"Düsseldorfer Reden" Heinz Bude spricht über deutsche Stimmungslagen

Düsseldorf · Zum Auftakt der Düsseldorfer Reden sprach der Soziologe Heinz Bude über die Kanzlerkandidaten von SPD und Union.

 Der Auftakt der Düsseldorfer Reden: der Soziologe Heinz Bude im "Central" des Schauspielhauses.

Der Auftakt der Düsseldorfer Reden: der Soziologe Heinz Bude im "Central" des Schauspielhauses.

Foto: Andreas Endermann

Dass das Schauspielhaus nach nur wenigen Tagen ausverkauft war, hat womöglich auch mit einer Stimmung zu tun. Der nämlich, dass einem seit längerer Zeit so ist, als wäre etwas aus den Fugen geraten. Man nehme die überhitzte Diskussion um Asyl, den europaweiten Zuspruch für Rechtspopulisten oder den Wahlsieg von Donald Trump. Der neue US-Präsident scheint seit Amtsantritt im Januar in Kurzschlüssen zu regieren. Wie im Fall des Einreiseverbots müssen sich darum nun Gerichte mit seinen voreiligen Beschlüssen befassen. Trump, so viel ist sicher, täte gut daran, einmal innezuhalten und Politik zu durchdenken.

Dazu regt nun eine neue Reihe im Düsseldorfer Schauspielhaus an, gemeinsam mit der Rheinischen Post hat das Theater die "Düsseldorfer Reden" initiiert. Einmal im Monat sollen im Central — der provisorischen Spielstätte des Hauses — prominente Redner zu Wort kommen. Margot Käßmann, Sascha Lobo und Marcel Beyer haben sich angekündigt. Aber den Auftakt machte nun Heinz Bude, Soziologe, Politik-Berater und ganz aus der Nähe, denn gebürtig stammt Bude aus Wuppertal; sein Thema: "Gereizte Stimmung. Was regt die deutsche Öffentlichkeit so wahnsinnig auf?"

Bude hat darüber ein Buch geschrieben, und er unterscheidet darin zwischen Affekt, Gefühl und Stimmung. Im Affekt handelt man, "wenn man Dinge tut, von denen man nicht gedacht hätte, dass man sie tut", sagt Bude — das hätte er früher an sich selbst bei Demonstrationen beobachtet, erzählt er im Schauspielhaus. Gefühlslagen indes beschrieben Episoden: Wer sie durchlebt, kann von Emotionen erzählen und auf Verständnis oder sogar Mitgefühl hoffen. Stimmungen hätten — anders als Gefühle — weder Anfang noch Höhepunkt und kein klares Ende, so Bude. Ihren Anlass könne man "gar nicht so genau benennen".

Stimmungen seien "unfokussierte Wertungszustände", sagt der Hochschul-Professor. "Sie bilden einen Rahmen für alles, was man von der Welt zur Kenntnis nimmt", sagt er. Das Ich werde von einer Stimmung eingeholt. Und: "Stimmung haben nicht nur die anderen." Jeder kennt das: Wenn man morgens schon mit dem falschen Fuß aufsteht, beim Rausgehen den Schlüssel nicht findet und sich Missmut und Zweifel durch den Tag ziehen und einen am Abend noch um den Schlaf bringen. "Punktuelle Lebensmüdigkeit", nennt Bude das und löst damit eine gewisse Stimmung im Saal aus: Zustimmung.

Öffentliche Meinung entsteht aus Gesprächs-Girlanden

Stimmung werde durch Medien erzeugt, sagt Bude, aber: "Es ist nicht nur das Netz!" Die öffentliche Meinung entstehe aus Gesprächs-Girlanden, zum Beispiel am Gartenzaun. "Gerade spricht man noch über den Handwerker und plötzlich kommt man auf Angela Merkel." Durch die Schwingungen solcher Gespräche breite sich nach und nach eine Stimmung aus.

Das Tolle am Soziologen Bude ist, dass er den richtigen Ton trifft, dass er keinen Vortrag fürs Fachpublikum hält wie vielleicht in den Ringvorlesungen an der Uni Kassel, wo er lehrt, sondern pointiert darlegt, was uns umtreibt. Ihn zum Auftakt der Vortragsreihe eingeladen zu haben, sei auch "eine Verbeugung vor seinem zugewandten Engagement", hatte Schauspielhaus-Intendant Wilfried Schulz vorab gesagt. Der Soziologe Bude stellt sich immer wieder der Diskussion in der Öffentlichkeit. Budes Wirkung resultiere aus seinen Themen, "die im besten Sinne populär sind", so Lothar Schröder, Leiter der Kulturredaktion der Rheinischen Post.

Sodann setzte der Soziologe an, seine Zuhörerschaft im Hier und Jetzt abzuholen, mit einem "Phänomen, das alle kennen: das Phänomen Martin Schulz". Ganz gleich, was man von seinem Programm halte, müsse man den "Schub für Schulz" begrüßen. Der SPD-Kanzlerkandidat bringe "Bewegung ins politische Feld", sagt Bude, der Schulz bei dessen EU-Digitalcharta beraten hat. Nach dem Rückzug von Sigmar Gabriel und Schulz' Kür zum Kandidaten hatte die SPD in Umfragen zuletzt mächtig zugelegt.

"Man sagt, es habe einen Stimmungswechsel gegeben", sagt Bude. Mit Martin Schulz habe "eine Art Befreiungsstimmung" eingesetzt. "Angela Merkel ist grandios darin, die Probleme zu lösen, wie sie sich stellen", sagt Bude. "Aber sie bleibt im Modus der ewigen Gegenwart", meint er.

In der Bevölkerung herrsche jedenfalls die Meinung vor, man könne nicht so tun, als ginge es weiter wie bisher — zwar würden viele Menschen ihre persönliche Situation positiv bewerten, seien aber "aufs Ganze skeptisch". Grund sei der gesellschaftliche Wandel.

"Schulz ist die Alternative zur Alternativlosigkeit", sagt Heinz Bude, und er sei darüber hinaus eine Projektionsfläche "für die Verbitterten und Übergangenen". In Deutschland gebe es ein untergründiges Bedürfnis nach Solidarität, aber das werde bislang von rechts abgegriffen. "Wir müssen über die Frage, was jedem zusteht, politisch streiten", sagt Bude. Und er meint: "Eine solidarische Gesellschaft ist eine Gesellschaft gerechter Anstrengung."

(kl)
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