Landesentwicklungsplan Der rot-grüne Streit bricht wieder auf

Düsseldorf · Eins muss man Rot-Grün lassen: Im Gegensatz zu früher, als beständiger Koalitionsstreit genüsslich nach außen getragen wurde, verhalten sich beide Seiten jetzt weitaus disziplinierter. Aber nicht nur beim Landesentwicklungsplan drohen jetzt wieder heftige Diskussionen.

Die NRW-Minister 2012: Das ist das Kabinett von Hannelore Kraft
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Das ist Hannelore Krafts Kabinett

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Foto: dpa, Federico Gambarini

Die vergleichsweise große Disziplin liegt vor allem daran, dass die beiden Führungsfrauen in Nordrhein-Westfalen — Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und ihre Stellvertreterin Sylvia Löhrmann (Grüne) — einen neuen Regierungsstil vereinbart haben: Meinungsverschiedenheiten werden intern geklärt und nicht nach außen gekehrt. Am liebsten wäre es beiden Politikerinnen wohl, wenn die Düsseldorfer Koalition als Hort immerwährender rot-grüner Harmonie gelten würde.

Dem ist natürlich nicht so. Kraft und Löhrmann (in Düsseldorf auch als "Hanni und Nanni" parodiert) sind zwar Duzfreundinnen, aber sie können sich richtig zoffen — hinter den Kulissen, versteht sich.

Manchmal wird allerdings ein rot-grüner Dissens offenbar. Als Kraft und ihr Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) im vorigen Jahr im Zuge der Haushaltssperre verfügten, den Gästen nur noch Leitungswasser vorzusetzen, meinte der damalige Fraktionschef der Grünen, Reiner Priggen, bissig, das sei "Symbolpolitik, die nach hinten losgeht. Wir machen uns damit kleiner als wir sind".

Der grüne Pragmatiker Reiner Priggen ist inzwischen als Fraktionschef zurückgetreten; sein Nachfolger ist der Finanzexperte Mehrdad Mostofizadeh, der sich selbst dem linken Parteiflügel zurechnet, auf dem auch NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) erortet wird.

Beide werden Schulter an Schulter für den neuen Landesentwicklungsplan (LEP) kämpfen, der den Flächenverbrauch in Nordrhein-Westfalen zumindest für die nächsten zehn Jahre regeln soll. Doch der Entwurf, den die federführende Staatskanzlei von Hannelore Kraft ausgearbeitet hat, ist höchst umstritten. Die Wirtschaft befürchtet, dass künftig nicht mehr genügend Flächen für Gewerbe und Industrie zur Verfügung stehen, mithin der Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen in Gefahr gerate und sogar eine "De-Industrialisierung" drohe.

In bemerkenswerter Klarheit hat sich NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) in der vergangenen Woche dieser Bedenken angenommen. Er rechne damit, dass es an dem LEP-Entwurf "wesentliche Änderungen" geben werde, sagte der SPD-Politiker im Wirtschaftsausschuss des Landtags.

Der Entwurf sieht vor, bis 2020 den Flächenverbrauch in NRW von derzeit zehn auf fünf Hektar pro Tag zu begrenzen. Auf lange Sicht soll es einen Verbrauch von "Netto-Null" geben. Das bedeutet, dass an anderer Stelle Freiflächen geschaffen werden müssen, wenn sich ein Betrieb erweitern oder neu ansiedeln will.

Im jetzt abgeschlossenen Beteiligungsverfahren sind über 1400 Eingaben mit rund 10.000 Seiten Stellungnahmen eingegangen. Die unabhängige Clearingstelle des Wirtschaftsministers, die auf eine mittelstandsfreundliche Gesetzgebung achten soll, hat die gravierenden Kritikpunkte zusammengefasst und der Staatskanzlei zugeleitet.

Eine Reaktion steht zwar noch aus, aber Duin hat bereits betont, dass die Clearingstelle für die Landesregierung "kein Feigenblatt" sei. Der neue LEP, der den aus dem Jahr 1995 stammenden Plan ablösen soll, werde ein "Ermöglichungs- und kein Verhinderungsplan" sein.

Damit hat sich Duin deutlich von Remmel abgesetzt, der offenbar keinen Grund sieht, vom derzeitigen LEP-Entwurf abzurücken. Auch der Abgeordnete Herbert Franz Goldmann (Grüne), der das LEP-Projekt betreut, betont, von der grundsätzlichen Linie werde nicht abgewichen. Schließlich entspreche der Entwurf dem rot-grünen Koalitionsvertrag.

Kein Verständnis hat Remmel für die Kritik der Wirtschaft, dass das NRW-Klimaschutzgesetz samt dem (noch zu präzisierenden) Klimaschutzplan in den Landesentwicklungsplan "eingebaut" werden soll. Da der Landtag das Gesetz bereits verabschiedet habe, sei "die Messe gelesen", so der Grünen-Minister. Die Kritik an der Reduzierung des Flächenverbrauchs mag er ebenfalls nicht gelten lassen: Fünf Hektar seien doch immer noch Flächenverbrauch, hält er dagegen.

Und auch das ist im Landesentwicklungsplan vorgesehen: In Orten mit weniger als 2000 Einwohnern sollen keine Neubaugebiete mehr ausgewiesen werden dürfen. Dagegen wehren sich die ländlichen Regionen mit Hinweis auf die kommunale Planungshoheit. Remmel kontert, angesichts des demografischen Wandels wisse er nicht, "ob wir ständig neue Wohngebiete brauchen".

Der Streit um die Ausgestaltung des Landesentwicklungsplans erinnert an den alten Gegensatz zwischen SPD und Grünen: Was hat im Zweifelsfall Vorrang? Ökonomie oder Ökologie?

Das Schweigen der Ministerpräsidentin, in deren Staatskanzlei der LEP-Entwurf erarbeitet wurde, erzürnt die Opposition. Kraft müsse endlich klarstellen, dass sie die Interessen von Kommunen, Wirtschaft und Gewerkschaften "nicht grüner Ideologie opfert", so der CDU-Politiker Hendrik Wüst.

Doch noch überlässt Kraft dem Chef der Staatskanzlei, Franz-Josef Lersch-Mense, das Feld. Jetzt soll im Kreis aller Staatssekretäre ausgelotet werden, ob beide Seiten zusammenkommen. Falls, ja, wird es einen überarbeiteten LEP-Entwurf und ein neues Beteiligungsverfahren geben, das aber auf vier Monate verkürzt werden soll, so dass der LEP noch in diesem Jahr verabschiedet werden könnte. Falls sich SPD und Grüne nicht einigen könnten, wird Kraft dann doch ein Machtwort sprechen mit Sicherheit hinter den Kulissen.

(hüw)
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