Aktienkultur Viele Anleger vergeben Chancen

Während in anderen Ländern Anleger wenige Berührungsängste mit Aktien haben, sehen Deutsche vor allem die Risiken. Damit vergeben sie Chancen, warnen Experten.

Fallen die Kurse, sagen viele Anleger: Stop! Sie steigen aus und verpassen den nächsten Boom.

Fallen die Kurse, sagen viele Anleger: Stop! Sie steigen aus und verpassen den nächsten Boom.

Foto: Thinkstock/Sergey_P

Für Aktien müssen Anlagespezialisten mehr werben als für andere Anlageklassen. Diese Beobachtung macht Martin Grammer derzeit immer wieder. Für die Vertriebsbetreuung der DekaBank in Nordrhein-Westfalen zuständig, spricht Grammer bei Kundenveranstaltungen von Sparkassen häufig mit Privatanlegern und hört deren Sorgen: "Viele denken bei Aktien zuerst an Risiken."

Deutsche haben im Vergleich zu anderen Ländern ein ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis, wie auch das Deutsche Aktieninstitut bedauert: Trotz steigender Kurse an den Börsen ist die Zahl der Aktienanleger 2014 das zweite Jahr in Folge gesunken. "Der erneute Rückgang der Aktionäre ist für die Aktienkultur in Deutschland ein herber Rückschlag", kommentierte Christine Bortenlänger, Geschäftsführender Vorstand des Deutschen Aktieninstituts, die Zahlen.

Für diese Zurückhaltung sieht Grammer historische Gründe: Viele Deutsche sind während des Börsenbooms Ende der 1990er-Jahre erstmals in Aktien eingestiegen und haben dann gleich den Einbruch zwischen 2000 und 2003 erlebt. Diese Erfahrung war für sie viel gravierender als für Anleger etwa in den USA oder in Großbritannien, die traditionell mehr in Aktien investieren und Rückschläge daher eher einordnen können. "In Deutschland fehlt hingegen eine so ausgeprägte Aktienkultur", sagt der Experte.

Stattdessen legen die deutschen Privathaushalte viel Geld auf kurzfristigen Tages- und Festgeldkonten an oder halten es sogar bar, wie die Deutsche Bundesbank gerade in einer Statistik fürs vierte Quartal 2014 festgestellt hat. "Wenige sehen die Risiken dabei", warnt Grammer. Selbst bei einer niedrigen Inflationsrate sorgen die noch niedrigeren Zinsen für einen schleichenden Kaufkraftverlust der Anlagen, und außerdem entgehen den Menschen andere Chancen. So legen Aktien unterm Strich seit einiger Zeit kräftig zu.

Doch sind die Kurse nicht zu hoch gestiegen? Erste Korrekturen lassen Sorgen vor einem Absturz aufkommen. Rücksetzer sind immer möglich, entgegnet Grammer und empfiehlt daher einen Einstieg entweder über einen Sparvertrag mit regelmäßigen Beiträgen oder zumindest einen gestaffelten Kauf. "Dann profitiert man von Kursrückgängen, weil man die Aktien in Zeiten fallender Kurse günstiger bekommt."

Grundsätzlich hält der Experte den Markt noch für intakt: Die Konjunktur läuft, unterstützt vom günstigen Ölpreis und niedrigen Eurokurs. Viele Unternehmen machen nach wie vor gute Gewinne; "Aktien sind derzeit nicht überteuert." Das zeigt sich auch an den Dividenden, die die Firmen zahlen. Die durchschnittliche Dividendenrendite deutscher Aktien liegt bei annähernd drei Prozent.

Die Nachfrage nach Aktien dürfte auch weiterhin die Kurse stabilisieren, vermutet Grammer und mit ihm viele Marktbeobachter: Viele institutionelle Anleger (zum Beispiel Versicherungen) schichten in Aktien um, weil sie renditestärkere Anlagen als Anleihen brauchen. Darüber hinaus spült die Europäische Zentralbank über ihr Anleihekaufprogramm weiteres Geld in den Markt, das ebenfalls angelegt werden will. Die Zinsen bleiben unten, Anlagealternativen fehlen. Die Deka sieht eine Anhebung der Leitzinsen im Euroland frühestens im Herbst 2018.

Privatanleger können die Risiken einer Aktienanlage übrigens minimieren, zumindest streuen: Sie kaufen keine Einzeltitel, sondern Fonds, die unterschiedliche Aktien enthalten. Gefragt sind nach Beobachtung von Grammer auch Produkte, die eine regelmäßige Auszahlung der Dividenden vorsehen. Die Deka bietet zum Beispiel einen Fonds an, der die Dividenden zweimal im Jahr an die Anleger ausschüttet. Dafür interessieren sich viele, die zuvor auf Zinszahlungen gesetzt haben.

Die Risiken lassen sich sogar noch viel weiter streuen: Es gibt auch Mischfonds, die sowohl Aktien als auch Anleihen enthalten. Oder Immobilienfonds. Ohnehin sollten Anleger nicht zuerst nach dem Produkt fragen, empfiehlt Grammer, sondern ihre eigene Situation klären.

Der Deka-Experte orientiert sich bei diesem Rat an der Beratungsstrategie der Sparkassen, mit denen die Fondsgesellschaft zusammenarbeitet. Danach wird in der Beratung zunächst geklärt, wie lange Geld angelegt werden soll, und vor allem, welche Risiken der Anleger eingehen kann. Im Anschluss erst folgen konkrete Anlageempfehlungen, zum Beispiel zur Höhe des Aktienanteils.

(RP)
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