Mercedes Das Duell der Flügeltürer

Wer sich an einer Legende vergreift, droht leicht zu scheitern. Nicht so Mercedes: Mit dem SLS ist es den Stuttgartern gelungen, den Klassiker 300 SL neu zu interpretieren. Und zwar so gut, dass der SLS, dessen Produktion 2014 eingestellt wurde, ebenfalls zum begehrten Sammlerstück geworden ist. Doch welchen der beiden Flügeltürer sollte man sich in die Garage stellen? Wenn man es sich leisten kann, am besten beide.

 Der Klassiker 300 SL.

Der Klassiker 300 SL.

Foto: Jürgen Moll

Was zeichnet einen Filmstar aus? Charisma, Charakter und außerordentliches Talent. Das gewisse Etwas. Eigenschaften also, die der Mercedes-Benz 300 SL von Hause aus mitbringt. Da wundert es nicht, dass dieses spezielle Exemplar aus dem Jahr 1954 in "Fahrstuhl zum Schafott" keine unwesentliche Rolle spielte. Und der Regisseur und Schauspieler Clint Eastwood den Wagen als Erstbesitzer unbedingt über die Hügel Hollywoods scheuchen musste. Über Umwege gelangte der Flügeltürer später nach Deutschland, wo er heute wie aus dem Ei gepellt in einer gut sortierten bergischen Garage posiert. Und immer noch mehr als nur einen Hauch Grandezza versprüht.

Elegantes Einsteigen freilich verlangt in dem scharf geschnittenen Coupé, das Leser der Oldtimer-Zeitschrift Motor Klassik 1999 zum "Sportwagen des Jahrhunderts" wählten, nach täglichen Gymnastik-Übungen. So hoch und breit ist der Einstieg, dass die Beine einer ausgeklügelten Origami- Falttechnik bedürfen, um sie unter das Lenkrad in Stellung zu bugsieren. Groß gewachsene Menschen können die bemerkenswert leichte Flügeltür locker zu sich heranziehen, kleinere müssen darauf achten, sie nicht loszulassen. Sonst dürfen sie sich erneut aus dem Sitz wuchten.

Im Innenraum geht es, wie man heute so sagt, aufgeräumt zu, das aber mit Noblesse. Zwei große Rundinstrumente, ein paar Schieberegler, fertig ist das zwar edle, aber enge Cockpit. Frischluft lässt sich auf die Füße leiten und durch die vorderen Ausstellfenster auch etwas Fahrtwind ins Gesicht. Mehr Klima geht nicht. Was bedeutet: Sommer plus Stau gleich Sauna auf Rädern. Deshalb donnert man mit dem 300 SL lieber unter bedecktem Himmel über die Autobahn.

Dafür wurde der Wagen mit der internen Typenbezeichnung W198 einst geschaffen, er sollte die Fähigkeiten des Rennsportwagens W194 für jedermann erfahrbar machen. Nun, fast jedermann: 30.000 Mark kostete der Wagen, was 1954 einer Kaufkraft von etwa 70.000 Euro entsprach. Das liebevoll und teuer restaurierte Eastwood-Sammlerstück ist heute geschätzte 1,2 Millionen Euro wert.

Dennoch will es bewegt werden. Irgendwo müssen die 215 Pferdchen ja hin, die der Dreiliter-Sechszylinder freisetzt. Bis auf 260 km/h lässt sich der Wagen theoretisch treiben, praktisch sollte man aber früher vom Gas gehen, der vergleichsweise überschaubaren Bremskraft wegen und um dem Zahn der Zeit doch etwas entgegenzukommen. Ohnehin verlangt der 300 SL nach einer kompetenten und kräftigen Hand am Steuer, besteht die Lenkunterstützung doch allein aus Muskelkraft. Rund 16 Liter genehmigt sich unser kurvenreicher Hollywoodstar, allerdings absolut alkoholfrei. Und dank des 130-Liter-Tanks hat dieser Film zum Glück reichlich Überlänge.

In Hollywood hat es für den Mercedes-Benz SLS bislang nur für eine Nebenrolle gereicht. Im Action-Blockbuster "Transformers 3" verwandelt sich ein Roboter in den Supersportwagen. Besonders sexy ist das nicht, verglichen mit dem Leinwandauftritt des 300 SL. Dabei hat der SLS AMG genau die Proportionen, die Automobilisten glücklich machen: lange Schnauze, kräftige Flanken, knackiger Hintern, alles angemessen abgerundet.

 Der Klassiker im neuen Gewand.

Der Klassiker im neuen Gewand.

Foto: Jürgen Moll

Die Neuinterpretation des 300 SL ist ein Wagen, dem man sofort verfällt. Mit Haut und Haaren, aber nicht wider jede Vernunft: Etwa 190.000 Euro kostete der exquisite Benz zwar im Neuzustand (die von uns gefahrene Version unter anderem wegen einer 10.000 Euro teuren Sonderlackierung rund 220.000), für einen Gebrauchten muss man heute aber rund 50.000 Euro mehr drauflegen.

Denn vom SLS wurden zwischen 2009 bis 2014 nur zwischen 6000 und 10.000 Stück gebaut (die genaue Zahl ist nicht bekannt), und die Nachfrage bestimmt eben den Preis. So sehen Wertanlagen aus, die Spaß machen. Natürlich hätte das Vorhaben, einen Klassiker mit modernen Mitteln nachzuempfinden, auch schief gehen können. Zu schön gezeichnet ist der Vorgänger, eine Ikone des Automobilbaus.

Doch der SLS ist eine mehr als würdige Neuauflage, weil er zwar zitiert, aber gekonnt, und weil er eine erkennbar eigene Handschrift besitzt. So ist der Einstieg durch die spektakulären Flügeltüren, deren Radius denen normaler Türen entspricht, jetzt hüftschadenkompatibel, die Sessel umschmiegen den Körper, und eine Klimaanlage sorgt im überschaubaren Innenraum für einen kühlen Kopf.

Die Motorhaube scheint noch länger als beim SL. Ehrlich gesagt: Gefühlt besteht der SLS vom Platz hinterm Steuer aus gesehen eigentlich nur aus Haube. Und aus Motor natürlich. Die Eckdaten: 6,2 Liter Hubraum, acht Zylinder, 571 PS, Höchstgeschwindigkeit 317 km/h. Faktenhuberei spielt auf der Straße freilich keine Rolle, da will man dieser Maschine nur noch bei der Arbeit zuhören, so beherzt röhrt sie durchs Gelände.

Der Antritt ist brachial und per Knopfdruck (AMG) kurzzeitig fast raketenhaft, wovon aber nur bei optimalen Bedingungen zuzuraten ist. Schnell wird klar: Dieser SLS will nicht nur spielen, sondern besitzt echte Rennwagen- Gene. Die Abstimmung des Fahrwerks ist hart, aber nicht unkomfortabel; wie es sich für einen Mercedes gehört, kann man damit auch auf Reisen gehen. Sogar Koffer sollen hinein passen. Für Motorsportler bietet Mercedes noch stärkere Versionen, wobei die Basis-Variante ehrlicherweise wenig Wünsche offen lässt. Außer natürlich, einen SLS zu besitzen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort