Moers/Düsseldorf Freiheit - "ein komisches Gefühl"

Moers/Düsseldorf · Der wegen Betrugs verurteilte frühere Kunstberater Helge Achenbach (64) erlebte gestern einen Hauch von Freiheit. Unser Autor Hans Onkelbach, der ihn beruflich und privat seit 20 Jahren kennt, hat den Freigänger begleitet.

Zwei Jahre und drei Monate hinter Gittern, und nun wieder ein Hauch von Freiheit: Mittwochmorgen, 7 Uhr, öffnet sich die Stahltür zur Justizvollzugsanstalt Moers-Kapellen, und Helge Achenbach kommt heraus. Lässig gekleidet, in der einen Hand die schriftliche Erlaubnis, für ein paar Stunden hinaus zu dürfen, in der anderen ein Jutesack mit dem Logo des längst verschwundenen Stern-Verlags in Düsseldorf. Neuerdings ist Achenbach im offenen Vollzug. Das heißt, er wird künftig stundenweise zum Freigänger. In ein paar Wochen tritt Achenbach einen Job bei der Diakonie in Düsseldorf-Kaiserswerth an: Er soll tagsüber mit seinen Kenntnissen der bildenden Kunst bei einem Integrationsprojekt für Flüchtlinge arbeiten.

Jetzt, an diesem kühlen Spätsommermorgen, berührt ihn das Gefühl von Freiheit. Er spricht mit ein paar wartenden Journalisten, beteuert die Reue über die begangenen Straftaten, kündigt an, sich in seinem neuen Leben nach der Haft um straffällig gewordene Jugendliche kümmern und junge Künstler fördern zu wollen. Der frühere Kunstberater ist blass und nervös. "Ein komisches Gefühl", sagt er mit belegter Stimme. Er weiß, dass er jeden Rummel um seine Person vermeiden soll, denn im Justizministerium würde man es nicht gutheißen, wenn er den Eindruck erwecken sollte, noch als Häftling an alte Glamourzeiten anknüpfen zu wollen. Daher bittet er die Medienvertreter, ihn in Ruhe zu lassen. Uli Hoeneß ist da Vorbild: Der war als Freigänger abgetaucht.

In Düsseldorf hat er für diesen Tag einen Termin bei seinem Internisten Max Timm. Seit langem ist er bei dem jungen Facharzt wegen eines Herzleidens in Behandlung und hört erleichtert, dass er hinter Gittern medizinisch gut betreut worden ist - eine akute Gefährdung sieht der Arzt nicht. Dessen Praxis wirkt, als hätte Achenbach sie in seinem früheren Leben selbst gestylt: an den Wänden Arbeiten von Penck, Immendorff, Uecker und Richter. Allerdings keine Originale.

Bei diesem kleinen Ausflug in das frühere Leben wird eines klar: Der zu sechs Jahren Haft Verurteilte, der den 2012 verstorbenen Aldi-Chef Berthold Albrecht beim Verkauf und bei der Vermittlung von Kunstwerken und Oldtimern um etliche Millionen betrogen hat, weiß auf einmal die kleinen Dinge des Alltäglichen zu schätzen. Staunend wird ihm bewusst, wie alles draußen weitergegangen ist, während er im Gefängnis saß. In einem Supermarkt hat er Spaß daran, durch die Gänge zu streifen und ein paar Brötchen und zwei Tüten mit Milch in den Einkaufskorb zu legen. An der Bäckertheke sucht er sich Mini-Croissants aus, die er beim späteren Frühstück mit Appetit verspeist, nachdem er eine große Portion Rührei genossen hat.

Bei einem Freund holt er ein Auto ab, das der ihm für ein paar Wochen leiht. Offenbar ist er aus der Übung, es dauert, bis er die Feinheiten des Wagens verstanden hat. Und beim Einsteigen muss er sich mühen - früher, zu seinen Zeiten als Kunstberater, war er weitaus größere Fahrzeuge gewöhnt, und meistens hat er eh hinten gesessen. Alles vorbei: Das Haus ist weg, die Autos sind es ebenfalls, die Firmen pleite. Aber seine Papiere, die sind noch da. Personalausweis und Führerschein werden aus dem Safe des Anwalts geholt. Immerhin gibt es eine gute Nachricht: Während der 64-Jährige hinter Gittern war, lief die Frist seines Flensburger Punktekontos ab, und es fiel zurück auf null. Vorher stand es bei zwölf Punkten. Der 64-Jährige freut sich. Wie gesagt - man wird bescheiden.

Dass er mittags mit einigen seiner acht Kinder essen gehen kann, verdankt er der Großzügigkeit eines anderen Bekannten, denn Geld besitzt Achenbach derzeit nicht. Das Treffen mit einer Tochter und drei Söhnen berührt ihn sichtlich. Nicht alle konnten kommen, die Familie ist über das Land verstreut. Seine Frau Dorothee war nicht dabei - sie lässt sich von ihm scheiden.

Am 10. Juni 2014 hat er den letzten freien Blick über Düsseldorf gehabt. An jenem Dienstag kam er aus Washington zurück, kurz zuvor war er im Camp der deutschen Fußballnationalmannschaft in Brasilien gewesen. Voller Euphorie plante er neue Projekte, wie er später erzählt. Am nächsten Tag sollte es nach Wien gehen. Im Anflug auf seine Heimatstadt sah er unten Chaos überall: Einen Tag vorher, am Pfingstmontag, hatte der Sturm Ela Bäume abgeknickt und Dächer abgedeckt. Wie ein böses Omen für das, was auf ihn zukam. So beschreibt er jetzt diesen Augenblick. Am Flughafen wurde er verhaftet.

Gegen 17 Uhr schlossen sich gestern die Gefängnistore hinter Helge Achenbach. An der Freiheit schnuppern darf er vielleicht nächste Woche wieder.

(RP)
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