Stadion Ohligs Der "Heimatvertriebene"

Solingen · Fast sein ganzes Leben hat Willi Hök rund ums alte Union-Stadion verbracht. Wenn die Anlage bald abgerissen wird, verliert der 78-Jährige auch ein Stück Heimat.

 Willi Hök in seinem Stadion: Bei Heimspielen von Union Solingen waren oftmals zigtausende Zuschauer am Hermann-Löns-Weg.

Willi Hök in seinem Stadion: Bei Heimspielen von Union Solingen waren oftmals zigtausende Zuschauer am Hermann-Löns-Weg.

Foto: Köhlen (2), Oberpriller (5)

Die kleinen silberfarbenen Schilder an der Rückwand der Tribüne glänzen in der bereits ziemlich hoch stehenden März-Sonne. Und Willi Hök hat zu fast jedem der dort verewigten Namen eine Geschichte zu erzählen. Denn schließlich war es seine Idee gewesen, auf diese Weise ein bisschen mehr Geld in die Kasse zu bekommen - damals, als das Stadion am Hermann-Löns-Weg in Ohligs eine sehr gute Adresse war im deutschen Fußball und sich Willi Hök praktisch rund um die Uhr im Einsatz befand, um für seinen Verein Union Solingen die sprichwörtlichen Kastanien aus dem Feuer zu holen.

Doch das ist eine halbe Ewigkeit her. Einige der Förderer von einst haben mittlerweile die Schildchen mit ihren Namen abmontiert, um so wenigstens noch ein Andenken zu haben an die Arena, deren Tage längst gezählt sind. Die Stadt hat das 2010 geschlossene Stadion für 2,7 Millionen Euro verkauft. Ein Investor, die BPD Immobilienentwicklung GmbH, plant, in den kommenden Jahren auf dem Gelände über 100 neue Wohneinheiten zu errichten. Schließlich ist Ohligs momentan der am schnellsten wachsende Stadtteil der Klingenstadt Solingen. Und wer wollte da schon lange einem Stadion nachtrauern, das irgendwie aus der Zeit gefallen zu sein scheint und sowieso nur noch einen Schatten seiner selbst abgibt.

Willi Hök weiß es besser. "An den Wochenenden ist hier nach wie vor viel los", sagt der 78-Jährige. Das alte Union-Stadion zieht wie ehedem Schaulustige an. Sogar aus den Niederlanden sind bereits Fußball-Nostalgiker angereist, um die bis heute beeindruckende Arena zu bestaunen, die mit ihrer schlichten Haupttribüne, den inzwischen vollkommen verfallenen Stehtraversen auf der anderen Seiten sowie den vier monumentalen Flutlichtmasten so etwas ist wie der Prototyp eines westdeutschen Zweitliga-Stadions aus den 70er beziehungsweise 80er Jahren.

Stadion Ohligs: Der "Heimatvertriebene"
Foto: Köhlen Stephan

Und der für Willi Hök weit mehr darstellt als einfach nur einen Fußballplatz. Praktisch sein ganzes Leben hat der gebürtige Ohligser hier am Rande der Heide verbracht und dabei den Aufstieg und den Fall der Anlage sowie der einstmals ruhmreichen Union wie wohl kein zweiter mitbekommen. "Nach dem Krieg befanden sich auf dem Platz, der damals noch keinen Rasen hatte, zwei große Bombentrichter", erinnert sich Hök und deutet auf eine Stelle auf dem Spielfeld nahe der alten Gästekurve.

Damals gab es in Ohligs drei namhafte Fußballvereine: den Ohligser FC 06, den VfR Ohligs sowie den VfL Ohligs 12, die sich am 3. September 1949 im Spiegelsaal des Hotel Rummel am Ohligser Bahnhof zu Union Ohligs zusammenschlossen. Eine Fusion, die durchaus Sinn machte. Denn während der seinerzeit an der Merscheider Straße beheimatete OFC die Spielberechtigung für die Zweite Division West mit in die Verbindung einbrachte, steuerte der VfR einen geeigneten Sportplatz bei - eben jenes seit 1929 existierende Stadion am Hermann-Löns-Weg.

Hök selbst hatte bis dahin dem VfR angehört und wurde nun Unioner. Aber nicht irgendeiner. Für den jungen Mann war der Verein eine Heimat, die er in den folgenden Jahrzehnten maßgeblich mitprägte. Erst als Spieler, kickte Willi Hök bis zu seinem 27. Lebensjahr doch selbst aktiv. Und später als Betreuer der ersten Mannschaft, deren große Erfolge er hautnah miterleben durfte.

