

Diese Verantwortung, mit diesem Erbe auch die nächsten 70 Jahre pfleglich und behutsam umzugehen, spüren wir. In einer Zeit, in der sich Menschen von den "Eliten" abwenden, Politiker wie Medienvertreter als Lügner beschimpfen, hat der Journalismus eine Bringschuld. Er muss versachlichen, sauber bleiben und Ressentiments abbauen. Nicht anheizen, sondern aufklären. Keine Kampagnen, sondern Konzepte für ein besseres Miteinander beschreiben. Dieser Verantwortung müssen wir gerecht werden. Jeden Tag. Als Zeitung beim Frühstück oder auf dem Smartphone in der Bahn.

Das Vertrauen der Leser ist das Wichtigste, was wir haben.

(brö)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort