Serie Junge Künstler Im Rheinland (1) Möbel werden zu Figuren

Duisburg · Ob Gerhard Richter oder Günther Uecker - alle großen Künstler haben klein angefangen. In einer Serie zeigen wir, wie heutzutage vielversprechende Talente an sich arbeiten und erste Erfolge feiern. Wir besuchten Tobias Nink in Duisburg.

Das Atelier des 29-jährigen Tobias Nink ist das ehemalige Wohnzimmer eines unauffälligen Reihenhäuschens in Duisburg-Homberg. Seltsame Möbel reihen sich dort aneinander. Aus den Ritzen quillt Klebstoff. Und obwohl einem die Bestandteile der Möbel bekannt vorkommen, fragt man sich nach dem Sinn dieser schlanken, zu nichts tauglichen Konstrukte. Keine Schubladen, die man herausziehen könnte, keine Sitzgelegenheit, keine Ablagefläche - eher wirken die Objekte wie Figuren.

Nink hat in diesem Jahr sein Studium an der Kunstakademie Düsseldorf abgeschlossen. Er war Meisterschüler in der Klasse Tony Cragg und hat seinen Akademiebrief von Richard Deacon entgegengenommen. Zwei angesehene Lehrer sind eine gute Voraussetzung dafür, dass man als junger Künstler wahrgenommen wird - eine Garantie aber bedeutet das nicht. Garantien gibt es ohnehin nicht in diesem wohl freiesten aller freien Berufe. Viele versuchen ihr Glück, doch am Ende können nur zwei Prozent von ihrer künstlerischen Arbeit leben. Davon ist Nink so weit entfernt wie alle in seinem Alter. Er lebt von dem, was er an Honorar für den Aufbau fremder Ausstellungen bekommt, und von Stipendien; vor allem aber von dem Glauben an sich selbst. Denn wer von seinen Ideen nicht überzeugt ist, das weiß er, der hat schon verloren.

Tobias Nink hat es leichter, an sich zu glauben, als etliche andere, denn er hat bereits als Student Anerkennung in der Öffentlichkeit erfahren. Welcher 29-Jährige kann schon von sich behaupten, er habe in der Bundeskunsthalle in Bonn ausgestellt? Gut, es war keine Einzelausstellung, sondern ein Beitrag zur Schau "Atlas 2013. Kunststudentinnen und Kunststudenten stellen aus". Doch sein keramisches Werk zum Thema "Falten" findet sich bis heute auf der Homepage des renommierten Ausstellungshauses, und es kann sich sehen lassen.

Nink hat sich als Student an die Kunst herangetastet. "Den Urknall gibt es nicht", sagt er. Er hat die Erfahrung gemacht, dass man an bestimmten Punkten das, was man macht, verwirft - "oder es kann so weitergehen". Und je weiter man komme, desto selbstständiger werde man. Irgendwann hatte er die Idee, Möbeln ihre Funktion zu nehmen und daraus etwas anderes herzustellen. Das ist nicht einfach, denn bei diesem Prozess "muss ein Funke überspringen, sonst wandert das Stück in die Tonne". Der Reiz von Ninks umgebauten, rund 50 Jahre alten, oftmals geschwungenen Möbeln besteht darin, dass nur ein Viertel des Ursprungsmaterials Eingang in das neue Objekt findet und Betrachter kaum mehr erfassen können, was das einmal für ein Möbel war: ein Schrank, eine Kommode, ein Nachttisch? Wichtig ist, dass die Möbelteile über erhabene Ornamente verfügen, denn nur so funktioniert der nächste Schritt: Die Konstrukte werden in Beton, Keramik oder Bronze abgegossen und lassen die Verzierungen nun als Profile aufscheinen. Warum Abguss? Nink erklärt das so: Wenn die Stücke gegossen sind, distanzieren sie sich von uns. Sie sind dann kühler. Das Möbel rückt in den Hintergrund, das Individuum tritt nach vorn. Ja, diese Objekte wirken auf einmal figürlich, wie Persönlichkeiten. Und wenn sie aus Beton, Keramik oder Bronze bestehen, haben sie gegenüber ihren hölzernen Vorgängern einen weiteren Vorteil: Sie lassen sich unter freiem Himmel aufstellen. Dem Prozess der Figurwerdung eines Möbelstücks liegt aus Ninks Sicht keine Nostalgie zugrunde. Vielmehr versteht er diesen Prozess als Auseinandersetzung mit der Gegenwart. Da die Möbelfragmente aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gelöst sind, entfalten sie ein Eigenleben: "Die Figuren sind so aktuell wie wir." Und sie stellen die Frage: Wer sind wir?

Das ist die ideelle Seite der Kunst. Auf der Kehrseite steht das Wort "Vermarktung". Doch alle Vermarktung, so weiß Nink, nützt nichts, wenn die Arbeiten nicht authentisch sind. Und wenn nicht immer wieder neue Impulse den künstlerischen Prozess vorantreiben. "Das Schlimmste", so findet er, "wäre, dass man in zehn Jahren noch nicht weitergekommen ist." Und er fügt hinzu: "Man darf sich nicht verkaufen und muss umtriebig bleiben."

Umtriebig bleiben bedeutet für ihn nicht nur die Suche nach neuen Ideen, sondern auch, sich um Ausstellungen zu bewerben, um Stipendien und Preise. Zuletzt stellte er im Kunstverein Schloss Morsbroich in Leverkusen aus. Für das nächste Jahr sind Ausstellungen im Kunstverein Schweinfurt und im Museum für Angewandte Kunst Köln geplant. Und noch etwas hat Nink vor: Mit vier weiteren Künstlern würde er gern in Düsseldorf einen Ausstellungsraum gründen und dort nicht nur eigene Werke zur Diskussion stellen, sondern auch solche von Auswärtigen. Schließlich muss es weitergehen. Man muss umtriebig bleiben. Und darf sich um Himmels willen nicht verkaufen.

Die Serie im Überblick

(B.M.)
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