Linke und AfD im Kommen? Der Trump-Effekt trifft auch NRW

Düsseldorf · Der kommende US-Präsident verdankt seinen Wahlsieg der Masse jener, die sich vom Staat vernachlässigt oder abgehängt fühlen. Solche Wähler könnten bei der Landtagswahl am 14. Mai 2017 AfD und Linkspartei Zulauf bescheren.

 Frauke Petry (hier mit NRW-AfD-Chef Marcus Pretzell) schrieb an Donald Trump ein Glückwunsch-Telegramm: "Gott segne Sie und Ihre Familie, Gott segne Amerika und Deutschland."

Frauke Petry (hier mit NRW-AfD-Chef Marcus Pretzell) schrieb an Donald Trump ein Glückwunsch-Telegramm: "Gott segne Sie und Ihre Familie, Gott segne Amerika und Deutschland."

Foto: dpa, mjh cul gfh

Am Morgen nach der US-Wahl waren viele Menschen rund um den Globus sprachlos. Auch Hannelore Kraft empfand es als einen "Schock, dass ein solcher Hasswahlkampf erfolgreich war". Die SPD-Landesvorsitzende und NRW-Ministerpräsidentin machte damit einmal mehr deutlich, dass sie Hillary Clinton den Sieg gewünscht hätte. Doch ihr geht es vermutlich nicht so sehr um persönliche Präferenzen, sondern darum, was Trump für die heranrückende Landtagswahl bedeutet. Kraft befürchtet nämlich, dass ein ähnlicher "Schmutzwahlkampf auch bei uns Einzug hält".

Umfragen sehen AfD um die zehn Prozent

In welche Richtung diese düstere Prognose zielt, liegt auf der Hand: Sechs Monate vor der NRW-Wahl scheint so gut wie sicher, dass die "Alternative für Deutschland" (AfD) die Fünf-Prozent-Hürde überspringen und erstmals in den Düsseldorfer Landtag einziehen wird. Die Umfragen sehen die Partei (4200 Mitglieder in NRW) mal über, mal knapp unter zehn Prozent. Doch das reicht allemal.

Mit der AfD will jedoch keine andere Partei etwas zu tun haben. Alle gehen auf Distanz zu ihr; eine Koalition nach der Landtagswahl ist ausgeschlossen. Sie wird, wenn sie auf der Oppositionsbank sitzt, das "Schmuddelkind" des Landtags sein - eine Rolle, die von 2010 bis 2012 die Linkspartei innehatte und mit der sich jetzt die (noch) im Parlament vertretenen Piraten abzufinden haben.

Hannelore Kraft muss davon ausgehen, dass die AfD in den kommenden Monaten insbesondere bei den potenziellen SPD-Wählern auf Stimmenfang geht. Die Faustformel, dass ein "Traditionssozi" unverbrüchlich zur SPD steht, gilt nicht mehr, die Grenzen sind fließend geworden. Beispiel Essener Norden: Dort hat es in diesem Jahr in der SPD wegen der Flüchtlingspolitik heftig rumort. Eine geplante Demo gegen die Bundes- und Landespolitik ("Das Boot ist voll") musste von Kraft mit einem Machtwort unterbunden werden. Doch die Unruhe hielt an. Einer der Essener Rebellen, Guido Reil, trat nach 26 Jahren aus der SPD aus und lief zur AfD über, die ihn mit offenen Armen empfing. Reil ist offenbar kein Einzelfall. 18 Prozent, derjenigen, die bei der Landtagswahl 2012 SPD gewählt haben, würden jetzt bei der AfD ihr Kreuz machen. Demgegenüber täten dies landesweit nur 13 Prozent der CDU-Wähler von damals. Dies geht aus einer von unserer Redaktion in Auftrag gegebenen Mentefactum-Umfrage (Stand September) hervor. Die SPD hat demnach das größere Problem mit der Partei von Frauke Petry und ihrem Gefährten, dem Landesvorsitzenden Marcus Pretzell.

