Rock im Revier 2016 in Dortmund Iron Maiden - aus dem Arbeiterviertel auf die Bühnen der Welt

Dortmund · Sie fingen ganz klein in den Pubs von Ost-London an und schafften es mit Ehrgeiz und rigoroser Personalführung bis auf die ganz großen Bühnen: Iron Maiden zählen zu den besten Heavy-Metal-Bands der Welt. Am Freitag treten sie als Headliner bei "Rock im Revier" in Dortmund auf.

Daten und Fakten zu Iron Maiden
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Foto: Wafzig

Ihr Privatflugzeug "Ed Force One" landet am Donnerstag in Düsseldorf. Sänger Bruce Dickinson fliegt die Maschine selbst.

Es ist eine wilde Rocknacht, die zahlreiche Besucher am 18. Dezember 1983 in der Dortmunder Westfalenhalle feiern. Bei der "Heavy-Metal-Night" stehen Szenegrößen wie Ozzy Osbourne, die Scorpions und Judas Priest auf der Bühne. Als letzte Gruppe des Abends treten Iron Maiden auf. Sänger Bruce Dickinson saust während des gut halbstündigen Gigs wie ein Wirbelwind über die Bühne, schmeißt zum Schluss noch Teile des Schlagzeugs um. Die Menge johlt. "Als Headliner nach vielen guten anderen Bands lastete damals ein großer Druck auf uns. Wir mussten einfach einen starken Auftritt hinlegen. Und wir haben es geschafft. Fast schon beängstigend gut", erinnert sich Bandgründer Steve Harris in einer TV-Dokumentation viele Jahre später.

Wenn Iron Maiden am kommenden Freitag an gleicher Stelle beim "Rock im Revier"-Festival die Bühne betreten, wird der Band die Rolle des Headliners sehr viel vertrauter sein als knapp 33 Jahre zuvor. Die Briten zählen seit spätestens Mitte der 80er-Jahre zu den besten Heavy-Metal-Bands der Welt. Unbändiger Wille, unorthodoxe Entscheidungen, eine kluge Selbstvermarktung sowie eine rigorose Personalführung haben die Band von den kleineren Pubs bis auf die ganz großen Bühnen der Welt gebracht.

Die Geschichte der Band beginnt zwölf Jahre vor der besagten Dortmunder "Heavy-Metal-Night", als Steve Harris im Alter von 17 Jahren zum ersten Mal eine Bassgitarre anpackt. Von einem Schulfreund lässt sich der in Leytonstone, einem Arbeiterviertel in Londons East End, aufgewachsene Jugendliche die vier Grundakkorde (E,A,D und G) zeigen, die man braucht, um Rock zu spielen. Harris bringt sich den Umgang des Instruments selbst bei. Es zeigt sich, dass der langhaarige Jugendliche als Musiker genauso talentiert ist wie als Sportler. Vor seiner Musikkarriere spielt der Teenager im Jugendteam vom rennomierten Klub West Ham United. Eine Karriere als Profi-Fußballer scheint möglich. Doch als der leidenschaftliche Fan der englischen Fußballweltmeister-Mannschaft von 1996 bemerkt, dass ihm das intensive Training keine Zeit lässt, um mit Kumpels um die Häuser zu ziehen oder um Mädchen zu treffen, ändert er kurzerhand seinen Karriere-Plan.

Mit einem Freund gründet er die Band "Influence", die kurz darauf in "Gypsy's Kiss" umbenannt wird. Doch die Gruppe löst sich schnell auf, weil die meisten Bandglieder nach fünf Auftritten in Pubs schon zufrieden sind und keine weiteren Ambitionen haben. Da tickt Harris anders. Der Sohn eines Lastwagenfahrers lechzt nach weiterer Bühnenerfahrung und schließt sich der Gruppe "Smiler" an. Doch auch dort wird er nicht glücklich, weil die Bandmitglieder nicht an den Songs interessiert sind, die er reihenweise schreibt. Und so gründet er am 25. Dezember 1975 schließlich seine eigene Band. Sie besteht aus Steve Harris (Bassgitarre), Dave Sullivan (Gitarre), Ron "Rebel" Matthews (Schlagzeug), Paul Day (Gesang) und Terry Rance (Gitarre). Auf den Namen der neuen Band kommt Steve Harris: Iron Maiden, benannt nach einem mittelalterlichen Folterinstrument. Ein Sarg mit langen, spitzen Nägeln auf der Innenseite, die "Eiseren Jungfrau".

