Sondersitzung des NRW-Innenausschusses Anis Amri profitierte auch von Lücken im Gesetz

Düsseldorf · Unter 14 Namen beantragte Anis Amri Asyl oder Sozialleistungen. Er suchte im Internet nach einer Anleitung zum Bombenbau. Das alles wusste man. Warum der Anschlag dennoch nicht verhindert werden konnte, war am Donnerstag Thema im Landtag.

NRW-Innenminister Ralf Jäger nach der viereinhalbstündigen Sondersitzung im Innenausschuss des Düsseldorfer Landtags.

NRW-Innenminister Ralf Jäger nach der viereinhalbstündigen Sondersitzung im Innenausschuss des Düsseldorfer Landtags.

Foto: dpa, rwe pil

Als Konsequenz aus dem Terroranschlag von Berlin fordert NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) rechtliche Konsequenzen: "Wir müssen die rechtlichen Hürden senken, damit Gefährder ohne Bleibeperspektive künftig leichter inhaftiert werden können", sagte Jäger am Donnerstag in einer Sondersitzung des NRW-Innenausschusses, in der die Opposition ihm eine politische Mitverantwortung für den Anschlag nachweisen wollte.

Vorwürfe gegen Innenminister Jäger

Der 24-jährige Tunesier Anis Amri hatte am 19. Dezember einen gekaperten Lastwagen in einen Berliner Weihnachtsmarkt gesteuert und dabei zwölf Menschen getötet. Die Opposition in NRW wirft Jäger Untätigkeit vor, weil Amri von Jägers Sicherheitsbehörden schon am 17. Februar als so genannter Gefährder eingestuft hatten, wie Landeskriminaldirektor Dieter Schürmann in der Sitzung zugab.

"Es war lange vor dem Attentat bekannt, dass Amri sich Waffen besorgen wollte, im Internet nach Bombenbauanleitungen recherchierte und sich dem IS als Selbstmordattentäter angeboten hatte", hielt Peter Biesenbach (CDU) dem Innenminister entgegen, "warum haben Sie nichts unternommen?" Jägers Antwort: "Wir können in einem Rechtsstaat auch Gefährder nicht einfach vorsorglich wegsperren. Nach bisherigem Recht braucht es dafür Tatsachen, nicht Hörensagen." Tatsächlich stellte die Berliner Generalstaatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Amri im September 2016 ein, weil sie trotz sechsmonatiger Überwachung keine Belege für einen bevorstehenden Terroranschlag fand.

Jäger: Keine Grundlage für Abschiebehaft

Die Opposition meint dennoch, dass man Amri hätte festsetzen können - und zwar nicht über das Strafrecht, sondern über das Aufenthaltsrecht. Auch hätte Amri mit Melde- und Residenzpflichten von der Weiterreise nach Berlin abgehalten werden können. Jäger sagte, für eine Abschiebehaft hätte eine keine ausreichende Grundlage gegeben - in vergleichbaren Fällen hätten Gerichte sie bislang stets abgelehnt. Der Vorsitzende des Bundes der Richter und Staatsanwälte in NRW, Christian Friehoff, stützte auf Anfrage unserer Redaktion Jägers Position. Eine Abschiebehaft sei "nur dann zulässig, wenn die Abschiebung in absehbarer Zeit möglich ist", sagte Friehoff. Dies setze voraus, dass geklärt sei, welcher Staat den abgelehnten Asylbewerber aufnimmt.

Probleme wegen Ausweispapieren

"Dazu müssen für diese Person Ausweispapiere dieses Staates zur Verfügung stehen, da er andernfalls nicht aufgenommen wird." Amri hatte keine Papiere. Tunesien verzögerte die Ausstellung von Ersatzpapieren bis einen Tag nach dem Attentat. Allerdings hatte die internationale Polizeieinheit Interpol Amri gegenüber den deutschen Behörden schon am 21. Oktober eindeutig als Tunesier identifiziert.

Der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Ansgar Heveling (CDU), kritisierte die "alleinige Zuständigkeit der Kommunen in NRW für Ausländerrecht" als "einen Schwachpunkt in der Sicherheit". "Es geht nicht, dass sich das Land aus dieser Verantwortung heraushält. NRW sollte mit Blick auf den Fall Anis Amri die Zuständigkeiten neu ordnen", so Heveling.

Eine Landesbehörde bewerte Sicherheitsfragen und Gefährder anders um als kommunale Behörden. "Während andere Länder dies für Gefährder bereits geregelt haben, muss NRW hier schleunigst seiner Verantwortung nachkommen."

(qua)
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