Forschungsinstitut Prognos Der Zehn-Punkte-Plan für NRW

Düsseldorf · NRW war einmal Herz der deutschen Industrie. Jetzt gibt es zu wenige Innovationen. Das Forschungsinstitut Prognos hat für die nächste Landesregierung ein Programm für den Fortschritt entworfen – egal, wer die Wahl im Mai gewinnt.

 Stau auf der A57 Richtung Köln (Archivbild).

Stau auf der A57 Richtung Köln (Archivbild).

Foto: Berns, Lothar

NRW war einmal Herz der deutschen Industrie. Jetzt gibt es zu wenige Innovationen. Das Forschungsinstitut Prognos hat für die nächste Landesregierung ein Programm für den Fortschritt entworfen — egal, wer die Wahl im Mai gewinnt.

Wenn Axel Seidel über die Zukunft von NRW sinniert, erzählt der Familienvater zuerst von seinem Ärger als Pendler von Köln ins Büro in Düsseldorf. "Die zerstörte Brücke auf der A57 macht die Autobahn morgens noch immer zu einem Parkplatz, die Autobahnbrücke nach Leverkusen zur A3 ist mit ihrer Sperrung für Lkw ein Desaster. Und nun herrscht auch noch Chaos auf der Bahnstrecke", sagt der NRW-Chef der Wirtschaftsforschung Prognos. Nun hofft er auf die neue Brücke und den Rhein-Ruhr-Express (RRX) in einigen Jahren.

Viel größere Sorgen machen Seidel und seinen Kollegen jedoch vor allem die langfristigen Perspektiven des Landes. Die Unternehmen im bevölkerungsreichsten Bundesland waren einst Speerspitze des Fortschritts, 2016 wurden nur 7068 Patente angemeldet, Bayern und Baden-Württemberg verbuchten die doppelte Anzahl. Als Prognos die 402 Städte und Landkreise in Deutschland nach ihrer Zukunftsfähigkeit inklusive Arbeitskräfteangebot und Innovationen verglich, lag Düsseldorf als beste NRW-Stadt erst auf Platz 21. "Diese Werte zeigen, dass NRW bei der Innovationsfähigkeit aufholen muss", sagt Seidel, "sonst drohen wir weiter abzurutschen in Relation zu anderen Ländern."

Der Zehn-Punkte-Plan für den Fortschritt für NRW von Prognos
Foto: ferl

Wie es mit NRW weitergehen sollte, beschreibt ein achtköpfiges Prognos-Team in einer Analyse für unsere Redaktion. Dabei komme es auf zehn Themen an.

1. Innovation Die Wirtschaftsforscher halten es für notwendig, stärker wirkliche Gründer zu fördern, die etwas völlig Neues wagen. Die Landesregierung helfe eher Unternehmen bei ihrer Weiterentwicklung. "Wir brauchen Disruptoren, die wie Google oder Facebook völlig neue Geschäftsmodelle entwickeln", sagt Olaf Arndt von Prognos. So solle es mehr regionale Gründer- und Innovationsfonds geben, wie sie jüngst der Initiativkreis Ruhr für seine Region aufgelegt hat. Arndt begrüßt zwar, dass das Land in sechs so genannten Digihubs Gründer mit Traditionsfirmen zusammenbringt, meint aber, dass weitergehende Initiativen nötig seien. Förderangebote in NRW seien oft so kompliziert, dass es Gründern schwerfällt, das passende Angebot zu finden. "NRW ist weit entfernt von einer koordinierten Gründungsförderung."

2. Wissenstransfer Der Rückstand von NRW bei Innovationsausgaben liegt daran, dass hiesige Unternehmen relativ wenig forschen. Hochschulen wie die RWTH Aachen geben hingegen insgesamt so viel Geld für Forschung- und Entwicklung aus wie Hochschulen in anderen Ländern. Prognos folgert daraus, dass NRW mehr tun muss, damit Know-how aus den Hochschulen gerade kleineren Firmen nutzt. "Wir haben ein beträchtliches Ausbaupotenzial im Wissens- und Technologietransfer", sagt Prognos-Mann Arndt und folgert: "Um beispielsweise bei erneuerbaren Energien und intelligenten Werkstoffen vorne zu liegen, sollten gerade kleinere Firmen einen leichteren Zugang zu den Hochschulen haben." Er ergänzt aber auch, dass es bereits viele Pilotprojekte wie "Currywurst & Bier" an der Universität Duisburg-Essen gebe, bei denen junge Firmengründer und Wissenschaftler zusammenkommen.