Harris sollte in der Folge eine Band formen, die einen eigenen Stil entwickelt. Dieser orientiert sich grundsätzlich an der Spielweise alter Heavy-Metal-Bands wie Black Sabbath oder Deep Purple, ist dabei aber wesentlich dynamischer. Maiden gilt Ende der 70er-Jahre als Spitze der sogenannten New Wave of British Heavy Metal-Bewegung, zu der zum Beispiel auch Gruppen wie Judas Priest und Def Leppard zählen. Diese Bands hauchen Hard-Rock und Heavy-Metal zu einer Zeit neues Leben ein, als eigentlich Punkrock und Discosounds wie Saturday-Night-Fever in der Musikszene den Ton angeben.

In den ersten Jahren machen sich Iron Maiden in den Pubs von Ost-London einen Namen. Besonders beim jungen Publikum kommt die neue Band, die bei ihren Auftritten mit vielen eigenen Liedern und nur wenig Coversongs auskommt, gut an. Allerdings wird deutlich, dass der bisherige Aufwand auf Dauer nicht ausreicht, um die Manager der großen Plattenfirmen zu ihren Konzerten zu locken. Eine Demo-Kassette mit eigenen Liedern muss her. Doch die Band ist zu diesem Zeitpunkt noch zu klamm, um für eine professionelle Aufnahme ein Studio zu buchen. Doch der gewiefte Harris findet einen Weg: Die 24-stündige Session beginnt am Morgen des 31. Dezember 1978 und endet am folgenden Morgen. Normalerweise wäre das Studio an Silvester leer gewesen. So schafft es Harris, den Preis auf 200 Pfund zu drücken. Plus einen Tontechniker, der bereit ist, an Silvester zu arbeiten. Für das Geld nimmt die Gruppe die vier Songs "Iron Maiden", "Invasion" "Prowler" und "Strange World" auf. Eine Kopie der Demo-Kassette gibt die Band einem Londoner DJ namens Neal Kay. Kay macht sich Ende der 70er-Jahre einen Namen in der aufkeimenden Heavy-Metal-Szene. Er veranstaltet im Londoner Club "Bandwagon Heavy Metal Soundhouse" regelmäßig "Heavy-Metal-Nights". Kay ist begeistert von dem Tape und lässt die Musik von Iron Maiden fortan im Club hoch und runter spielen. Mit dem Ergebnis, dass "Prowler" in den internen Charts des Klubs, streng ermittelt nach den Musikwünschen der Gäste, auf Platz 1 schnellt. Immer mehr Heavy-Metal-Fans wird Iron Maiden ein Begriff.

1979 tritt Rod Smallwood, die zweite große Schlüsselfigur neben Steve Harris, in das Leben der Band ein. Der Musikmanager kümmert sich um geschäftliche Angelegenheiten, wird aber ebenso zum Mentor der Gruppe. Dank seiner Kontakte gewinnt Iron Maiden in London und Umgebung weiter an Popularität. Im November 1979 unterschreibt die Gruppe um Steve Harris ihren ersten Plattenvertrag bei EMI.

1980 wird das Jahr Null für Iron Maiden. Die Aufnahme des Debütalbums steht an. Die Besetzung hat zu dieser Zeit nicht mehr viel mit der der Gründung zu tun: Neben Harris sind nun Paul Di‘ Anno (Gesang), Dave Murray (Gitarre), Dennis Stratton (Gitarre) und Clive Burr (Schlagzeug) dabei. Auf der Platte sind mit "Sanctuary", "Running Free", "Phantom oft he Opera" und "Iron Maiden" Songs enthalten, die später zu Klassikern der Band werden sollten. Das Album wird für die Newcomer ein voller Erfolg. In den britischen Charts landet es mit Anhieb auf Platz vier. Außerdem tritt die Band in der angesehenen britischen TV-Popsendung"Top oft the Pops" mit "Running free" auf. Besonderer Clou an der Sache: Iron Maiden spielen live. Absolut ungewöhnlich für eine Sendung, in der gewöhnlich nur Playback-Töne dominieren. Doch Steve Harris stellt eine Live-Performance im Vorfeld als Bedingung für den Auftritt auf. Eigentlich eine kühne Forderung für eine noch recht unbekannte Band, die in einer der berühmtesten Musiksendungen des Landes gastieren darf. Aber Haltung zeigen ist ein typisches Merkmal der Band. In diesem Fall lautet sie: Entweder wir machen es auf unsere Weise oder wir machen es gar nicht.

