Köln Endlich macht die c/o pop wieder Spaß

Köln · Bei der Musikmesse in Köln diskutiert man über die Zukunft des Pop. Und die Band der Stunde gibt zwei umjubelte Konzerte.

Das ist das Programm der "c/o pop" 2015
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Foto: cologne on pop GmbH

Vor dem Musikclub "Gloria" stehen viele Menschen, manche drücken ihre Pöppes auf die Motorhauben fremder Autos, aber das stört niemanden. Fast alle trinken Kölsch; sie warten, reden und sehen jung aus, und im Eingang der Calvin-Klein-Filiale nebenan streitet ein Paar in bedrohlichem Flüsterton. Die Frau steht fordernd da, "und was sollte das jetzt?", will sie wissen, und der Mann hockt vor ihr und knibbelt kurzbehost am Etikett seiner Bierflasche. Dann murmelt er: "Weiß ich auch nicht." Das alles passt sehr schön, denn gleich beginnt das seit Monaten ausverkaufte Konzert der Kölner Band AnnenMayKantereit, und die singt Zeilen wie diese: "Du warst allein zu Haus', hast mich vermisst / Und dich gefragt, was du noch für mich bist."

Es ist wieder c/o pop in Köln, bis Sonntag noch, und das Schöne an diesem Festival ist, dass es eben nicht irgendwo da draußen stattfindet, sondern mitten in der Stadt. Leute, die von einem Konzert zum anderen wandern, prosten einander im Vorbeigehen zu, und wenn man vor ein paar Jahren noch das Gefühl hatte, dass die c/o pop ein bisschen egal geworden ist, macht sie nun wieder Spaß. Und vor allem: Sie hat an Bedeutung gewonnen.

Norbert Oberhaus ist Chef des Festivals mit angeschlossener Messe, und er wirkt gelassen. Er hat die c/o pop mit dem Soundtrack Cologne zusammengelegt, dem Kongress für Musik in Film, Games und Medien. Das war eine kluge Entscheidung, weil man so Expertise bündelt. Mit dem Marktführer, dem vom Bund geförderten Reeperbahn-Festival, kann er sich nicht messen, das weiß er. "Wir setzen auf Regionalisierung: zu 50 Prozent deutsche Bands, viele aus Köln." Und: "Wir haben uns spezialisiert auf das Thema Sync, so nennt man Musikverwertung in Serien, Games und Werbung." Vor allem in der Werbung gebe es nämlich viel Geld.

Das spürt man im Kölnischen Kunstverein, wo der Fachkongress stattfindet. Dort treffen sich Musiker mit Marketingleuten, um zu beraten, wie sie an ihrer Kunst verdienen können. Das Zauberwort heiße "Branded Entertainment", sagt Ralph Christoph, der hier die Geschäfte führt. Red Bull ist ein Beispiel: Der Getränkehersteller veranstaltet Festivals, fördert Musiker und erhofft sich dadurch eine Emotionalisierung seines Produkts. Viele Firmen haben die 18- bis 25-jährigen Konsumenten im Blick. Und die versuchen sie mit ihrer Lieblingsmusik zu betören. Also unterlegen sie Werbung mit der enorm populären Electronic Dance Music, kurz EDM. Toyota hat Robin Schulz verpflichtet, um das Image zu verjüngen, Volvo setzt auf Avicii, und der gilt als Großverdiener neuen Typs: 60 Millionen Dollar nahm er 2014 ein - weniger durch Plattenverkäufe, mehr durch derartige Deals.

Und wenn man nun nicht EDM macht, sondern etwa Folkmusik? In den USA gibt es Supervisor, die Musik für TV-Serien und Werbung aussuchen. Ricki Askin aus New York macht den Job für das Magazin "Vice", das auch Filme drehen lässt, Platten verlegt und Festivals organisiert. Sie sagt: "Den meisten Songs gebe ich zwei bis drei Sekunden." Es ist also Luxus, dass sich hier eine Handvoll Künstler vorstellen darf und je fünf Minuten Zeit mit Ricki Askin hat. Tausende bewarben sich, weil sie hoffen, dass eines ihrer Stücke irgendwann einmal in einer Folge von "True Detective" oder "Game Of Thrones"zu hören sein wird.

In seinem Seminar bringt Simon Pursehouse aus Sheffield den Zuhörern bei, wie sie Musik für Bewerbungen beim Supervisor vorbereiten. "Gesang ist schön", sagt er, "besser ist es aber, wenn keine Worte zu verstehen sind, sondern nur lalala. Die Einsatzmöglichkeiten erhöhen sich so." Und man solle die Metadaten pflegen, damit ein Supervisor ein Lied nicht in seinem iTunes-Account öffne und da bloß stehe: Interpret unbekannt. Also: "Alles verschlagworten und am besten mit Handynummern versehen."

Auf der Terrasse wird in den Pausen über das Duo Ibeyi geredet, das vor einigen Monaten eine schöne, aber mittelprächtig verkaufte Platte veröffentlichte. Neulich wurde die dann von Beyoncé per Facebook gelobt. 43 Millionen Follower lasen das, und nun können die beiden Musikerinnen der nächsten Mieterhöhung gelassener entgegensehen. Und Ebony Bones ist da, die Musikerin, die mal ein bisschen populär war. Sie löste sich von Plattenfirma und Management und arrangierte auf eigene Faust einen Deal mit der Sonnenbrillen-Marke Ray Ban. Sie schreibt nun Lieder für Werbespots, weist ihre 77 000 Follower bei Twitter gelegentlich auf die Vorzüge der Firma hin - und kann von der Musik leben. Über Beträge wird übrigens nie gesprochen. Wer es schafft, einen Song für einen Werbespot zu lizensieren, darf sich aber wohl über eine sechsstellige Summe freuen.

Von der Band AnnenMayKantereit erwarten alle, dass sie in den nächsten Monaten schafft, so etwas einzufädeln. Das Trio gibt zwei Konzerte, lernte sich 2011 am Gymnasium in Sülz kennen und hätte fünf Auftritte ausverkaufen können. Sie singen auf Deutsch von Liebe und Schmerz, sie wirken ernst dabei und aufrichtig verwundet. Man sieht ins begeisterte Publikum im "Gloria" und erinnert sich an Ricki Askin von "Vice". Was sie suche, wenn sie sich Songs anhöre? "Nur eines", antwortete sie: "Authentizität."

(hols)
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