Serie: Unser Rhein Der Rhein ist ein Sehnsuchtsort

Bingen · Von William Turner bis zu den Brüdern Achenbach - viele Maler fanden am Mittelrhein Sinnbilder des Unverfälschten.

Oswald Achenbach, einer der Beliebtesten aus der Düsseldorfer Malerschule des 19. Jahrhunderts, galt zu Lebzeiten als Modemaler. Mit Landschaftsbildern trafen er und auch sein älterer Bruder Andreas den Geschmack eines Publikums, das in der Natur mehr erkennen wollte als Bäume, Wasser und Wolken. Beide Künstler wussten: Landschaft wird erst schön, wenn wir etwas in sie hineinprojizieren - eine Sehnsucht, unsere eigene Vorstellung von Schönheit, den göttlichen Ursprung einer Natur, die wir für ursprünglich halten, obwohl sie an der Oberfläche durch und durch von Menschen gestaltet ist.

Die Zeitgenossen der Romantik und ihrer Ausläufer neigten dazu, Dinge zu idealisieren. Dem hat sich auch Vater Rhein nicht entziehen können. Sahen die Pilger, Kaufleute und Soldaten, die seit der Römerzeit den Strom befuhren, mit Schrecken auf den Loreleyfelsen, wenn sie per Schiff die engste Stelle des Rheins passierten, begann das 19. Jahrhundert die Loreley zu poetisieren. Clemens von Brentano schuf in seinem Gedicht "Zu Bacharach am Rheine" den wohl berühmtesten Rheinmythos: die Geschichte von der schönen, aber traurigen Zauberin Lore Ley.

Bald entdeckte auch die Kunst in der Mittelrhein-Landschaft einen poetischen Zauber. Der reisefreudige Brite William Turner vor allem malte mit Wasserfarben, was das von den Dichtern angeregte Publikum sehen wollte: raue und wilde Rheinlandschaft mit Burgruinen auf Bergen mit steilen Hängen. Allerdings bestimmte weniger die Malerei das Bild vom romantischen Rhein, sondern vor allem die Druckgrafik.

Die Engländer waren führend auf dem Gebiet des 1826 in London patentierten Stahlstichverfahrens, das den Kupferstich ablöste und sowohl präzise Darstellungen als auch hohe Auflagen ermöglichte. Die topographische Wirklichkeit blieb dabei oft auf der Strecke. Im Sinne der Romantik kam es nicht darauf an, Wirklichkeit abzubilden, sondern Stimmungen zu erzeugen und damit das Gemüt anzusprechen. Der steile Fels der Loreley und davor die Menschlein im Kahn, die ihrem Schicksal ausgeliefert sind - solche Bilder kamen beim Publikum nicht nur als Kompositionen, sondern auch als Gleichnisse des Lebens an.

Auf den Gemälden der Düsseldorfer Malerschule erlangte die Lichtführung besondere Bedeutung. Andreas Achenbach zeigt in seinem "Blick vom Rolandsbogen auf das abendliche Rheintal und das Siebengebirge" von 1834 eine Sonnenuntergangsszene, in welcher der Rhein nur mehr eine Nebenrolle spielt. Caspar Scheuren, auch er ein Mitglied der Düsseldorfer Schule, erhöht die Rheinromantik bereits ins Liebliche. Gemeinhin wird behauptet, Literatur und Kunst bewirkten nichts; die Rheinromantik beweist das Gegenteil.

Die Künste lösten einen solchen Sturm der Begeisterung für das Mittelrhein-Tal aus, dass die Leute in Scharen kamen, um die originalen Schauplätze der Bilder zu erkunden. Der Rhein-Tourismus war geboren, und der Beginn des regelmäßigen Dampfschifffahrtsverkehrs im Jahr 1827 erleichterte das Reisen beträchtlich. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts soll jährlich eine Million Menschen an Bord eines Schiffs den Ausblick auf die Ufer des Stroms genossen haben.

Einige Dichter und Künstler halfen nach Kräften dabei, mit den Mitteln der Phantasie in der rheinischen Burgenlandschaft den Geist des Mittelalters auferstehen zu lassen. Der romantische Rückgriff auf die Geschichte bekam rasch eine politische Dimension, weil die französische Besatzung durch Napoleon eine deutsche Nationalbewegung hervorbrachte. Der Rhein als traditionelles Ziel der französischen Ausdehnung in Richtung Osten wurde zu einem Symbol des deutschen Patriotismus.

Daneben förderte die Kunst aber auch eine andere Art von Rheinromantik: diejenige, die sich auf Wein, Weib und Gesang gründet. Kunsthandwerklicher Nippes findet sich bis heute in allen gut sortierten Kiosken zwischen Königswinter und Rüdesheim. Nicht nur Ausflüglern ist "Rheinromantik" nach wie vor ein Begriff. Niemand spricht jedoch von "Elbe-Romantik", obwohl auch in Dresden eine bedeutende romantische Bewegung bestand.

Neben dem Rheintal gibt es keine Landschaft, die sich im Sprachgebrauch mit dem Wort "romantisch" verband und zum Inbegriff einer unverwechselbaren Naturauffassung wurde. Die Frage "Warum ist es am Rhein so schön?" lässt sich angesichts der bildenden Kunst nur so beantworten: weil es den Besseren unter den romantischen Malern gelang, in die Rheinlandschaft etwas hineinzugeheimnissen, das unmittelbar an unsere Seele rührt.

(RP)
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