Rheinberg Gemeinschaftsschule Rheinberg startet

Rheinberg · Morgen startet an zwölf NRW-Standorten der Versuch Gemeinschaftsschule. Auch nach der fünften Klasse sollen Kinder unterschiedlicher Begabung dort gemeinsam lernen können – in Rheinberg sogar bis zum Abitur.

Morgen startet an zwölf NRW-Standorten der Versuch Gemeinschaftsschule. Auch nach der fünften Klasse sollen Kinder unterschiedlicher Begabung dort gemeinsam lernen können — in Rheinberg sogar bis zum Abitur.

Für Marit und Larissa (9) beginnt morgen ein neuer Abschnitt in ihrem Leben. Beide Mädchen haben ihren ersten Unterrichtstag an der Gemeinschaftsschule Rheinberg. Und weil es auch für Mitschüler, Lehrer und Eltern der erste Tag in dieser neuen Schulform ist, will Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) vorbeischauen. Für sie ist das neue Modell, das an zwölf NRW-Schulen erprobt werden soll, mehr als nur ein Versuch: "Die pädagogischen Konzepte der neuen Gemeinschaftsschulen stehen Pate für die künftigen Sekundarschulen. Sie veranschaulichen, wie das längere gemeinsame Lernen gestaltet wird."

Norbert Giesen (56) wird die Schule in Rheinberg leiten. Als Realschul-Rektor hatte er das Projekt vorangetrieben und oft mit Sorge den politischen Streit zwischen Landesregierung und Opposition verfolgt, der schließlich in einem Schulkompromiss endete. Die Gemeinschaftsschule wird nur in zwölf Städten an den Start gehen. Als weitere Regelschule gibt es ab dem Schuljahr 2012/13 die Sekundarschule, die nur bis zur zehnten Klasse führt. Marit und Larissa dagegen können an der Gemeinschaftsschule in Rheinberg Abitur machen. Unumstritten war die Gemeinschaftsschule auch in Rheinberg nicht: Die CDU hatte gegen die Beteiligung am Modellversuch gestimmt.

"Für uns in Rheinberg gab es ganz praktische Gründe, aus denen wir uns für die Gemeinschaftsschule entschieden haben", betont Giesen. "Auf andere Städte ist das nicht eins zu eins übertragbar." So hat Rheinberg ein florierendes Gymnasium, eine angesehene Realschule, aber eine von der Schließung bedrohte Hauptschule, die sich mit der Realschule im selben Gebäude die Mensa teilt. Eine Gesamtschule fehlt, was dazu führte, dass Schüler, die ihr Abitur nicht am örtlichen Amplonius-Gymnasium gleich gegenüber der Gemeinschaftsschule ablegen wollten, zum Unterricht in andere Städte pendelten. Hätte es da nicht nahe gelegen, einfach eine neue Gesamtschule aufzumachen?

Giesen schüttelt den Kopf. "Sicher sind wir nicht so weit von einer Gesamtschule entfernt", sagt er. "Aber wir wollten die reformpädagogischen Ansätze, die wir an der Realschule hatten, weiterentwickeln. Das wäre an einer Gesamtschule nicht ohne weiteres möglich gewesen." So wird an der Gemeinschaftsschule, zu der sich Haupt- und Realschule zusammengeschlossen haben, nicht nach Leistungsklassen differenziert.

Stattdessen sollen Kinder individuell gefördert werden. Einen Eindruck davon, wie das aussehen könnte, gibt ein Blick auf den Stundenplan von Marit und Larissa. Da steht am Montag eine Doppelstunde "Lesezeit" auf dem Programm. Darin geht es um Textverständnis. Dienstag und Donnerstag beginnt der Tag mit zwei Stunden, in denen die Kinder je nach Einstufung der Fachlehrer in auf sie abgestimmten Lerngruppen ihre Kenntnisse in den Kernfächern Mathematik, Deutsch und Englisch vertiefen. Tests werden dann geschrieben, wenn die Kinder signalisieren, dass sie mit dem Stoff durch sind. Die Woche klingt am Freitag mit einer Doppelstunde "Lernen lernen" aus, in der Lernstrategien vermittelt werden.

36 Wochenstunden stehen auf dem Plan, dreimal endet der Unterricht erst nach der neunten Stunde. Marit schreckt das nicht. "Dafür gibt es ja keine Hausaufgaben", sagt sie. Ihr Vater, Unternehmensberater Lars Hinrichsen, nickt. "Wenn die Kinder zu Hause sind, können sie wenigstens komplett abschalten", sagt er. "Und am Gymnasium", ergänzt Larissas Mutter, Monika Orth, "kommen die Kinder mit Hausaufgaben ganz locker auf 36 Stunden und mehr." Beide wollen ihren Kindern nach der vierten Klasse Zeit lassen, sich zu entwickeln. "Ich halte es für falsch", sagt Lars Hinrichsen, "schon in diesem jungen Alter Druck aufzubauen."

Typisch für die neuen Wege, die Giesen und seine Kollegen gehen wollen, ist auch das Paten-Modell, das er in der Realschule bereits erprobt hat. Schüler aus der siebten Klasse lernen an zwei Stunden in der Woche gemeinsam mit Fünftklässlern Mathe und Englisch.

Sitzenbleiber soll es im Normalfall nicht geben. Eine Klasse wird Schüler mit Lernbehinderungen aufnehmen. "Kein Kind wird zurückgelassen", verspricht Schulleiter Giesen.

Die Anmeldezahlen sind ein Vertrauensvorschuss: 160 Schüler werden morgen ihren ersten Schultag an der Gemeinschaftsschule erleben, 40 mehr als auf dem benachbarten Amplonius-Gymnasium.

(RP)
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