Die Konzertsäle werden dank des wachsenden Erfolgs größer. Iron Maiden gehen auf Großbritannien-Tour als Vorband von Judas Priest und auf Europa-Tournee mit KISS. Die Gruppe weiß ihr Publikum zu begeistern. Mit schnellen Rhythmuswechseln, beeindruckenden Gitarrensoli, aber vor allem mit direkter, fannaher Art. Es wächst eine Band heran, die ihre Fans nicht durch große Radiohits, sondern vor allem durch tolle Live-Shows akquiriert. Zu den Konzerten gehört auch in den ersten Jahren schon das Bandmaskottchen Eddie. Verkörpert wird das zombieartige Wesen entweder von Maiden-Manager Rod Smallwood oder einem der Tourmanager. Zur Verkleidung gehören eine speziell angefertigte Maske und eine Lederjacke. Mit dem Beginn der internationalen Karriere sollte in den folgenden Jahren Eddie kontinuierlich wachsen. Dank des Einsatzes von Stelzen betritt ein meterhoher Eddie, in der Regel zum Song "Iron Maiden", die Bühne und sorgt bei den Fans für einen Wow-Effekt.

Mit dem zweiten Album "Killers" bestätigt die Band 1981 den Erfolg des ersten. Zwar gibt es einige Kritiker, die an der Platte kein gutes Haar lassen. Den Fans gefällt es hingegen. Die "Killers"-Tour führt Iron Maiden in 14 Länder. Trotz des Erfolges sieht Bandleader Harris Anfang der 80er-Jahre Gründe für personelle Änderungen. So verlässt Gitarrist Dennis Straton die Band. Ihm wirft Harris mangelnde Identifikation mit der Gruppe vor. Gehen muss auch Drummer Clive Burton. Er ist dem exzessiven Partyleben Backstage gesundheitlich nicht gewachsen und liefert schlechte Leistungen ab. Ein absolutes No-Go für Harris. Der Bandchef ist weder Spaßbremse noch ein Kostverächter. Doch Sex, Drugs & Rock'n'Roll gefallen ihm nur, solange die Leistung der Band nicht darunter leidet.

Eine ähnliche Entscheidung trifft Harris im Fall von Paul Di‘ Anno, der regelmäßig Probleme mit seiner Stimme hat. Die Trennung vom talentierten Sänger ist ein Wagnis für die Band, die gerade erst in die Erfolgsspur gefunden hat. Doch letztlich ist sie die Königsentscheidung für die Entwicklung von Iron Maiden. Der neue Sänger Bruce Dickinson - der zuvor bei der Band Sampson aktiv war - sollte Maiden in der Folge nicht nur mitprägen, sondern auch auf ein höheres Level setzen. Mit seiner Stimme, die viel Umfang hat, kann er Melodien gut halten, was dem Songwriting ganz neue Möglichkeiten bietet. Hinzu kommt sein Bühnentalent. Er ist sehr aktiv, rennt wie ein Irrwisch hin und her und feuert immer wieder das Publikum an ("Scream for me"). Kurzum: Dickinson ist ein wie für Iron Maiden geschaffener Frontmann.

Ein Merkmal der Band ist, dass sie in vielen Songs kritisch mit historischen Ereignisse auseinandersetzt. In "Two Minutes to Midnight" geht es um das Wettrüsten von USA und Sowjetunion im Kalten Krieg, in "Aces High" wird die Luftschlacht um England im Zweiten Weltkrieg behandelt, bei "The Trooper" hinterfragt die Band die britische Rolle im Krimkrieg 1854. Auf Konzerten schlüpft Sänger Dickinson bei "The Trooper" in eine rote Uniform und schwenkt die Flagge mit dem Union Jack.

Das erste Album mit Dickinson aus dem Jahr 1982 heißt "Number oft the Beast". Bei Heavy-Metal-Fans erringt es Kultstatus. Steve Harris bezeichnet es in der offiziellen Biographie der Band "Run to the Hills" als Wende in der Bandgeschichte. Die nächsten fünf Jahre werden für Iron Maiden zur Zeit des großen Erfolgs und auch des Wohlstandes. Während dieses Zeitraums veröffentlicht die Band vier Studioalben — "Piece of Mind" (1983), "Powerslave" (1984), "Somewhere in Time" (1985) und "Seventh Son of A Son" (1988). Hinzu kommt das Live-Album "Live after Death" (1985). Alle fünf Alben verkaufen sich millionenfach und auf allen spielen das Line-up Steve Harris (Bass), Dave Murray (Gitarre), Adrian Smith (Gitarre), Bruce Dickinson (Gesang) und Nicko McBrain (Schlagzeug) — von Kritikern als klassisches Line-up betrachtet. Die Band macht sich mit monumentalen Bühnenshows als Liveband einen Namen.