Der Zehn-Punkte-Plan für den Fortschritt für NRW von Prognos
Foto: felr

3. Personenverkehr "Das Projekt des Rhein-Ruhr-Expresses (RRX) zwischen Ruhrgebiet und Rheinland muss weitergedacht werden", sagt Seidel. Er ergänzt: "Verkehrsverbünde müssen besser zusammenarbeiten. Wir brauchen eine App, mit der Kunden Fahrkarten quer durch alle Verkehrsverbünde kaufen können." Außerdem solle es nicht nur einzelne Radschnellwege (wie sie im Ruhrgebiet oder in Düsseldorf geplant sind) geben, sondern einen Querverbund. "Auf Dauer sollte NRW ein integriertes Radschnellwege-Netz mit entsprechender E-Infrastruktur anpeilen", sagt der Kaufmann. "Pedelecs und E-Bikes werden bei Pendlern beliebter."

4. Gütertransport Der Anschluss an die Betuwe-Güterzuglinie von der deutsch-niederländischen Grenze nach Rotterdam solle realisiert werden. "Die nächste Landesregierung sollte den Anschluss so schnell wie es geht vorantreiben, damit NRW als Logistikstandort gestärkt wird", sagt Prognos-Verkehrsexperte Hans-Paul Kienzler. "Ohne bessere Infrastruktur droht Stau ohne Ende."

5. Gewerbeflächen Prognos rät, Gewerbeflächen viel großzügiger zu erlauben. Besonders wichtig sei dabei, die Industrie zu stärken.

6. Breitband Das Land soll den Ausbau schneller Online-Anschlüsse weiter fördern. Für Gewerbegebiete sollte aus Sicht von Prognos ein Sonderprogramm mit Glasfaseranschlüssen geprüft werden.

7. Investoren Die Forscher loben, dass 31 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland nach NRW gehen. Allerdings weisen sie auf ein Risiko hin: Ausländische Investoren könnten die Lage von NRW im Zentrum Europas für Logistik oder die Zentrale nutzen, hochwertige Arbeiten jedoch woanders erledigen. So habe das chinesische Technologieunternehmen Huawei zwar seine Europazentrale in Düsseldorf, die einzige Produktionsstätte werde jedoch in Bayern gebaut. "NRW muss darauf achten, sich auch als Standort für wissensintensive Industrien zu profilieren", sagt Arndt.

8. Fachkräfte Schon im Jahr 2015 konnten in NRW 190.000 Stellen nicht besetzt werden, heißt es in der Prognos-Analyse, bis 2030 drohe eine Lücke von rund 640.000 qualifizierten Mitarbeitern. Das Gute daran: Auch NRW könnte so wie Bayern ein Land der Vollbeschäftigung werden. Das Problem: Viele Arbeitslose sind für viele Jobs gar nicht geeignet. Also schlagen die Prognos-Forscher vor, Müttern (und manchen Vätern) die Erwerbstätigkeit durch bessere Betreuungsmöglichkeiten zu erleichtern. Bessere Online-Anschlüsse gerade auf dem Land sollten für Heimarbeit ausgebaut werden.

9. Grüne Industrien Als großer Erfolg wird gesehen, dass rund fünf Prozent der Unternehmen bereits im Zukunftsgeschäft Umwelttechnik und -wirtschaft mitmischen. Oliver Lühr, Experte für grüne Technologien bei Prognos, hält es für gut denkbar, dass die Zahl der im Umweltbereich tätigen Mitarbeiter von 350.000 im Jahr 2015 auf 400.000 im Jahr 2025 wächst. Die Landesregierung habe die Aufgabe, kleineren und mittleren Unternehmen bei der Vermarktung und Entwicklung zu helfen. "Grüne Industrien wachsen deutlich schneller als klassische Industrien, da gibt es gerade bei Exporten noch große Chancen."

10. Wohnungen Prognos sieht das Wachstum in Boom-Regionen wie Köln, Düsseldorf und Münster als gefährdet an, wenn es nicht genügend Wohnraum für hinzuziehende Bürger gibt. Als Gegenreaktion wird unter anderem gefordert, Bauland schneller zu aktivieren und bei Bauvorschriften zu überprüfen, ob sie ein Haus nicht zu teuer machen.

(RP)
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