André Kuper im Interview "Präsenz der AfD ist Ergebnis einer demokratischen Wahl"

Düsseldorf · Im Umgang mit den Provokationen der neuen Partei setzt der NRW-Landtagspräsident André Kuper (CDU) auf diskrete Gespräche. Er will sie nicht aufwerten, sagt er im Interview mit unserer Redaktion.

 NRW-Landtagspräsident André Kuper (CDU) im Gespräch mit unserer Redaktion.

NRW-Landtagspräsident André Kuper (CDU) im Gespräch mit unserer Redaktion.

Foto: Krebs

Es ist sein erstes Interview in dieser Funktion. Landtagspräsident André Kuper (CDU) war beim Besuch unserer Redaktion in den ersten 20 Minuten auf sich allein gestellt: Seine Sprecherin hatte sich auf dem Weg in die Redaktion verlaufen.

Herr Kuper, warum interessieren sich so wenige Menschen für Landespolitik? Ist der Landtag überflüssig?

Kuper Nein, überhaupt nicht. Aber ich gebe Ihnen Recht, die Kommune, der Bund oder Europa ziehen mehr Aufmerksamkeit auf sich. Wir müssen diese Verzwergung des Landtags überwinden.

Warum?

Kuper Im Landtag werden wichtige Entscheidungen getroffen, die das Leben der Menschen direkt in starkem Maß beeinflussen. Nehmen Sie nur die Schulpolitik. Das interessiert Eltern, Schüler, Lehrer. Da geht es oft hoch her, und der Landtag entscheidet darüber. Oder die innere Sicherheit. Denken Sie nur an die Auseinandersetzung zum Fall Amri. Auch die Verkehrspolitik wird vom Land aus gesteuert.

Der Bund gibt Milliarden für den Straßenbau in NRW, das Land nur rund 200 Millionen. Warum soll der Bund nicht gleich alles übernehmen?

Kuper Wir haben den Grundsatz der Subsidiarität: Alles, was vor Ort entschieden werden kann, sollte auch vor Ort entschieden werden. Und das gilt für den Straßenbau ganz besonders.

Was kann das Land hier denn tun?

Kuper Der Bürger fragt doch uns vor Ort, wie es mit Staus und dem Ausbau der Infrastruktur vorangeht. Deshalb müssen wir das vor Ort steuern, unabhängig davon, wie viel Geld vom Bund kommt.

Im Fall Amri hat der Föderalismus kein gutes Bild abgegeben. Wichtige Informationen wurden von den unterschiedlichen Behörden auf Landes- und Bundesebene nicht weitergegeben.

Kuper Das wäre aber möglicherweise nicht anders gewesen, wenn der Bund die alleinige Zuständigkeit gehabt hätte. Dann hätten sich womöglich unterschiedliche Dienststellen nicht abgesprochen.

Wenigstens hätten die auf nur eine Datenbank zugegriffen…

Kuper Eine solche Datenbank kann mit guten Gründen bundeseinheitlich sein, auch wenn unterschiedliche Behörden darauf zurückgreifen. Nein, nicht der Föderalismus hat hier versagt.

Nehmen Sie die Schulpolitik: Die Länder rufen nach Geld des Bundes und wundern sich, dass er dann die Bildungspolitik beeinflussen will…

Kuper Das müsste nicht sein. Der Bund könnte sich beteiligen und trotzdem den Ländern überlassen, wie sie die Bildungspolitik gestalten wollen.

Müsste der Föderalismus nicht schlanker und effektiver werden, um wieder an Attraktivität zu gewinnen? Etwa, indem Länder zusammengelegt werden. Das würde Bürokratiekosten sparen…

Kuper Diese Diskussion ist meiner Ansicht nach beendet. Es ist wichtiger, dass die 16 Bundesländer geschlossener auftreten und ihre Interessen vertreten. Das ist besser, als eine alte Diskussion aufzuwärmen, die große Widerstände hervorruft.

Umstritten ist auch das Kooperationsverbot, das die Bildungspolitik zur alleinigen Sache der Länder macht. Muss das nicht fallen, um mehr Einheitlichkeit bei Schulabschlüssen durchzusetzen?

Kuper Ich bin für das Kooperationsverbot, weil hier die Kompetenzen klar verteilt sind. Etwas anderes sind Bundesfinanzhilfen etwa für Ganztagsbetreuung oder den digitalen Unterricht. Aber deswegen muss sich der Bund nicht in die Bildungspolitik einmischen.