"Völkisches Gefasel"

Mag die AfD mit ihrem grotesken "völkischen" Gefasel und indiskutablen Vorstößen wie der Drohung, Schusswaffen zur Grenzsicherung einzusetzen, Kopfschütteln oder blankes Entsetzen hervorrufen, so gilt sie vielen doch als die Partei, die Klartext redet. Ihre Klientel besteht mehrheitlich aus Bürgern, die von den etablierten Parteien enttäuscht sind und ihnen nicht mehr zutrauen, mit Problemen fertig zu werden. Dazu gehören auch Angehörige der Mittelschicht, die mit ihrer Situation unzufrieden sind und sich vom Staat benachteiligt oder gar abgehängt fühlen. Insofern sind die AfD-Unterstützer durchaus mit den Trump-Wählern vergleichbar. Das wiederum bedeutet, dass am 14. Mai 2017 in NRW (und im Herbst im Bund) mit dem Trump-Effekt zu rechnen ist: Der Wahlzettel wird dann zum Denkzettel für die Regierenden. Profiteure wären AfD und Linkspartei.

Nicht nur Kraft, sondern auch ihr Herausforderer, CDU-Chef Armin Laschet, haben die Brisanz erkannt. Man müsse die "Links- und Rechtspopulisten entlarven und Probleme lösen", hat Laschet nach der US-Wahl gesagt. Probleme gibt es in NRW wahrlich zuhauf. Während die Besorgnis über den Zustrom von Flüchtlingen abzunehmen scheint, beunruhigt die hohe Zahl von Wohnungseinbrüchen die Bürger in starkem Maße. Sie haben das Gefühl, dass die Justiz kapituliert und die Kriminellen laufen lässt. Das Chaos in der Kölner Silvesternacht mit den hundertfachen sexuellen Übergriffen auf arglose Mädchen und Frauen hat nicht nur das Vertrauen in die Polizei bis ins Mark erschüttert, sondern auch die politisch brisante Frage aufgeworfen, wie es sein kann, dass die Spitze der Landesregierung tagelang kollektiv auf Tauchstation gegangen ist.

Jedenfalls wird das Thema Sicherheit im Wahlkampf eine dominierende Rolle spielen. Ähnlich aufwühlend ist die Situation im Bildungsbereich. Mit der schulischen Inklusion hapert es angesichts fehlender Sonderpädagogen gewaltig. Der Streit ums Turboabitur lässt Lehrer, Schüler und Eltern ratlos zurück, vom Unterrichtsausfall erst gar nicht zu reden. Nordrhein-Westfalen ist berüchtigt für seine Staus und sein wirtschaftliches Nullwachstum im vergangenen Jahr. Die Langzeitarbeitslosigkeit scheint ebenso eingemeißelt zu sein wie die Neuverschuldung, die auf Kosten der Kinder geht, die Hannelore Kraft erklärtermaßen "nicht zurücklassen" will.

"Reden Sie das Land nicht schlecht"

Mit all diesen Themen muss eine Opposition die Bürger konfrontieren, und zwar nicht nur in Wahlkampfzeiten. Das kann emotional bis irrational geschehen oder besser: sachlich-argumentativ. Doch Kritik lässt Hannelore Kraft ungern gelten. "Reden Sie das Land nicht schlecht", hat sie unlängst führenden Wirtschaftsvertretern zugerufen und offenbar vergessen, wie die Genossen die CDU zu deren Regierungszeiten attackiert haben.

In Vergessenheit ist auch geraten, welch radikalen Schnitt Union und FDP bei Regierungsübernahme 2005 gewagt haben: den Ausstieg aus der heimischen Steinkohleförderung, die Milliarden an Subventionen verschlungen hat. Die SPD hat dagegen bis zuletzt an dieser ebenso kostspieligen wie veralteten Energiepolitik festgehalten - ihrer klassischen Klientel, den Kumpeln, zuliebe. Doch diese "Malocher" gibt es kaum noch. Das macht die Lage für Kraft und die SPD nicht gerade leichter.

(hüw)
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