Diese Blütezeit kündigte sich indes nur langsam an. So musste Union Ohligs Anfang der 50er Jahre erst einmal wieder die Zweite Liga verlassen, da diese in Nordrhein-Westfalen zu einer Staffel zusammengefasst wurde. Was folgte, war ein Auf und Ab zwischen den Ligen, das die Union 1965 sogar in die Bezirksliga abstürzen ließ. Aber dann ging es kontinuierlich nach oben. 1969 kehrte man in die damals drittklassige Verbandsliga zurück, 1973/74 gab es eine Saison in der zweitklassigen Regionalliga West - und 1975 gelang endlich der Sprung in die ein Jahr zuvor gegründete Zweite Bundesliga.

Was jetzt begann, war eine Ära, die bis zum heutigen Tag die erfolgreichste überhaupt im Solinger Fußball ist. Wobei der Profisport durchaus auch in Ohligs Veränderungen mit sich brachte. So wurde das Stadion des Vereins, der sich 1974 in OSC Solingen umbenannt hatte und noch im gleichen Jahr mit dem VfL Solingen-Wald zur SG Union Solingen verschmolzen war, sukzessive ausgebaut. 1976 entstand die Haupttribüne mit rund 2000 Sitzplätzen, 1982 kam dann das Flutlicht hinzu.

Parallel ging es aber auch darum, immer wieder eine schlagkräftige Mannschaft zusammenzustellen, die unter den Bedingungen des Berufsfußballs mitzuhalten im Stande war. Eine Aufgabe, die unter anderem Willi Hök übernahm, der aufgrund seiner vielen Kontakte in der Fußballszene bestens vernetzt war. 1977 lockte der Union-Betreuer etwa einen gewissen Uwe Reinders vom Ligakontrahenten Schwarz-Weiß Essen an die Ohligser Heide. Und obgleich der spätere Vizeweltmeister von 1982 zu guterletzt für die Union kein einziges Spiel absolvierte und noch im selben Sommer zu Werder Bremen weiterzog, lohnte sich der Wechsel für die Solinger doch.

"Wir haben für Reinders eine gute Ablöse erhalten", erinnert sich Willi Hök über 40 Jahre später. Geld, das wiederum in Transfers wie den von Nationalspieler Erwin Kostedde gesteckt werden konnte, der 1978 eine kurze Zeit für das Team aus der Klingenstadt seine Fußballschuhe schnürte.

Allerdings zeigt die Kostedde-Episode auch, dass sich Union stets nach der Decke strecken musste, um konkurrenzfähig zu bleiben. "Für Erwin war das Ambiente bei uns eigentlich zu klein", sagt Willi Hök, während er noch einmal durch das alte Stadion geht, das sein Aussehen nicht zuletzt ihm zu verdanken hat.

In der östlichen Kurve steht noch immer ein altes Bierhäuschen, das Hök einst persönlich von der Galopprennbahn Köln-Weidenpesch nach Solingen transportierte. Das Häuschen ist - wie das restliche Stadion - mittlerweile halb verfallen. Was aber nichts daran ändert, dass der einstige Betreuer, der nach der letzten Insolvenz der Union mit anderen Ex-Unionern den neuen OFC Solingen gründete, mit der Arena vor allem schöne Erinnerungen verbindet.

"Eines der größten Spiele war sicherlich das 2:1 gegen Kickers Offenbach 1974 im Pokal", sagt Hök, der genau weiß, was damals im Stadion los war, als Werner Lenz vor 8000 Zuschauern in der 90. Minute das entscheidende Tor gegen den Erstligisten erzielte. Oder das legendäre 1:2 ebenfalls im Pokal 1985 gegen Borussia Mönchengladbach, bei dem - inoffiziell - mehr als 18.000 Fans mit von der Partie waren.

Ein Besucherrekord für die Ewigkeit - schon deshalb, weil in dem Stadion nie wieder Spiele stattfinden und niemals mehr so namhafte Kicker wie Demir Hotic, Volker Diergardt, Dirk Hupe, Manfred Dum, Jürgen Elm oder Horst Stockhausen, um nur einige zu nennen, auflaufen werden. Die Rodungsarbeiten sind inzwischen beendet, bald soll der Abriss der Haupttribüne erfolgen. Ein Umstand, der Willi Hök dann wohl zu einer Art "Heimatvertriebenen" machen wird.

Und nicht allein ihn. Bis heute trifft sich der Betreuer mit vielen Spielern des Clubs, der 1989 aus der Zweiten Liga verschwand und nach einer ersten Insolvenz 1990 noch etliche Jahre als 1. FC Union Solingen hochklassigen Amateurfußball bot. "Alle sind traurig, dass das Stadion bald verschwunden sein wird", sagt Willi Hök.

(or)
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