Umzüge Wecken ist lauter Brauch

Tambourkorps-Weckumzüge sorgten jüngst für Ärger. Dabei sind sie seit vielen Jahren Tradition.

 In Grevenbroich-Orken rief der morgendliche Weck-Umzug des Tambourkorps die Polizei auf den Plan. Anwohner hatten sich wegen Ruhestörung beschwert. Die Stadt und etliche Facebook-Nutzer stellen sich auf die Seite der Schützen.

In Grevenbroich-Orken rief der morgendliche Weck-Umzug des Tambourkorps die Polizei auf den Plan. Anwohner hatten sich wegen Ruhestörung beschwert. Die Stadt und etliche Facebook-Nutzer stellen sich auf die Seite der Schützen.

Foto: Berns, Lothar

Der Fest-Sonntag beginnt für viele Schützen sehr früh am Morgen - nämlich beim lautstarken Weck-Umzug der Tambourkorps durchs Dorf. Diese Tradition ist in vielen Orten des Rhein-Kreises Neuss fest im Schützenbrauchtum verankert. Mancherorts starten die Musiker bereits gegen 5 Uhr morgens und ziehen durch die Straßen. "Das Schützenwesen ist von militärischen Bräuchen geprägt. Dazu zählt auch das frühe Wecken", erklärt der Brauchtums-Experte Professor Manfred Becker-Huberti.

Der katholische Theologe und Publizist aus Grevenbroich hat sich schon mit dem Brauchtum beschäftigt, als die Hintergründe kaum jemanden interessiert haben. Doch das ändert sich in Zeiten, in denen viele Schützenvereine und Bruderschaften in der Region ihre Feste verändern, um sie auch für jüngere Generationen attraktiv zu halten. Außerdem hat es vergangenen Monat beim Schützenfest im Grevenbroicher Stadtteil Orken einen Zwischenfall gegeben: Dort hatten genervte Anwohner während des morgendlichen Tambourkorps-Umzuges die Polizei wegen Ruhestörung angerufen.

Die Beamten untersagten den Spielleuten die Fortführung ihres Marsches durch den Grevenbroicher Stadtteil, was bei den Schützen für Empörung sorgte. Tambourmajor Ronald Bronneberg etwa sprach von einem "Unding" und meinte, dass so die Traditionen in den Dörfern kaputt gemacht würden. Entgegen nachträglich aufgestellter Vermutungen der Polizei war der Umzug um 5 Uhr morgens durch Orken nach Auskunft des Ordnungsdezernenten Claus Ropertz von der Stadt Grevenbroich tatsächlich nicht genehmigt worden.

Doch die Tradition im Ort hatte noch nie zuvor die Ordnungshüter auf den Plan gerufen - und die Musiker machten ihrem Ärger rasch in sozialen Netzwerken wie Facebook Luft. Die meisten Internet-Nutzer stellten sich auf die Seite des Tambourkorps und empfahlen den Anwohnern, die die Polizei gerufen hatten, Ohropax zu benutzen oder fortzuziehen. Robert Hoppe, Bezirksbundesmeister der historischen Schützenbruderschaften, sagte zu dem Vorfall: "Das ist unfassbar. Es bestätigt den gesellschaftlichen Stellenwert, den unsere Schützenfeste heute leider haben." Das Thema wolle er gerne in der nächsten Runde der Schützenpräsidenten genauer erörtern. Fest steht: Das frühe Wecken war bereits vereinzelt im Mittelalter Tradition.

Das bestätigt Brauchtums-Experte Manfred Becker-Huberti, der sich in mehr als 50 Publikationen auch mit diesem Thema auseinandergesetzt hat. "Schützen sind Menschen, die sich gegenseitig helfen", erklärt Becker-Huberti. Ihren Ursprung hätten die Schützen in der Zeit, in der die Krankheit Pest für viel Elend in Europa gesorgt hat. "Die Schützen waren eine Art Hilfsgemeinschaft mit bestimmten Bräuchen.

Mit der Zeit kam auch das Königsschießen als Spiel und das Soldatische dazu", sagt der Grevenbroicher. Übernommen worden war damals eben auch das Wecken: Die Schützen sollten früh morgens mit Freude aufwachen und noch einmal darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie Teil des Königsspiels sind, wie Manfred Becker-Huberti erklärt. Er selbst ist übrigens kein Schütze. "Mein Vater und mein Großvater waren Schützen. Ich beobachte lieber von außerhalb das Geschehen", sagt Manfred Becker-Huberti, der auch die Geschehnisse in Orken verfolgt hat.

Jetzt äußerte sich auch der Grevenbroicher Bürgermeister Klaus Krützen (SPD) zu Orken. Er betonte im Interview mit der NGZ: "Die Tradition des Regiments, bereits um 5 Uhr zu wecken, bleibt weiter bestehen. Die Verwaltung steht dabei an der Seite der Schützen - wir sind und bleiben eine schützenfreundliche Stadt." Die Stadtverwaltung wolle den Dialog mit den Schützen- und Heimatvereinen in Zukunft weiter pflegen.

(RP)
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