Michel Houellebecq in Düsseldorf Die Unterwerfung des müden Westens

Düsseldorf · Freiheit, Selbstbestimmung, Emanzipation - der moderne Mensch ist dieser Errungenschaften überdrüssig geworden. Davon erzählt Michel Houellebecq in "Unterwerfung". In Düsseldorf ist der Roman jetzt auf der Bühne zu erleben.

 Das gleichnamige Buch von Michel Houellebecq.

Das gleichnamige Buch von Michel Houellebecq.

Foto: dpa, obe htf

Er hat es sich bequem gemacht in seinem Leben. Trägt ausgebeulte Cordhosen, bestellt sein Essen beim Lieferservice und liest am liebsten Literatur der französischen Décadence des 19. Jahrhunderts. Über das Werk eines Vertreters hat er mal eine brillante Arbeit verfasst. Lange her.

Inzwischen hat François die Festanstellung an der Uni, sucht sich jedes Jahr unter den Studentinnen eine neue Geliebte, begießt seine gepflegte Misanthropie mit gutem Wein und verfolgt die Geschehnisse in seinem Land am Fernseher. Müde, mit heimlicher Freude an den Zeichen des Verfalls. Geht ihn ja nichts mehr an.

Die westliche Kultur ist am Ende, hat jede Vitalität, jedes Verantwortungsbewusstsein verloren und bringt Intellektuelle hervor wie diesen François, den Christian Erdmann am Düsseldorfer Schauspielhaus genüsslich als biederen Oberlehrer spielt, als gelehrten Nörgler im Wildleder-Blouson, dem der Weltekel ins unausgeschlafene Gesicht geschrieben steht. Dass er semesterweise neue Geliebte von der Uni heimführt, ist allein durch seine Position im Wissenschaftsbetrieb zu erklären.

Dieser François hat nichts von einem brillanten Zyniker. Er ist ein müder Langweiler mit strubbeligen Haaren, der seinen Körper in zu weiten Jeanshemden versteckt. Mit Mitte 40 hat er aufgegeben. Er nimmt nicht mehr Teil am Konkurrenzkampf da draußen. Und als ein islamischer Politiker in Frankreich an die Macht kommt, Patriarchat, Polygamie und Scharia einführt und die freien Universitäten in religiöse Renommieranstalten verwandelt, ist François mit einer großzügigen Pension leicht zu beruhigen. Geistig ist er längst im Ruhestand.

Am Tag der Mordanschläge auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" und wenige Monate vor den Attentat von IS-Terroristen auf Pariser Straßencafés und den Konzertsaal Bataclan erschien Anfang des vergangenen Jahres Michel Houellebecqs "Unterwerfung". Damals wirkte dieser Science-Fiction-Roman, der in naher Zukunft die legale Machtübernahme eines gemäßigten, islamischen Regimes durchspielt, wie die zynische Vision eines hellsichtigen Autors, der dem Westen seine umfängliche Erschlaffung - und intellektuelle Wehrlosigkeit vorhält. In der Tat ist Houellebecqs Geschichte weniger eine Abrechnung mit dem Islam, als vielmehr mit dem aufgeklärten modernen Menschen, der Errungenschaften wie Freiheit, Selbstbestimmung und Emanzipation überdrüssig geworden ist und sich heimlich nach einer autoritären Ordnung sehnt, die ihm alle Entscheidungen abnimmt. Und sei es eine islamische.

Karin Beier hat diesen brisanten Roman in Hamburg auf die Bühne gebracht - als grandioses Solo für Edgar Selge. In einem gewaltigen Akt der Verausgabung erzählt er dem Zuschauer die gesamte Geschichte, macht das Theater zum Kraftwerk der Vorstellung, in dem ein Text allein durchs Aussprechen lebendig werden kann.

Regisseur Malte Lachmann, 1989 in Marburg geboren und in München ausgebildet, hat sich in seiner Inszenierung für das Staatsschauspiel Dresden, die nun in Düsseldorf zu sehen ist, für das Gegenteil entschieden: Er bebildert den Text - und nimmt ihm damit einiges an Wucht und Sarkasmus. Lachmann lässt die Nebenfiguren des Romans als reale Figuren auftreten. So arbeiten sich Lorenz Nufer mit viel Lust an der Überzeichnung und weniger inspiriert Yohanna Schwertfeger durch diverse Charaktere. Ben Daniel Jöhnk gibt mit aasiger Schläue den Politwende-Profiteur, der François schließlich für den Übertritt zum Islam gewinnt.

Doch der Regisseur belässt es nicht bei der Verteilung des Textes auf dieses Ensemble. Er lässt das politische Geschehen pseudo-dokumentarisch über Video einspielen. François hat das Smartphone immer in der Tasche: ein Wisch, schon ist er scheinbar mitten im Geschehen. Mit ihm verfolgt der Zuschauer dann Ausschreitungen in Paris, Auftritte des Front National, Talkshows, Eilnachrichten. Doch dieser Veranschaulichungen hätte es gar nicht bedurft. Der Zuschauer kennt die Bilder ja, das Theater muss sie nicht abspielen, es hat andere Mittel, um sie ins Bewusstsein zu beamen.

Lachmann bringt den Text solide auf die Bühne, auch wer den Roman nicht kennt, kann bestens folgen. Doch eine Auseinandersetzung mit dem Stoff mit den Mitteln des Theaters bietet er kaum. Vielmehr unterwirft sich diese Inszenierung einem Bestseller, der für viel Aufsehen gesorgt hat, weil er in verunsicherten Zeiten unangenehme Fragen stellt. Etwa danach, wer im Westen bereit wäre, ein Stück Bequemlichkeit aufzugeben, wenn seine Werte in Gefahr geraten. Bei Houellebecq geschieht die Unterwerfung überaus geschmeidig. Das Theater ist ein guter Ort, um sich das anzusehen.

(dok)
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