Auslandssemester Nach 200 Kopien in die Schweiz

Nicolas Gaspers hat ein Semester in Bern studiert. Für Campus + Co berichtet der 24-jährige Master-Student der Literaturwissenschaften von seinen Erfahrungen in dem Land, das nach dem jüngsten Volksentscheid die Zuwanderung stark beschränken will.

Bist du sicher, dass du das machen willst?". Er stellte diese Frage ziemlich ernst. Das überraschte mich. Er schien das bemerkt zu haben und fügte hinzu: "Ich habe schon von vielen gehört, dass man gerade als Deutscher in der Schweiz nicht besonders willkommen sein soll." Ich saß an diesem Abend mit einem Freund in einer kleinen Kneipe. Es war der letzte gemeinsame Abend, bevor mein Flug nach Basel starten sollte. Die Entscheidung, das letzte Sommersemester an der Universität in Bern zu studieren, stand für mich schon unumstößlich fest: Meinen Job hatte ich bereits gekündigt, die Exmatrikulation an der RWTH war längst durch, und den Flug hatte ich schon bezahlt.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mir natürlich auch einige Sorgen gemacht. Konnte ich das alles überhaupt bezahlen? Würde ich mich dort wohlfühlen? Wie würde ich an der Universität in Bern abschneiden? Aber ob man mir als Ausländer mit Abneigung begegnen würde? Daran hatte ich keinen Gedanken verschwendet. Und dafür hatte ich berechtigte Gründe. Meine Schwester lebte schon seit über einem Jahrzehnt in Solothurn. Ich besuchte sie regelmäßig, kannte die Schweiz so schon recht gut.

Auch mit vielen Schweizern kam ich so in Kontakt und alle waren immer sehr aufgeschlossen und freundlich zu mir: "Komm doch mal für ein halbes Jahr oder so her", hieß es immer. Im letzten Jahr habe ich mich dann tatsächlich dafür entschieden.

Meiner Entscheidung folgte ein unendlicher Papierkrieg. Allein an der Universität und für die Aufenthaltsgenehmigung schickte ich über 200 beglaubigte Kopien ein: Zeugnisse, Anträge, polizeiliches Führungszeugnis, Personalausweis, Reisepass, Versicherungs- und Finanznachweise. Alles in mindestens doppelter Ausführung. Das war also diese vereinfachte Bürokratie des neuen Bachelor-Systems. Daumen hoch! Kostenpunkt mit Studiengebühren und Bahnticket: etwa 2000 Euro.

Endlich in der Schweiz ging auch schon das Studium los. Germanistik und Historik im Bachelor. Anerkannt hatte man mir von meinen fünf Semestern gerade drei. Nicht mal mit allen Credits. Das fünfte Regelsemester fehlte mir bereits in Aachen, da in der Schweiz das Semester im Februar beginnt und ich damit zu viele Fehlzeiten gehabt hätte. Ein Semester umsonst. Da ließ die Universität auch nicht mit sich verhandeln. Sehr flexibel das Bachelor-System.

Ich belegte also, was ging, schrieb drei Hausarbeiten und fünf Klausuren, um die verlorene Zeit aufzuholen. Die Ergebnisse waren immer sehr gut. Darüber freuten sich meine Studienkollegen aus der Schweiz zusammen mit mir. Keine Spur von Neid oder Abneigung.

Auch sonst waren alle immer sehr freundlich zu mir, unterstützten mich und halfen mir mit meiner mir selbst aufgehalsten Mehrarbeit. Nur eine seltsame Szene ereignete sich: An einem der letzten Abende, bevor ich wieder nach Deutschland abreiste, ging ich mit meinem Schweizer Freund Michael ein Abschiedsbier trinken. Ich erzählte ihm, dass ich das mit meinem Freund in Deutschland auch so gemacht und was dieser besorgt geäußert hatte. Drei Schweizer am Tisch gegenüber hatten das anscheinend mitgehört. Einer drehte sich um und sagte: "Wenn ihr Deutschen doch schon zu Hause wisst, dass ihr hier nicht willkommen seid, warum bleibt ihr dann nicht da? Wir wollen euch hier nicht haben."

Michael sagte, dass ich ok sei. Die Diskussion war damit erledigt. Dann rollte er die Augen, beugte sich zu mir und sagte: "Ein paar Vollidioten gibt es immer." Dass die sich aber ein Jahr später mit ihrer Meinung im jüngsten Volksentscheid mehrheitsfähig machen würden, hätten wir damals beide nicht geglaubt. Für mich war es ein tolles Semester. Ob andere diese Chance nun nicht mehr haben werden, wird nun die Zukunft zeigen.

(RP)
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