Düsseldorf Ferdinand von Schirach hat Mitleid mit Tätern

Düsseldorf · Der Schriftsteller und Strafverteidiger Ferdinand von Schirach las im Düsseldorfer Schauspielhaus. Der Autor von "Wie kommt das Böse in die Welt?" verriet, manchmal Mitleid mit den Tätern zu haben. "Ich traf noch keinen Menschen, der nur böse war."

Ferdinand von Schirach hat Mitleid mit Tätern
Foto: Paul Schirnhofer

Er trat von links auf die Bühne des Großen Hauses und wirkte ein wenig scheu. Sein Blick schweifte über das voll besetzte Theater. "Man hat mir gesagt, zwischen dem Schauspielhaus und den Düsseldorfern bestünde kein enges Verhältnis", staunte Ferdinand von Schirach. "Das scheint nicht zu stimmen." Seine Lesung begann der Schriftsteller mit einem Hotelerlebnis aus München. Er wollte duschen, entdeckte dort aber keine Armaturen. Nur silberne Tasten mit hellgrauer Schrift. "Bei der Methode Versuch und Irrtum brachte der Druck auf den ersten Knopf das Licht im Bad zum Erlöschen", erzählte Ferdinand von Schirach und kam auf die Weisheit "In der Mitte liegt die Tugend" zu sprechen. In Hotels sei sie zwischen Strohsäcken und Interior Design zu finden. "Mir geht es auch um die Mitte", fügte er hinzu, "um das menschliche Maß."

Mit dem Kurzgeschichtenband "Verbrechen" war der Strafverteidiger als spät berufener Schriftsteller 2010 schlagartig berühmt geworden, in rascher Folge erschienen drei weitere Bücher. Sein neues, "Die Würde des Menschen ist antastbar", ist eine Sammlung von Essays aus dem "Spiegel". Doch zunächst las der Autor eine ältere Episode vor: von der Massenvergewaltigung auf einem Volksfest, bei der ein junges Mädchen übel zugerichtet wurde. Die Täter kamen ohne Strafe davon, man hatte ihnen geraten, vor Gericht zu schweigen. Der junge Ferdinand von Schirach war damals einer von neun Strafverteidigern. Das Urteil beschämte ihn: "An diesem Tag verlor ich meine Unschuld."

Sein Essay "Wie kommt das Böse in die Welt?" stellt Fragen zu Recht und Moral: Wusste Adam nicht, dass er eine verbotene Frucht aß? Ist er trotzdem schuldig? Trägt Gott Mitschuld? Er schickte nachdenkliche Zuhörer in die Pause und forderte sie danach zur Diskussion auf: Darf man töten, um selbst zu überleben? Wie viele Unschuldige dürfen geopfert werden, um eine höhere Zahl von Menschen zu retten? Sein Fazit nach lebhaftem Austausch: "Kein Menschenleben darf mit einem anderen aufgewogen werden."

Annette Bosetti, Kulturchefin dieser Redaktion, entlockte dem Schriftsteller im folgenden Zwiegespräch allerlei Hintergründe seiner Arbeit. Nein, er habe noch niemanden verklagt, beteuerte er. Am wenigsten faszinieren ihn Prozesse, in denen es um Geld geht. Oder um Vergewaltigung: "Die Grundstellung ist immer grauenhaft. Eine Frau klagt an, ein Mann widerspricht, und der Richter muss entscheiden." Und ja, er habe manchmal Mitleid mit den Tätern: "Ich traf noch keinen Menschen, der nur böse war." Nach zweieinhalb spannenden Stunden war die Schlange vor dem Signiertisch im Foyer sehr lang.

(RP)
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