Hat die AfD dafür gesorgt, dass die Landtagsdebatten lebendiger werden?

Kuper Das bezweifele ich. Aus meiner Sicht ist der Landtag der richtige Ort für friedlichen Streit. Hier müssen die Debatten geführt werden, die auch die Menschen bewegen, ohne Tabus.

Sind Sie ein AfD-Dompteur?

Kuper Nein, meine Rolle ist die des Schiedsrichters. Ich muss neutral dafür sorgen, dass parlamentarische Spielregeln eingehalten werden. Ich habe auch schon Anträge meiner Partei, der CDU, abgelehnt. Mein Ziel ist es, mit der Professionalität und Überparteilichkeit eines Schiedsrichters für die Einhaltung der Spielregeln zu sorgen.

Müssen Sie die AfD öfter als andere zur Ordnung rufen?

Kuper Es gab Situationen, in denen einzelne Redner der AfD übers Ziel hinausgeschossen sind. Das Präsidium, also meine Stellvertreter und ich, achten darauf, dass die Debatten fair sind und die parlamentarischen Regeln eingehalten werden, um die Würde des Hauses zu schützen. Insgesamt gibt es bei uns aber weniger Rügen als in anderen Landtagen.

Weil Sie die AfD nicht durch solche Rügen in die Schlagzeilen bringen wollen?

Kuper Ich möchte nicht, dass Verstöße gegen die guten Sitten im Landtag mit Aufmerksamkeit für den Verursacher belohnt werden. Deshalb suche ich eher das direkte Gespräch.

Sind alle AfD-Politiker im Landtag lupenreine Demokraten?

Kuper Das muss jeder Beobachter für sich entscheiden. Die Präsenz der AfD im Landtag ist jedenfalls das Ergebnis einer demokratischen Wahl.

Warum stellt die AfD als einzige Fraktion im Landtag keinen Vizepräsidenten?

Kuper Das ist eine Entscheidung der Fraktionen im Landtag. Letztlich ist der Landtag auch so arbeitsfähig. In der vergangenen Wahlperiode gab es auch zunächst einen Stellvertreter mehr, der dann im Laufe der Wahlperiode ausschied.

Als die Fraktionen das entschieden haben, war die AfD-Fraktion größer als die Fraktion der Grünen. Warum haben die Grünen einen Vizepräsidenten und die AfD nicht?

Kuper Für mich gilt der Grundsatz der Demokratie. Die Fraktionen haben das entschieden. Ich glaube, die Binnenwahrnehmung ist da auch eine andere als die Außenwahrnehmung.

Wo hat die Meinungsfreiheit Grenzen?

Kuper Wenn zum Beispiel völkisches Gedankengut verbreitet werden soll oder im Landtag Begriffe benutzt werden, die durch die Nazi-Zeit belastet sind. Es gibt dazu auch eine Rechtsprechung. Meine Devise ist: Wehret den Anfängen.

Das ist aber auch eine Bevormundung: Über sieben Prozent haben die doch gewählt …

Kuper … nein, das gilt ja für alle Parteien. Es gibt Grenzen der Meinungsfreiheit. Da werden alle gleich behandelt.

Was ist das größere Problem: Die AfD oder die Fraktionslosen?

Kuper Es besteht grundsätzlich die Gefahr, dass das Wahlergebnis nicht mehr angemessen in Plenardebatten widergespiegelt wird. Im Landtag wird deshalb ein Gesetzentwurf beraten, der den Fraktionslosen die Bündelung in eine Parlamentarische Gruppe ermöglichen soll.

Was war Ihre schönste Situation als Chefdiplomat des Landes?

Kuper Die Eröffnung der Ruhr Games im Dortmunder Stadion. So viele junge Menschen aus aller Welt friedlich beieinander zu erleben, war eine tolle Erfahrung.

Was war Ihre heikelste Situation?

Kuper Als der AfD-Abgeordnete Helmut Seifen in einer Rede sieben Mal völkische Begriffe verwendet hat. Auch der Duktus der Rede war sehr problematisch. Normalerweise wird im Landtag geredet. Er hat geschrien. Das war nicht angemessen. Das hat er anschließend im Gespräch mit mir auch eingeräumt.

Brauchen Landtagspräsidenten eine Grundausbildung in Diplomatie?

Kuper Die meisten waren vorher Minister oder — wie ich — Bürgermeister. Das ist eine gute und lehrreiche Basis-Schulung, die im Amt hilft.

(brö / kes / tor)
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