Zum vorläufigen Höhepunkt der Bandgeschichte machen sich Ende der 80er Jahre jedoch Unstimmigkeiten in der Gruppe breit. Es kommt zu Differenzen zwischen Gitarrist Adrian Smith und Bandleader Steve Harris über die musikalische Ausrichtung. Smith denkt laut darüber nach, die Band zu verlassen. Harris verlangt eine Entscheidung. Als Smith zögert, legt Harris ihm den Austritt nahe. Ersetzt wird Smith durch Janick Gers.

Nach dem Album "Fear oft the Dark" und der anschließenden Tournee im Jahr 1992 kehrt schließlich auch Sänger Bruce Dickinson Iron Maiden den Rücken, um seine Konzentration voll und ganz Soloprojekten widmen zu können. Für die Band eine schwierige Situation. Schließlich hatte der Gesang von Dickinson Iron Maiden in den vorangegangenen Jahren stark geprägt. Doch da Aufgeben keine Alternative für Steve Harris ist, präsentiert er einen Nachfolger: Blaze Bayley von der britischen Band Wolfsbane steigt in die großen Fußstapfen von Dickinson. Letztlich sollte er vier Jahr den Frontmann von Iron Maiden geben. Die Alben "The X-Factor" und "Virtual XI" fallen in diese Zeit. Nach Meinung von Harris zählt "The X-Factor" zu den besten Maiden-Alben aller Zeiten. Bayleys scheitert letztlich an den regelmäßig auftretenden Problemen mit seiner Stimme. Es sind nicht nur die Strapazen der Touren, die seine Stimme ruinieren, es ist auch die Belastung, Gesänge zu übernehmen, die ursprünglich für die voluminöse Stimme von Bruce Dickinson geschrieben wurden. Die Band stellt einmal mehr das Wohl der Gruppe über Einzelinteressen und trennt sich von Bayley.

Es kommt schließlich zum Doppelcomeback: Sowohl Bruce Dickinson als auch Adrian Smith kehren 1999 zurück. Die Rückkehr von Smith bedeutet nicht, dass ein anderer Gitarrist gehen muss. Fortan gehören drei Gitarristen zum Ensemble der Heavy-Metal-Giganten aus England. Denn Harris möchte diese Besetzung unbedingt testen. Die unorthodoxe Art von Harris, einfach mal ungewöhnliche Dinge auszuprobieren, ist für Experten ein Grund für den Erfolgsweg der Band.

Die Gruppe hat nach der Reunion noch einmal der Ehrgeiz gepackt. Es sollen nicht nur alte Erfolge verwaltet werden, sondern man will noch einmal richtig angreifen: Noch mehr Alben verkaufen, noch größere Shows spielen. Und der Plan sollte aufgehen. Das Album "Brave New World" wird 2000 weltweit zum Erfolg, steigt zum Beispiel in den deutschen Album-Charts auf Platz drei. Es geht wieder auf weltweite Tournee, die ihren Höhepunkt am 19. Januar 2001 in Brasilien findet: An diesem Tag tritt die Band auf dem "Rock in Rio"-Festival vor 250.000 Menschen auf — ein Meilenstein in der Geschichte von Iron Maiden.

Der Ehrgeiz der Band bleibt ungebremst. Nach dem Erfolg von "Brave New World" will man zeigen, dass man in der neuen Formation mit drei Gitarristen nicht nur einen Zufallstreffer gelandet hat und erzielen sie 2003 mit dem Album "Dance of Death" den nächsten weltweiten Charterfolg. Der unbändige Wille, es sich selbst und anderen immer wieder neu zu beweisen, treibt die Band über vier Jahrzehnte zu immer weiteren Erfolgen. Iron Maiden überdauert zahllose Trends und ist heutzutage mit geschätzten 90 Millionen verkauften Alben eine der kommerziell erfolgreichsten Bands der Welt.

Seit Februar sind Iron Maiden mit dem neuen Album "The Book of Souls" auf Welttournee. Aufsehen erregt die Band auf ihrer Tour nicht nur durch ihre Konzerte, sondern auch durch das bandeigene Flugzeug "Ed Force One", mit dem die Briten um den Globus tingeln. Gesteuert wird die Maschine von Sänger Bruce Dickinson, der 1991 den Pilotenschein machte. Einen Tag vor ihrem Auftritt in Dortmund wird die "Ed Force One" auf dem Düsseldorfer Flughafen landen.

Für Bruce Dickinson ist es im Übrigen die erste Tournee nach seiner schweren Erkrankung. Im vergangenen Jahr besiegte er nach mehrwöchiger Chemotherapie ein Zungenkarzinom. Seine Leistung auf der Bühne hat unter dem Eingriff nicht gelitten. Die Fans dürfen sich am Freitag in Dortmund also auf einen famosen Auftritt der Band freuen. Ähnlich wie im Dezember 1983.

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