Sondierungsgespräche in NRW Das Protokoll einer Annäherung

In den Sondierungsgesprächen von SPD und CDU wurde die Stimmung nach einer schwierigen Anlaufphase zunehmend besser. SPD-Chefin Hannelore Kraft und Ministerpräsident Jürgen Rüttgers bemühten sich, einen persönlichen Draht zu finden. Am Ende wurde sogar gelacht.

Sondierungsgespräche für eine Große Koalition
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Um 16.30 Uhr werden die Sichtschutz-Stellwände vor dem Verhandlungsbereich zur Seite geschoben. Hannelore Kraft und Jürgen Rüttgers treten gemeinsam aus der Glastür und lächeln freundlich in die Kameras. Der gemeinsame Auftritt signalisiert, dass die Sondierungsgespräche gut gelaufen sind. Jedenfalls besser, als mancher Teilnehmer noch wenige Stunden vorher befürchtet hatte.

Ärger war am Vorabend aufgekommen, als die CDU zwölf Delegationsmitglieder bestimmte. Die SPD hatte nur neun — und dabei sollte es auch bleiben. Doch die Union musste ihre "Bezirksfürsten" einbeziehen und pochte auf ein Zwölfergremium. Daraufhin ernannte die SPD ihre beiden Pressesprecher und den Landesgeschäftsführer kurzerhand zu offiziellen Delegationsmitgliedern — da waren es auch bei ihr zwölf.

Der Poker beginnt um 12.25 Uhr

Der Poker im Maritim-Hotel beginnt um 12.25 Uhr. Hannelore Kraft fährt mit ihrer Delegation in zwei Kleinbus-Taxen vor. Die Rüttgers-Delegation kommt fünfzehn Minuten später, ebenfalls mit dem Taxi. Den Dienstwagen hat der Ministerpräsident zurückgelassen. Rüttgers will signalisieren, dass er auf Augenhöhe verhandeln will. Eine Gruppe von Stewardessen der Airline "Emirates" bestaunen den offenbar wichtigen Mann, der von einem Pulk von Fotografen und TV-Teams begleitet wird.

Der Raum "Peking C" ist mit zwei langen Tischreihen für ein Geschäftstreffen eingedeckt. An jedem Platz liegt ein Notizblock mit Kuli und einem Tütchen Traubenzucker. Energie können die Delegationen gebrauchen.

Hannelore Kraft begrüßt die Teilnehmer. Das ist vorher so vereinbart worden. Das nächste Treffen soll von Rüttgers eröffnet werden. Als ehemalige Unternehmensberaterin weiß Kraft, wie man professionell mit schwierigen Gesprächssituationen umgeht. Sie will emotionslos ausloten, was möglich ist.

"Perspektivspieler" der CDU

Für die CDU spricht Rüttgers. In seinem Team sind Routiniers und "Perspektivspieler" der Union versammelt. Keine leichte Situation. Jeder beäugt jeden. Wird sich jemand durch seine Beiträge als möglicher Nachfolger von Rüttgers in Stellung bringen?

Rüttgers lässt keine Minute Zweifel daran, dass er die unangefochtene Nummer eins ist. Er hält ein langes, staatsmännisches Eingangsstatement, in dem er die Chancen einer großen Koalition in NRW aufzeigt. Er skizziert fünf Aufgabenfelder, die CDU und SPD gemeinsam lösen könnten: Stärkung der Kommunalfinanzen, ökologischer Umbau des Industrielands NRW, Sanierung der Staatsfinanzen, Wahrung des "Schulfriedens" und Integration. Rüttgers macht deutlich, dass gemeinsame Lösungsansätze über die nächste Wahl hinaus Bestand haben sollen. Das Angebot zeigt, dass die CDU es ernst meint.

SPD-Chefin Kraft sagt, für ihre Partei seien auch andere Themen wichtig. Die SPD werde für "faire Arbeit" und "faire Löhne" kämpfen. Wenn es darum gehe, Vertrauen aufzubauen, müsse aber zunächst über die schmerzhaften Attacken der CDU gegen die SPD im Wahlkampf gesprochen werden.

Die Bewältigung der Vergangenheit

Kraft kritisiert die umstrittene "Kraftilanti"-Kampagne der Union. Auf Plakaten war der SPD-Chefin unterstellt worden, sie plane einen Wortbruch und werde nach der Wahl mit der Linkspartei paktieren. Die CDU kontert, auch sie habe Grund, sich über die SPD zu beschweren. Es sei unfair gewesen, mit Slogans wie "Rent a Rüttgers" den Eindruck zu erwecken, der Ministerpräsident sei käuflich. Fast eine Stunde dauert die gemeinsame Bewältigung der Vergangenheit.

Auch die Diskussion über das Wahlergebnis löst bei der CDU keine Freude aus. Kraft macht deutlich, dass die SPD in den vergangenen Jahren durch eine kontinuierliche Sachthemen-Arbeit an Zustimmung gewonnen habe. Die CDU sei hingegen für ihre Politik abgestraft worden.

Damit ist der unangenehme Teil fürs Erste beendet. Themen wie die Neuordnung des Schulsystems oder die Abschaffung der Studiengebühren, bei denen es zwischen SPD und CDU großen Differenzen gibt, werden nicht weiter angesprochen. Die heikle Frage, wer denn eine große Koalition anführen soll, wird gar nicht erst gestellt.

Die Suche nach Gemeinsamkeiten

Jetzt sucht man Gemeinsamkeiten. Und wird sich darin einig, dass es bei den Kommunalfinanzen und der Industriepolitik "eine Menge Anknüpfungspunkte" gibt. Am Ende wird sogar gelacht, als sich ein CDU-Politiker über die FDP lustig macht.

Reicht das aus, um eine Koalition zu bilden? Bevor Kraft und Rüttgers vor die Presse treten, sprechen sie freundlich miteinander. Die beiden, die bislang keinen persönlichen Draht hatten, scheinen um Versöhnung bemüht zu sein. Die dreieinhalbstündige Verhandlungsrunde hat die verhärteten Fronten aufgeweicht. Delegationsmitglieder von CDU und SPD geben sich beim Verlassen des Flughafen-Hotels vorsichtig optimistisch.

Ob man auf einem guten Weg sei, wird Hannelore Kraft gefragt. "Wir sind jedenfalls auf einem Weg", antwortet die SPD-Chefin vieldeutig. Jürgen Rüttgers verlässt das Maritim sichtlich erleichtert. Es ist gut gelaufen für ihn. Die Chance, dass er Ministerpräsident bleiben kann, sind an diesem Nachmittag der Annäherung gestiegen.

(RP)
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