Heimat in Krefeld Der Herr der Krefelder Wälder

Krefeld · Wenn er erzählt, hört man gebannt zu. Arno Schönfeld-Simon ist Stadtförster und weiß sich eingebunden in eine teils bittere, Jahrhunderte währende Geschichte des Waldes.

 "Jeder Förster jeder Generation kann die Schräubchen nur etwas weiterdrehen": Krefelds Stadtförster Arno Schönfeld-Simon über das Wesen seines Berufs und der Pflege des Waldes.

"Jeder Förster jeder Generation kann die Schräubchen nur etwas weiterdrehen": Krefelds Stadtförster Arno Schönfeld-Simon über das Wesen seines Berufs und der Pflege des Waldes.

Foto: Thomas lammertz

Irgendwie, so dachte man, wird es beim Besuch bei Krefelds Stadtförster um den Wald als Herzensheimat gehen. Gefühle und so. Doch beim Eintreten in das Büro von Arno Schönfeld-Simon fällt der Blick auf eine Baumscheibe an der Wand. Wieso sind die Jahresringe erst hauchdünn und dann mehrere Millimeter dick? Das sei eine Eiche, antwortet Schönfeld-Simon; sie war in ihren ersten 20 Lebensjahren dicht umstanden von anderen Bäumen; es herrschte "hoher Seitendruck" - so der Fachbegriff, wenn ein Baum von Nachbarbäumen im Wachstum gehemmt wird. Dann ist die Schonung durchforstet worden - plötzlich hatte der Baum Licht. Die Jahresringe wurden breiter.

Wenn Schönfeld-Simon zu erzählen beginnt, hört man sofort gebannt zu. Dabei ist der Wald auch Herzensheimat für den studierten Forstwissenschaftler. Wie sehr, wird zum Schluss des Gesprächs deutlich, als er auf die Zukunft des Waldes zu sprechen kommt, auf das Sterben ganzer Arten, auf die schwer absehbaren Folgen des Klimawandels. Auch wenn vom Waldsterben in der Öffentlichkeit kaum noch die Rede ist: Er stirbt noch, der Wald. Schönfeld-Simon hat Sorgenfalten auf der Stirn, als er davon berichtet.

Seit seinem zehnten Lebensjahr stand für den 65-Jährigen fest, dass er Förster werden wollte. Er ist in Brandenburg auf dem Landgut seiner Eltern geboren. Die Familie wurde in den 50er Jahren in der DDR enteignet. Vor dem Zugriff der Stasi ist sie in den Westen geflohen. Was die Familie mitnahm, war die Liebe zum Wald. Aufgewachsen ist Schönfeld-Simon im Bergischen Land. "Die nächste menschliche Behausung war fünf Kilometer entfernt. Ich hab mit Bäumen, Hecken, Bächen und Flüssen gespielt", berichtet er lächelnd, "das prägt".

Eines ist im Gespräch mit Schönfeld-Simon stets präsent: geschichtliche Weite. Waldpflege ist nichts für Hektiker. Die Zusammenhänge, in die der Stadtförster sich eingebunden sieht, reichen Jahrhunderte zurück: "Jeder Förster jeder Generation kann die Schräubchen nur etwas weiterdrehen", sagt er einmal. Nachhaltigkeit bei der Pflege des Waldes ist ein verhältnismäßig junger Gedanke. Bis in die Neuzeit war Waldfrevel vorherrschend in Europa. In der Antike haben Griechen und Römer ganze Landschaften für ihren Flottenbau entwaldet. In deutschen Landen war es der sächsische Bergmann Hans Carl von Carlowitz (1645-1714), der in seinem Buch "Sylvicultura oeconomica" 1713 erstmals das Konzept einer nachhaltigen Forstwirtschaft beschrieb. 1713 erst! Carlowitz hatte in Sachsen erlebt, wie ganze Wälder rücksichtslos für den Bergbau abgeholzt wurden.

Am Niederrhein haben die Preußen im 19. Jahrhundert eine Forstordnung zur Bewirtschaftung des Waldes geschaffen, die bis heute Gültigkeit besitzt. "Vorher gab es nichts Vergleichbares, das der Raubwirtschaft Einhalt geboten hat", resümiert Schönfeld-Simon.

Auch der Niederrhein war zu Beginn des 19. Jahrhunderts über weite Strecken entwaldet. "Man konnte den Wald selbst mit einer Laterne nicht finden", soll Nepomuk von Schwerz (1759 - 1844) über die Waldlosigkeit in manchen Regionen gesagt haben. Schwerz gründete 1818 eine staatliche landwirtschaftliche Lehranstalt in Hohenheim, heute Universität Hohenheim. Das Jahrhundertprojekt Wiederaufforstung wurde von Männern wie ihm begründet.

Die Preußen schufen dazu das sogenannte "Forsteinrichtungswerk", also die systematische Dokumentation der Waldflächen und der Eingriffe des Menschen. Bis heute folgen Deutschlands Förster dieser Systematik und dem Grundsatz: "Was ich abschöpfen darf, ist der Zuwachs!" Nur so bleibt ein Wald erhalten.

So gehen die Waldflächen am Niederrhein heute in großen Teilen auf Aufforstung zurück. Im 19. Jahrhundert gab es viele Heideflächen als Zeugnisse des Raubbaus am Wald. Auch die großen Krefelder Waldflächen - Forst- und Stadtwald - sind Aufforstungen. Vor allem der Stadtwald ist eigentlich ein schöner Landschaftsgarten - ein Kunstwerk aus Natur. Was macht heute ein Stadtförster mit seinem Kommunalwald - in Krefeld sind es 1019 Hektar? Die Antwort hat wie wiederum fast historische Weite. Die Stadt hat vor einigen Jahrzehnten eine "naturnahe Waldwirtschaft" beschlossen. Heißt: Stadt- und Forstwald dienen der Erholung, und es sollen "attraktive Waldbilder" entstehen. "Das ist eine Herausforderung", sagt Schönfeld-Simon - Bäume so zu pflanzen, dass nach Jahrzehnten ein schönes Gesamtbild entsteht.

Was immer im Krefelder Wald passiert: Es geht vor allem um Pflege und Gestaltung - Geldverdienen spielt eine untergeordnete Rolle. Die Stadt nimmt mit Holz aus ihrem Wald pro Jahr rund 200.000 Euro ein. Beiwerk. Die Leute freilich sind oft alarmiert, wenn sie auf Holzeinschlag stoßen. "Meine Mitarbeiter müssen sich draußen Einiges anhören", sagt Schönfeld-Simon; daher stellt die Stadt mittlerweile Schilder mit Erklärungen auf. Waldfrevel - diese Zeiten sind vorbei. Es geht um Hege, Rettung, Stabilität und Schönheit. Der Wald, der Jahrtausende so gnadenlos abgeholzt wurde, ist Herzensheimat geworden.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort