Düsseldorf Glückliches Ende einer Flucht für 107-Jährige

Düsseldorf · Sabria Khalaf aus Syrien brach vor sieben Monaten auf, um zu ihren Kindern nach Vechta zu fliehen. Die 107-Jährige strandete in Athen. Dank politischer Intervention schloss ihre Familie sie nun in Düsseldorf in die Arme.

Um 12.31 Uhr öffnet sich die Tür zum Sicherheitsbereich am Düsseldorfer Flughafen, und eine alte Frau im dicken Mantel und mit einem Kopftuch wird im Rollstuhl hinausgeschoben. "Oma ist da", ruft Civin Ali (25), und sofort kommt Bewegung in die kurdisch-syrische Großfamilie Khalaf-Ali. Es ertönt Applaus, alle drängen nach vorne, um Sabria Khalaf zu umarmen und zu küssen. Tränen fließen über strahlende Gesichter, denn nur wenige haben damit gerechnet, die 107-Jährige noch einmal in die Arme schließen zu können. "Ich habe nicht mehr daran geglaubt, dass dieser Tag kommt", sagt Khalafs jüngste Tochter Pako. "Wir sind einfach glücklich."

Nach sieben Monaten ist für Sabria Khalaf, einen der ältesten Flüchtlinge der Welt, eine Odyssee zu Ende gegangen. Monatelang saß sie in Griechenland fest, die Weiterreise nach Deutschland scheiterte immer wieder. Laut der Linken-Politikerin Annette Groth, Bundestagsmitglied und menschenrechtspolitische Sprecherin ihrer Fraktion, wurde im Vorfeld eines Besuches von Bundespräsident Joachim Gauck in Athen auf politischer Ebene interveniert und so das Verfahren beschleunigt. "Angesichts ihres Alters drängte die Zeit", sagte die Politikerin. Es sei eine humanitäre Pflicht zu helfen, "sonst machen wir uns mitschuldig".

Einen legalen Weg, seine Mutter zu sich zu holen, gab es für Shiroan Ali, der als Produktionshelfer bei einem Auto-Zulieferer arbeitet, nach eigenen Angaben lange nicht. Vier der fünf Kinder leben seit nahezu 15 Jahren im niedersächsischen Holdorf und angrenzenden Städten. Der Landkreis Vechta habe für seine Mutter, einen Bruder und eine Schwägerin pro Kopf eine Garantiesumme in Höhe von 6000 Euro gefordert – "so viel Geld konnten wir aber nicht aufbringen", sagt er. Die bürokratischen Hürden waren zu hoch, die Preise der illegalen Schlepper deutlich niedriger.

Und so machte sich seine Mutter, die noch die seltene Sprache Aramäisch spricht, mit ihrem Sohn Kanal und Schwiegertochter Mahbuba auf den Weg. Sie passierten die Grenze in den Irak, kehrten wieder um und reisten dann in die Türkei – viele Streckenabschnitte legte die Greisin zu Fuß zurück. Von der türkischen Küste sollten Schlepper sie schließlich mit einem Boot nach Italien bringen, doch es kenterte beinahe in einem Sturm. Angaben der Familie zufolge sei die 107-Jährige fast ertrunken. Der Schwiegertochter habe das Wasser schon bis zur Hüfte gestanden. Nach mehreren Tagen Irrfahrt griff die griechische Küstenwache die Flüchtlinge auf. So landete Sabria in Athen, wo sie einen Asylantrag stellte. Doch die Behörden arbeiteten langsam. In ärmlichen Verhältnissen wartete sie auf eine Entscheidung, obwohl eine 107-Jährige sich wohl keine Geduld erlauben kann. "Wir sind sehr stolz auf unsere Oma, dass sie das alles überhaupt geschafft hat", sagt Civin Ali, die eigentlich Sabrias Ur-Enkelin ist und sich freut, ihr das jüngste Familienmitglied vorzustellen: Töchterchen Aiana, 33 Tage alt. Nach der Ankunft am Düsseldorfer Flughafen ging es für das Familienoberhaupt zu Sohn Shiroan nach Holdorf, wo eine Überraschung auf sie wartete: Etwa 90 Enkel, Ur-Enkel und andere Verwandte waren zusammengekommen, um das Wiedersehen zu feiern. "Sie wünscht sich einfach, uns alle noch einmal zu sehen und mit uns eine schöne Zeit zu verbringen", sagte Civin Ali.

"Ich bin sehr dankbar für die Unterstützung und sehr erschöpft", betonte Sabria Khalaf bei ihrer Ankunft in Düsseldorf nach Angaben eines Dolmetschers. In ihrer Heiratsurkunde ist der 1. Januar 1907 als Geburtsdatum eingetragen. In ihrer Heimat war es üblich, eine Braut zur Heirat ein wenig älter zu machen. Doch selbst wenn sie "nur" 106 oder 104 Jahre alt ist, hat sie noch das Osmanische Reich erlebt, den Ersten Weltkrieg, das französische Mandat in Syrien, die Herrschaft der Assad-Familie, den Bürgerkrieg und die Islamisten, die die jesidische Kurdin nach mehr als 100 Jahren aus ihrer Heimat vertrieben haben.

"Wir haben noch nie solch eine Gewalt erlebt", sagte sie Journalisten in Athen. "Ich bin krank, ich habe nicht mehr viel Zeit." Das Einzige, das sie sich von Gott wünsche, sei, noch Zeit mit ihren Kindern, Enkeln und Ur-Enkeln zu verbringen. Diesen Wunsch hat Gott ihr erfüllt – den Politikern und Behörden sei Dank.

(RP)
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